Bauernproteste:Tuten tut gut

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In Deutschland darf nur mit 105 Dezibel gehupt werden. Die Schmerzgrenze des menschlichen Ohrs liegt bei 120 Dezibel. Ob die Bauern wohl so laut sind? (Foto: Steffen Schellhorn/imago stock&people)

Bei Gershwin stehen Hupen in der Partitur, bei der Sommermärchen-WM 2006 trötete sich Deutschland in Ekstase, und jetzt also das große Bauern-Trara: eine kleine und laute Kulturgeschichte des Hupkonzerts.

Von Titus Arnu

Das "Dieselross" von Fendt hatte schlappe sechs PS, als es 1930 auf den Markt kam, die Hupe des Traktors klang etwas schmalbrüstig. Das derzeitige Top-Modell von Fendt, der 1050 Vario, hat 517 PS, wiegt 14 Tonnen und brummt wie ein amerikanischer Sportwagen mit sehr viel Hubraum. Der Hup-Raum allerdings ist limitiert auf einen unscheinbaren Kleinwagensound, der fast peinlich wirkt. In Landmaschinen-Foren findet man allerhand Bastelanleitungen für den Einbau von Doppelhornfanfaren mit deutlich mehr Wumms.

Wenn 5000 Traktoren aller möglichen Hersteller hupend und blinkend durch Berlin rollen, ist akustisch einiges geboten. Die Protest-Sternfahrten der Bauern mit ohnehin recht drastischen Botschaften wie "Grün, gelb, rot - schon ist der Bauer tot" kulminieren in Hupkonzerten, die fast so laut in den Ohren dröhnen wie die Schiffsparade beim Hamburger Hafengeburtstag. Die Hupe hat sich zum Hauptinstrument der konzertierten Bauernproteste entwickelt. Dabei steht in der Straßenverkehrsordnung, dass "Schallzeichen" einen Wert von 105 Dezibel nicht überschreiten dürfen. Und die "Einrichtung für Schallzeichen", also die Hupen, dürfen andere Verkehrsteilnehmer nicht "erschrecken und mehr als unvermeidbar belästigen".

Hupkonzerte haben ihren Ursprung eigentlich in eher unpolitischen Lebensbereichen. Bei Hochzeiten formieren sich Autokorsos, hupend und blinkend rollen sie durch die Stadt. Dieses Ritual stammt aus einem anderen Kulturkreis und aus einer Zeit, als es noch gar keine Autos gab: In Anatolien war es früher üblich, dass die Braut vom Elternhaus abgeholt und auf einem Pferd durchs Dorf geführt wurde, Familie und Freunde liefen hinterher.

Prelude für zwölf Autohupen und sechs Türklingeln

Der Hochzeitskorso wurde längst auch von deutschen Festgesellschaften übernommen. Und nicht nur die Liebe, sondern auch der Sport hatte eine Katalysatorfunktion für die gesellschaftliche Akzeptanz von Hupkonzerten. Nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien kam der Autokorso, der sich ursprünglich in Italien, Spanien und Frankreich entwickelt hatte, mitsamt frenetischem Gehupe in Deutschland an. Richtig etabliert hat er sich bei der Sommermärchen-WM 2006. Der Dreiklang Fahrzeug-Fußball-Fanfare brachte bei den fußball- und autoverrückten Deutschen einen Nerv zum Schwingen. Unter Verkehrssoziologen war übrigens von einer "Transformation von Triumphzügen in den urbanen Kontext" die Rede.

Lange bevor die Hupe als straßentaugliches Feier- und Protestinstrument entdeckt wurde, war sie eine laute Größe in der Hochkultur. Um das Flair der Großstadt wiederzugeben, schrieb George Gershwin bei der Komposition seines Klassikers "An American In Paris" im Jahr 1928 vier Taxihupen in die Partitur. Und die absurde Oper "Le Grand Macabre" von György Ligeti beginnt mit einem Prélude für zwölf Autohupen und sechs Türklingeln, die den Weltuntergang einläuten beziehungsweise eintuten.

Ein Fendt Vario 1050 hat übrigens einen Wendekreis von 17 Metern, dementsprechend schwierig ist es, von der apokalyptischen Hup-Oper die Kurve zurück zu den Bauernprotesten zu kriegen. Es hilft nicht viel, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass "sinnloses Umherfahren" und Hupen in der Innenstadt als Ordnungswidrigkeiten gelten. Und die wütenden Landwirte wollen ja keinesfalls den Weltuntergang einläuten, im Gegenteil. Wie alle anderen, die symbolisch Schallzeichen geben, wollen sie mit dem Lärm etwas signalisieren: mehr Hup-Raum für alle!

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