Pikanter Militärskandal:Militär in der Midlife-Crisis?

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Wozu braucht die brasilianische Armee 35 000 Viagra-Pillen? Zur Behandlung von Lungenhochdruck, heißt es, doch diese Erklärung ist überaus fragwürdig. (Foto: AFP)

Die brasilianische Armee hat sich auf Steuerzahlerkosten mit 35 000 Viagra-Pillen eingedeckt, auch Penisprothesen stehen auf der Einkaufsliste. Es hagelt Spott und schlüpfrige Wortspiele, doch hinter all den Späßchen steckt ein ernstes Problem.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Eine der ungeschriebenen Regeln des Internets lautet, dass ein Skandal umso größere Kreise zieht, je besser man Witze über ihn und die Beteiligten machen kann. Die brasilianische Armee muss das gerade am eigenen Leib erfahren: Sie soll haufenweise Potenzmittel auf Kosten der Steuerzahler gekauft haben. Nun hagelt es Kritik, vor allem aber eben auch Spott und Häme. Selbst bei der bei solchen Entgleisungen üblichen Forderung nach "harten" Konsequenzen weiß man nicht so recht: Ist das nun ernst gemeint - oder doch nur Pennälerhumor?

Alles begann vor ein paar Tagen: Elias Vaz, ein Abgeordneter der brasilianischen Sozialdemokraten, hatte auf einer Einkaufsliste des Militärs rund 35 000 Pillen Viagra entdeckt, allesamt wohl vorgesehen für die Verwendung innerhalb der Streitkräfte, dazu war der Kauf laut Vaz auch abgesegnet von ganz oben. "Wir müssen verstehen, warum die Regierung Bolsonaro öffentliches Geld dafür verwendet, um solche großen Mengen an Viagra zu kaufen", sagte Vaz dem Medienportal O Globo, das den Skandal öffentlich gemacht hat.

Panzer mit schlappen Kanonenrohren, Witze über die standhafte Armee

Eine durchaus berechtigte Frage, auf die man aus Armeekreisen zunächst allerdings keine Antwort geben wollte. Später, als der Druck zu groß wurde, argumentierte man mit medizinischen Notwendigkeiten: Die Pillen seien für Patienten mit pulmonaler arterieller Hypertonie bestimmt, einer Krankheit, die auch bekannt ist unter Lungenhochdruck. Laut Experten, die O Globo kontaktierte, wird sie durchaus auch mit Viagra behandelt - allerdings in Dosierungen, die weit geringer sind als die Tabletten, die vom Militär gekauft wurden. Üblicherweise würden diese vor allem für einen Zweck eingesetzt: die kurzzeitige Behebung von Erektionsstörungen.

Kaum war die Nachricht in der Welt, gingen schon die Witze los: Karikaturen von Panzern mit schlappen Kanonenrohren. Wortspiele über die standhafte Armee. Nicht ganz ernst gemeinte Klagen darüber, dass man sich "impotent" fühle angesichts dieses Skandals. Und als wäre all dies nicht genug, wurde mittlerweile auch noch bekannt, dass nicht nur Viagra-Pillen für Soldaten gekauft wurden, sondern auch Penisimplantate und Mittel gegen Haarausfall. "Hat unsere Armee eine Midlife-Crisis?", fragte scherzhaft ein Nutzer im Netz.

Hinter all den Späßchen steckt aber auch ein ernstes Problem. Denn während sich das brasilianische Militär mit Viagra eindeckte, gab es im öffentlichen Gesundheitssystem des Landes in den vergangenen Jahren immer wieder Engpässe bei allen möglichen Medikamenten.

Präsident Bolsonaro bezeichnet sich selbst gerne als "allzeit bereit"

Auch die Folgen der Covid-Pandemie sind vielen Brasilianern noch im Gedächtnis: Sie war auch deshalb so verheerend in dem südamerikanischen Land, weil es die Regierung wohl absichtlich unterließ, frühzeitig Impfstoffe zu kaufen. Brisanterweise bekleidete das Amt des Gesundheitsministers damals ein gewisser Eduardo Pazuello, ein General ohne medizinische Ausbildung, der seinen Job so schlecht machte, dass er bald den Beinamen pesadelo bekam, portugiesisch für Albtraum. Viele Brasilianer fragen nun, wie es sein kann, dass das Militär sich eingehend mit Erektionsfragen befasste, während das Land im Corona-Chaos versank.

Jair Bolsonaro bei einer Parade Anfang April. Das Militär ist eine wichtige Machtstütze für den Präsidenten. (Foto: Adriano Machado/Reuters)

Daraus ergeben sich auch politische Konsequenzen: Das Militär ist eine wichtige Machtstütze für Jair Bolsonaro. Brasiliens Staatschef war selbst einmal Hauptmann der Streitkräfte. Er hat eine ganze Reihe von Armeemitgliedern in wichtige Posten gehoben, sein Vizepräsident ist ein hochrangiger Angehöriger des Militärs, und auch bei den Wahlen im Oktober wird Bolsonaro wohl wieder mit einem General an seiner Seite antreten. Längst hat der Wahlkampf begonnen, doch während Bolsonaro früher gerne seine Männlichkeit betont hat und von sich selbst behauptete, er sei imbroxavel, also: "allzeit bereit", so wird er sich in den folgenden Monaten vielleicht mit solchen Kommentaren zurückhalten: Dumme Witze gab es in letzter Zeit schon genug.

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