Erdbeben:Warum die Hilfe in Marokko so schleppend vorangeht

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Ein Traktor hilft bei der Beseitigung von Trümmern während einer Rettungsaktion für die vom Erdbeben betroffenen Menschen im Dorf Moulay Brahim in der Nähe von Marrakesch. (Foto: Mosa'ab Elshamy/dpa)

Mit der Rettung der Opfer muss es jetzt schnell gehen, die internationale Hilfe läuft aber nur langsam an. Die Regierung will nur die Hilfe aus vier Staaten annehmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Paulina Würminghausen

Es war das seit Jahrzehnten schlimmste Erdbeben in Marokko: Am Freitagabend - genauer: um 23.11 Uhr - bebte die Erde im Hohen Atlas und seinen Ausläufern. Seismologen verzeichneten eine Stärke von 6,8. König Mohammed VI. ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Mindestens 2122 Menschen sind ums Leben gekommen, Hunderte von Menschen galten am Sonntag noch als vermisst. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300 000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von dem Unglück betroffen. Ihnen zu helfen, stellt eine große Herausforderung dar - und zwar sowohl für die Menschen vor Ort als auch für internationale Organisationen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie ist die Lage zurzeit in Marokko?

Das Erdbeben habe das Land sehr unvorbereitet getroffen, sagt Christof Johnen, Leiter der internationalen Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz. "Die Menschen waren sehr schockiert oder sind es teilweise immer noch. Sie waren mental nicht auf ein Erdbeben vorbereitet." Nun organisiere sich "wahnsinnig schnell" lokale Hilfe: Diejenigen, deren Häuser von dem Unglück verschont geblieben seien, sagt Johnen, nehmen nun Menschen ohne Obdach bei sich auf. "Es kommt eine große menschliche Solidarität zum Vorschein", so der DRK-Experte. Außerdem seien die marokkanischen Behörden um Hilfe bemüht.

Kommt auch Hilfe aus dem Ausland?

Am Sonntagvormittag ist eine Spezialeinheit des spanischen Militärs in das nordafrikanische Land geflogen. Mehr als 50 Soldatinnen und Soldaten hätten in Saragossa, im Nordosten Spaniens, zusammen mit vier Suchhunden eine Transportmaschine vom Typ A400 bestiegen, schreibt das Verteidigungsministerium auf der vormals als Twitter bekannten Plattform X. Zuvor hatte die marokkanische Regierung eine formelle Bitte um Beistand an Spanien gerichtet.

Ansonsten sind bisher nur wenige internationale Organisationen in Marokko - und das, obwohl viele Länder ihre Hilfe angeboten haben, darunter Deutschland, die USA, die Türkei, Saudi-Arabien und Israel. Selbst das benachbarte Algerien hat trotz diplomatischer Spannungen Unterstützung in Aussicht gestellt. Warum noch abgewartet wird: Bisher liegt kein internationales Hilfeersuchen Marokkos vor. "Deshalb können wir nicht tätig werden", sagte ein Sprecher des Technischen Hilfswerks, der Katastrophenschutzorganisation des Bundes. Da das THW eine Bundesbehörde ist, braucht es einen Auftrag von der deutschen Regierung - und diesen gibt es nicht ohne Marokkos Zustimmung.

Erst am späten Sonntagabend kam die Information, dass die marokkanische Regierung zunächst Hilfsangebote aus vier Ländern in Anspruch nehmen will. Wie das Innenministerium erklärte, hätten die Behörden nach einer gründlichen Untersuchung "auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert".

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Die Hoffnung schwindet, unter den Trümmern noch Überlebende zu finden. Nur etwa 72 Stunden kann ein verschütteter Mensch ohne Wasser auskommen. Diese Zeit neigt sich dem Ende entgegen.

Viele Hilfsorganisationen halten sich trotzdem bereit, für den Fall, dass sie doch noch angefordert werden. Allerdings hat das THW ein 50 Personen starkes Team, das nahe dem Flughafen Köln/Bonn postiert war, vorerst wieder nach Hause geschickt. Das teilte die Organisation am Sonntagnachmittag mit. Die Helfer blieben aber prinzipiell einsatzbereit, erklärte THW-Präsidentin Sabine Lackner. Außerdem prüfe man, ob und wie Marokko mit der Lieferung von Hilfsgütern geholfen werden könne.

Zuvor hatten am Sonntag schon die beiden Hilfsorganisationen I.S.A.R. Germany und der Bundesverband Rettungshunde mitgeteilt, dass sie wegen des fehlenden Hilfeersuchens aus Marokko nicht mehr mit einem Einsatz ihrer bereitstehenden Helfer rechnen.

Warum fordert Marokko bisher keine umfassende internationale Hilfe an?

Die Regierung in Rabat äußert sich dazu nicht. Eine mögliche Erklärung: "Viele Länder haben schlechte Erfahrungen mit internationaler Hilfe gemacht", sagt DRK-Mann Johnen. Sie bringe für das betroffene Land immer auch eine Last mit sich. Manche Länder schickten Hilfsgüter, die so explizit nicht angefordert und auch nicht gebraucht würden. Deswegen sei es denkbar, dass sich Marokko derzeit auf Hilfskräfte vor Ort verlasse, die sich in der Region schon auskennen und die Bedürfnisse besser einschätzen können.

Trotzdem könnte das Land in den kommenden Tagen doch noch Hilfe aus dem Ausland benötigen, sagen sowohl der DRK-Experte Johnen als auch der Wohlfahrtsverband Caritas International. Die Infrastruktur in der Region ist schwierig, es gibt keine Autobahnen oder breit ausgebaute Straßen. Die Helfer kommen in den teils abgelegenen Bergregionen nur mit Mühe voran, berichtet der Nachrichtensender Al-Arabiya.

Wie genau könnten Hilfsorganisationen überhaupt vor Ort helfen?

Neben der Bergung der Erdbebenopfer aus den Trümmern ist die Versorgung mit Wasser in den kommenden Tagen das Wichtigste. Daneben müssen auch sanitäre Anlagen aufgebaut werden, damit sich keine Durchfallerkrankungen verbreiten. Die Verteilung von Nahrung und die Errichtung von Notunterkünften sei ebenfalls zu organisieren. "Da wird man mit kommunalen Einrichtungen zusammenarbeiten müssen", sagt DRK-Helfer Johnen. Ein zusätzliches Problem sei das Wetter: In der bergigen Erdbebenregion könne es im Herbst sehr kalt werden.

Wie lange können in Trümmern eingeschlossene Menschen überleben?

Verschüttete Menschen nach einem Erdbeben aus den Trümmern zu retten, ist stets ein Wettlauf gegen die Zeit. Von einem Fenster von maximal 72 Stunden spricht DRK-Helfer Johnen, wenn keine schwere Verletzung vorliege, wohlgemerkt. Für verschollene Menschen sei vor allem fehlendes Wasser gefährlich.

Natürlich gebe es Wunderrettungen, bei denen Menschen noch nach fünf Tagen geborgen werden, so wie vor einigen Monaten in der Türkei und in Syrien. Das seien aber absolute Ausnahmen, betont Johnen.

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