Prozess um Betrug mit Schnelltests:Sechs Jahre Haft für Test-Betrüger

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Wie viele Bürger in Testzelte wie dieses hier in Gievenbeck in Westfalen gehen? Das gaben die Medican-Betreiber selbst an. Erst als Journalisten mitzählten, ergaben sich Unstimmigkeiten. (Foto: Palina Milling)

Ein Bochumer Unternehmer hat fast eine Million "Bürgertests" abgerechnet, die nie durchgeführt wurden. Noch immer fehlen sieben Millionen Euro. Nach dem Urteil kommt der Angeklagte aber erstmal frei.

Von Jana Stegemann, Bochum

Nachdem er wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt worden ist, will der Angeklagte etwas sagen. Oğuzhan C. schaltet sein Mikrofon im Landgericht Bochum ein. Er bedankt sich beim Vorsitzenden Richter der 6. Großen Wirtschaftsstrafkammer, Michael Rehaag, für das Vertrauen und verspricht: "Ich werde jeden Cent zurückzahlen." Sieben Millionen Euro fehlen noch. Etwa 17,2 Millionen Euro sind schon von den Behörden eingefroren worden oder wurden von C. zurückgezahlt.

Bis zum Haftantritt ist C. nun nach 13 Monaten Untersuchungshaft ein freier Mann. Im Zuschauerbereich weinen Angehörige. Die Staatsanwaltschaft hatte noch versucht zu verhindern, dass der 49-jährige Unternehmer das Gefängnis verlassen darf; sie befürchtet, dass C. in die Türkei flüchten könnte. Bis zum Antritt seiner Gefängnisstrafe, wenn das Urteil rechtskräftig wird und ein freier Haftplatz für ihn gefunden ist, muss C. seine Ausweispapiere abgeben und sich dreimal die Woche bei der Polizei melden.

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Oğuzhan C. war die vergangenen sieben Monate der Hauptangeklagte im Prozess um Abrechnungsbetrug mit Corona-Tests in Millionenhöhe. Der Bochumer soll mit seinem Testunternehmen Medican im März und April 2021 fast eine Million der kostenlosen "Bürgertests" zu viel abgerechnet haben. Tests, die nie gemacht wurden. Zudem soll er den Höchstsatz der Sachkosten geltend gemacht und die Tests ungerechtfertigterweise als ärztlicher Leistungserbringer abgerechnet haben. So entstand dem Bund ein Schaden in Höhe von mindestens 24,5 Millionen Euro.

Das ist mit Abstand die höchste Schadenssumme, die die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum bisher jemals verhandelt hat. Recherchen von Süddeutscher Zeitung , NDR und WDR hatten die Ermittlungen erst ins Rollen gebracht, nachdem Reporterinnen an Medican-Teststellen tageweise die Kunden gezählt und mit den von C. tatsächlich gemeldeten Zahlen verglichen hatten.

Die Reue des Angeklagten hält das Gericht für glaubhaft

Bis zu seiner Verhaftung hatte C. noch große Summen auf andere Konten transferiert, Tausende Testkits weggeschafft und war eine Woche in Hotels untergetaucht. "Das ist ein Nachtatverhalten, das auf massive Verschleierung hinweist", sagte Richter Rehaag. C.s Schwager, gegen den in Deutschland ein Haftbefehl vorliegt, war vor einem Jahr mit 2,6 Millionen Euro in die Türkei geflüchtet, 715 000 Euro davon hatte er diese Woche zurückgezahlt.

Monatelang hatte C. im Prozess geschwiegen, dann aber als Teil eines sogenannten Deals mit dem Gericht ein Geständnis abgelegt, was jetzt auch strafmildernd berücksichtigt wurde, "auch wenn es vergleichsweise spät erfolgt ist", so Rehaag. Hätte C. nicht gestanden, wäre der zähe Prozess wohl noch Monate weitergegangen. C.s Reue hält das Gericht für glaubhaft.

Nach den Plädoyers hatte der Angeklagte in seinem "letzten Wort" unter anderem gesagt, dass die Höchststrafe für ihn nicht die Haftstrafe sei - sondern der Verlust seiner Reputation als Geschäftsmann. Die deutschlandweite kurzfristige Expansion seiner Coronatest-Firma sei ihm "über den Kopf gewachsen", er sei "im Chaos versunken", es hätte Geld gefehlt.

Zwar habe C. mit "hoher krimineller Energie" gehandelt. Dass C. aber von Beginn an vorgehabt hätte zu betrügen, glaubt das Gericht - anders als die Staatsanwaltschaft - nicht: Dazu habe er zu hohe Investitionskosten für Erwerb und Umbau von Testbussen gehabt.

Das Abrechnungsverfahren für Teststellenbetreiber war im Frühjahr 2021 derart unbürokratisch, dass C. mit lediglich zwei ausgefüllten Excel-Tabellen 39 Millionen Euro von der Kassenärztlichen Vereinigung ausgezahlt bekam. Richter Rehaag wertete diesen Umstand, anders als andere Gerichte, nicht strafmildernd, sondern strafverschärfend: "Der Angeklagte hat die pandemiebedingte Notlage ausgenutzt, er handelte mit einer Selbstbedienungsmentalität, die ihresgleichen suchte."

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Prozess um Betrug mit Schnelltests
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Von Jana Stegemann

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