Prozess in Köln:Und niemand fragte nach

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Die beiden Hauptangeklagten, hier einer von ihnen am ersten Prozesstag, sollen rund 16 Millionen Euro erschlichen haben. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Sie rechneten fast 1,9 Millionen Covid-Tests ab, ohne je ein Wattestäbchen zu benutzen. Jetzt stehen die beiden mutmaßlichen Drahtzieher des Betrüger-Netzwerks in Köln vor Gericht. Aber wie konnte der Schwindel so lange niemandem auffallen?

Von Christian Wernicke, Köln

Die beiden Männer sind nicht allein im holzverschalten Sitzungssaal 210 des Kölner Landgerichts. Immer wieder blicken Mariano Z., 32, und Erdogan I., 33, die beiden Hauptangeklagten, zu ihren Verwandten, die hinter einer Glaswand den Strafprozess gegen die beiden mutmaßlichen Millionenbetrüger verfolgen: Z.s Mundwinkel zucken, als der Italiener sieht, wie seine Mutter, seine Brüder und Cousins weinen. Und I. wird seiner Familie später Kusshändchen zuwerfen. Zu Gesten der Reue oder gar zu einem Geständnis, wie sie 2021 und 2022 einen Millionen-Coup einfädelten und mit vorgetäuschten Corona-Tests die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) um 21,4 Millionen Euro zu prellen versuchten, können sich die beiden Männer hingegen nicht durchringen an diesem Freitagmorgen. Noch nicht.

Das Verfahren vor der 12. Strafkammer des Kölner Landgerichts ist - neben einer ähnlichen Causa aus Bochum - einer der teuersten Betrugsfälle mit Corona-Tests im Land: Exakt 1 890 509 Tests hatten die mutmaßlichen Täter - ein Netzwerk von über 40 Beschuldigten - von Februar bis Mai 2022 bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgerechnet. Kein einziger Test, so die Anklage, fand jemals statt, nie kam irgendein Wattestäbchen zum Einsatz.

Insgesamt, so liest Staatsanwältin Selina Werst die Erkenntnisse ihrer Anklage vor, habe die KVNO genau 16 636 323 Euro und 27 Cent auf diverse Bankkonten der Bande überwiesen. Für nichts. Mariano Z. und Erdogan I. seien geplant vorgegangen, hätten eigens zehn Strohmänner aus dem italienischen Palermo angeheuert und nach Deutschland eingeflogen, um seit Juni 2021 Bankkonten zu eröffnen und diverse Briefkästen mit deren Namen zu installieren: für die Zustellung der meist sechsstelligen Abrechnungen der KVNO. Das Geld verschoben sie flink auf Konten von Baufirmen und Luxusuhrenhändlern.

Oder sie kauften ein: Mariano Z. gönnte sich offenbar einen Porsche Panamera. Sieben Millionen Euro konnten die Behörden zwar noch sicherstellen - unterm Strich jedoch steht bis heute ein Verlust von 9,6 Millionen Euro für die KVNO.

Mangelnde Kontrollen machten es den Betrügern leicht

Kurz vor Weihnachten, am 13. Dezember des vergangenen Jahres, hatten Polizei und Staatsanwaltschaft zugeschlagen: 190 Polizisten durchsuchten am frühen Morgen Wohnungen in Köln und in vier Nachbarstädten sowie in Palermo. Kölns Kripo-Chef Michael Esser staunte damals, wie einfach es den mutmaßlichen Fake-Testern gemacht worden sei, "mit wenigen vorbereitenden Handlungen unentdeckt so viel Geld beiseitezuschaffen".

Genau dies, die mangelnden Kontrollen der KVNO, nutzte am Freitag Jürgen Graf, der Anwalt von Mariano Z., zur Verteidigung. "Nichts, aber auch gar nichts" sei da wirklich geprüft worden. Dabei hätte die KVNO doch schon per "pauschaler Hochrechnung" erkennen können, dass die Abrechnungen völlig irreal waren: "Dafür hätte alle drei Minuten über 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche ein Test durchgeführt werden müssen!"

Aufgeflogen war der Corona-Coup nur, weil mehrere Banken im März und April 2022 Alarm schlugen: Deren Mitarbeiter vermuteten Geldwäsche, nachdem die Bande wiederholt Millionenbeträge zwischen Konten hin- und hergeschoben hatte. Kripo und Staatsanwälte ermittelten monatelang wegen bandenmäßigen Betrugs, ehe sie im Dezember ihre Razzia begannen: Mariano Z. holten Polizisten in der sizilianischen Hafenstadt Licata aus dem Bett, Erdogan I. weckten deutsche Beamte in Köln.

Der Schlüssel zum großen Geld, so die Ermittler, sei ein geduldiges Blatt Papier gewesen. Die Beschuldigten hätten ein Schreiben der Stadt Köln fingiert, in dem die Verwaltung den Tatverdächtigen bescheinigte, tatsächlich ein Testzentrum zu betreiben. In dem Dokument trugen die mutmaßlichen Betrüger eine reale, bereits von einem anderen Anbieter genutzte Teststellen-Nummer ein. Prompt gewährten die Abrechner daraufhin Z. und I. Zugang zu ihrem Online-Abrechnungsportal. Der KV fiel nichts auf - weshalb die Betrüger bis Juni 2022 neun weitere virtuelle Teststellen kreierten.

Wie genau die beiden Angeklagten dabei vorgingen, bleibt bisher ihr Geheimnis. Verteidiger Graf stellte am Freitag zwar in Aussicht, sein Mandat Z. könne "ein umfassendes Geständnis" ablegen und damit Kontrollbehörden wie Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen "erhellende Erkenntnisse" feilbieten. Im Gegenzug verlangte der Verteidiger jedoch, Richter Hans Oymann und Staatsanwältin Werst sollten Z. "einen Strafrahmen von maximal fünf Jahren" zusichern - zu verbüßen nicht etwa in einer Gefängniszelle, sondern im offenen Strafvollzug.

Staatsanwältin wie Gericht lehnten einen solchen Handel ab. Und Richter Oymann definierte, was während der geplanten 17 Verhandlungstage nun auf die Beschuldigten zukomme: "Unser Job ist es, die Vorwürfe der Anklage aufzuklären."

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