Wenn Präsidentengebrüll eine Lösung wäre, hätte Südkorea sein Drogenproblem vermutlich schon im Griff. Denn brüllen kann der konservative Regierungschef Yoon Suk-yeol, das hat er neulich erst wieder bewiesen. Die Polizei hatte gerade eine 49-jährige Frau festgenommen, die vor privaten Nachhilfe-Akademien Jugendliche angesprochen hatte, um diesen mit Metamphetaminen versetzte Getränke als Konzentrationshilfe aufzuschwatzen. "Schockierend", brüllte der Präsident: "Staatsanwaltschaft und Polizei sollten alle Ermittlungskapazitäten mobilisieren, um Drogenringe zu zerschlagen." Es war eine Ansage im "Krieg gegen Drogen", den Yoons Regierung schon vergangenen Oktober ausgerufen hatte.
Dass man mit Krieg eine bessere Welt erzwingen kann, ist eine uralte Männerfantasie. Dass sie außer Gewalt nicht viel bringt, zeigt sich gerade am weltweiten Kampf gegen die zersetzende Kraft der Suchtmittel. "Trotz 40 Jahren internationaler Drogenbekämpfung unter Führung der USA, die vor allem auf Ausrottung der Produktion, Unterbindung des Handels und Kriminalisierung des Konsums abzielt, ist die Gesamtmenge von Drogenproduktion, -handel und -konsum konstant geblieben", schreibt die New Yorker Non-Profit-Organisation Drug Policy Alliance auf ihrer Website. Südkorea ist ein Beispiel für diese Beobachtung. Denn dort wächst das Drogenproblem, obwohl die Verbotsgesetze selten streng sind.
Südkoreanerinnen und Südkoreaner dürfen keine Drogen nehmen. Sie riskieren sogar Haftstrafen, wenn sie in Ländern wie Kanada oder den Niederlanden Marihuana rauchen, in denen das erlaubt ist. Sich mit Alkohol zu berauschen, ist dabei kein Problem. Im Gegenteil, der Reisschnaps Soju wird in praktisch jeder K-Pop-Romanze als wirksamer Seelentröster inszeniert. Aber inklusive Cannabis gilt offiziell alles als Teufelszeug, was die Psyche manipuliert. Die Yoon-Regierung weist darauf hin, dass Südkorea vor wenigen Jahren noch als "drogenfrei" galt.
Davon ist keine Rede mehr. Gerade Seoul hat eine lebendige Partyszene, und Südkoreas smartphonegewandte Jugend ist bestens vernetzt. Der Online-Drogenhandel blüht, vor allem über Telegram, einen Messengerdienst, der mit besonders sicherer Verschlüsselung wirbt. 2022 gab es laut Generalstaatsanwaltschaft 18 395 Verhaftungen wegen Drogen-Straftaten, 13,9 Prozent mehr als 2021. Prominente Fälle wie der des Schauspielers Yoo Ah-in bringen den Trend in die Schlagzeilen.
Die Entwicklung ist schlecht, klar. Die Frage ist nur, was hilft. Kriegserklärungen? Sanfte Legalisierung? Betroffene und Sozialarbeiter kritisieren vor allem, dass Südkorea vor lauter Strenge die Not der Suchtkranken nicht richtig bedenke. Drogen-Straftäter bekommen zwar Pflichtunterricht zur Suchtmittel-Aufklärung. "Aber wer glaubt, dass Süchtige danach aufhören, hofft auf ein Wunder", sagt Choi Jin-mook in der Nachrichtenagentur Reuters. Choi war selbst drogenabhängig. Heute leitet er ein Suchttherapie-Zentrum. Sechs solcher Zentren gebe es nur im ganzen Land, sagt Choi. Für mehr habe dem Staat bisher das Bewusstsein gefehlt.
Auch das dürfte sich bald ändern. Nach dem Gebrüll setzt in Südkorea normalerweise immer irgendwann die Vernunft ein.