Urteil zu Gender-Sprache:Der BGH verpasst eine Chance auf Fortschritt

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Das Gericht behauptet, die männliche Form "Kunde" sei neutral. Das stimmt schlicht nicht und entspricht weder dem heutigen Sprachverständnis noch dem wissenschaftlichen Kenntnisstand.

Kommentar von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Natürlich wäre das eine faustdicke Überraschung gewesen, wenn der Bundesgerichtshof sich auf die Seite der 80-jährigen Marlies Krämer geschlagen hätte, die seit Jahren mit Witz und Beharrlichkeit für die weibliche Form in den bis dato männlich gehaltenen Sparkassenvordrucken kämpft. Rechtsprechung ist nun mal von Natur aus konservativ, meistens jedenfalls. Vor dem BGH-Sitzungsaal wies der gerichtsübliche Aushang ja ebenfalls nur auf die "Richter am BGH" hin - obwohl zwei Richterinnen und drei Richter in Sachen Krämer gegen Sparkasse Saarbrücken entschieden haben.

Wäre der BGH nur ein klein wenig mutiger und fortschrittlicher, dann hätte er hier einen wichtigen Anstoß geben können, hin zu einer moderneren Sprache. Denn so erwartbar das Urteil war: Rechtlich ist es alles andere als zwingend. Das Gleichbehandlungsgesetz gewährt denjenigen Ansprüche, die durch bestimmte Maßnahmen eine "weniger günstige Behandlung" erfahren als andere. Ob das so ist, das ist eine Frage der Abwägung - einer Abwägung, in der man sich zum Beispiel ausführlich mit der Prägung der Geschlechterrollen durch Sprache beschäftigen könnte. Es liegt auf der Hand, dass es für Frauen "weniger günstig" ist, als Kontoinhaber oder Darlehensnehmer tituliert zu werden - schon deshalb, weil dies ein Widerhall der eigentlich überwundenen männliche Erstzuständigkeit für finanzielle Dinge ist.

Der BGH hingegen argumentiert mit dem sogenannten "generischen Maskulinum", also jener nur grammatisch männlichen Personenbezeichnung, die auch die Frauen umfasse. Ist das wirklich so? Ist die männliche Form in Wahrheit "geschlechtsblind", wie der BGH sagt? Viele Studien zeigen das Gegenteil: Wenn man von Ingenieuren, Chauffeuren oder Pflegern spricht, dann sieht man vor dem inneren Auge Männer, nicht Frauen. Es stimmt schlicht nicht, was der BGH behauptet - dass die männliche Form neutral sei. Das entspricht nicht dem Sprachverständnis des Jahres 2018 - auch wenn die Gesetze (die zum Teil mehr als hundert Jahre alt sind) oft noch eine andere Sprache verwenden. Das generische Maskulinum ist nicht die Lösung, sondern das Problem; seine angebliche Geschlechterneutralität ist nur eine leere Versprechung.

Trotzdem ist die Konsequenz aus diesem Befund nicht ganz so leicht zu ziehen. Denn geschützt werden muss auch die Sprache, und zwar vor Verkomplizierung und Überfrachtung. Eine sture Doppelnennung der männlichen und weiblichen Form bei allen nur denkbaren Gelegenheiten hemmt den Sprachfluss und stört die Kommunikation. Deshalb ist hier kein Dogmatismus angezeigt, sondern ein intelligenter Gebrauch der Sprache, der traditionelle Prägungen aufbricht, ohne ihre Eleganz zu opfern. Das heißt zum Beispiel: mehr Mut, auch mal allein die weibliche Form einzusetzen.

Was nun die Sparkassenformulare angeht: Da herrscht komplizierter Bankensprech, die Einbußen an sprachlicher Schönheit oder auch Verständlichkeit wären ohnehin gering ausgefallen. Der BGH hätte hier also ohne große gesellschaftliche Kosten ein bisschen Fortschritt verordnen können, der erst einmal auf das Verhältnis zwischen Kasse und Kundin beschränkt gewesen wäre. Diese Chance hat das Gericht leider verpasst.

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