China:"Versucht der Händler uns hereinzulegen?"

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In China senden Lieferdienste Millionen Bestellungen pro Tag aus. (Foto: STR/AFP)

In China setzen Lieferdienste auf digitale Schwurgerichte, um Streitigkeiten zwischen Kunden und Verkäufern zu regeln. Jeder kann als Juror mitmachen. Das Ziel: faire Bewertungen, die der Wahrheit entsprechen. Zeit für einen Selbsttest.

Von Lea Sahay

Das Essen gequetscht und kalt, der Lieferant hat gar das Falsche gebracht und obendrein den Ketchup vergessen? Bei Essenslieferungen kann schnell etwas schiefgehen, und rasch ist dann eine schlechte Bewertung geschrieben. Doch sind diese immer fair?

Um das zu klären, setzen chinesische Lieferdienste auf digitale Schwurgerichte. Beim größten Anbieter in China, Meituan, sind sechs Millionen Juroren im Einsatz. Seit 2021 bittet das Unternehmen um die Mithilfe seiner Kunden, um Fragen zu beantworten wie: War der Reis zu trocken oder der Strohhalm zu kurz? Eine feste Vergütung gibt es nicht, aber manches Mal einen Rabatt auf eine Bestellung.

Zeit also für einen Selbsttest, denn wer will nicht für ein wenig mehr Gerechtigkeit sorgen in einer immer chaotischeren Welt?

Mitmachen kann jeder Nutzer der App, der den Einstellungstest besteht. Dafür müssen vier von fünf simulierten Streitfällen richtig entschieden werden. Dürfen Nutzer eine Bewertung auf der Basis von Hörensagen abgeben? Antwort: nein. Ist es akzeptabel, wenn ein Restaurant sich selbst eine gute Bewertung schreibt? Nein. Drei Fragen noch, dann eine Glückwunschnachricht zum neuen Job: "Danke für deine harte Arbeit!"

Mangelnde Erfahrung ist oft ein Problem

Der erste Fall ist scheinbar schnell entschieden. Ein Kunde hat Rosen zum Geburtstag der Mutter verschickt, seine Beschwerde: Die Blumen sind nicht frisch, die Verpackung mangelhaft. Der Verkäufer hat gegen die Zwei-Sterne-Bewertung Einspruch eingelegt.

Die Sache ist durchaus ernst: Lieferungen kosten in China fast nichts. Gebracht werden sie von Arbeitern, die meist vom Land kommen, weder versichert sind noch gut verdienen. Sie bringen der Mittelschicht nicht nur ihr Mittagessen, sondern auch den Kaffee, eine Kopfschmerztablette aus der Apotheke oder stellen sich für den Kunden in eine Schlange, wenn es Konzertkarten nur noch an der Abendkasse gibt. Der Lieferdienst Meituan und seine Fahrer lieferten im August 2022 insgesamt 78 Millionen Bestellungen an Kunden - an nur einem Tag.

Nicht auf den großen Lieferplattformen vertreten zu sein, kann sich kaum ein Geschäft mehr leisten. Und Läden mit weniger als vier oder fünf Sternen vertrauen viele Menschen nicht. Derweil kämpft Meituan wie andere Lieferdienste mit vielen Betrügern und gekauften Bewertungen, Tausende Restaurants wirft das Unternehmen jedes Jahr von seiner Plattform wegen unbearbeiteter Aufträge und Qualitätsproblemen.

Beim Lieferdienst Meituan bewerten Millionen Juroren den Kauf - vom Produkt bis zur Lieferung. (Foto: imago images/VCG)

Für die Beweiserhebung liegt den Juroren jetzt die Bestellung, Chatnachrichten zwischen Käufer und Verkäufer und die Bewertung vor. Dazu hat der Ladenbesitzer ein Foto nachgereicht: Darauf kräftig strahlende Rosen. "Einspruch stattgegeben!", denkt sich die unerfahrene Jurorin. Doch es gibt auch Zweifler. Auf dem Foto ist kein Datum ersichtlich, "versucht der Händler, uns Juroren hereinzulegen mit einem anderen Strauch?", fragt einer. "Es fehlen klare Beweise!", kommentiert ein anderer. Die Stimmung kippt gegen den Kläger, mit 62 Prozent Ja- und 38 Prozent Nein-Stimmen darf die Bewertung stehen bleiben.

Mangelnde Erfahrung ist tatsächlich ein Problem, das lässt sich in einer Studie von Angela Zhang nachlesen. Sie ist Jura-Professorin in Hongkong und forscht zu den chinesischen Online-Gerichten. In einer Studie erklärt sie, dass unerfahrene Juroren voreingenommener sind, das sinke erst mit Erfahrung.

Auch Meituan ist um die dauerhafte Bindung seiner Geschworenen bemüht. Die Jury-Plattform wirkt wie ein soziales Medium selbst, die Juroren können Antworten bewerten, mit Smiley kommentieren und Fälle mit ihren Followern teilen. Für die meisten ist es eher ein Spiel, aber ein sehr unterhaltsames. Die absurdesten Streitigkeiten gehen auch immer wieder viral. Ein Mann etwa, der eine extra scharfe Suppe bestellte, die ihm dann zu scharf war (86 Prozent stimmten für die Entfernung seiner Bewertung) oder ein Kunde, dem die Erbsensprossen nicht gar genug waren. Die Verteidigung des Verkäufers, die 92 Prozent der Juroren überzeugte: Wir sind ein Supermarkt, wir kochen gar nichts.

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