Erdbeben in Afghanistan:"Am Ende könnten es 5000 Tote sein"

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Ein afghanischer Mann sucht nach einem Erdbeben im Bezirk Zenda Jan in der Provinz Herat im Westen Afghanistans nach Opfern. (Foto: Ebrahim Noroozi/dpa)

Nach den verheerenden Beben in Afghanistan ringen die Menschen mit den Folgen: der Trauer um die Toten, dem Warten auf Hilfe, kalten Nächten im Freien. Ein Helfer berichtet, was die Menschen derzeit am dringendsten brauchen - und wie die Zusammenarbeit mit den Taliban funktioniert.

Interview von Ben Bukes

Neun Mal hatte die Erde am vergangenen Samstag in der afghanischen Provinz Herat gebebt, mit einer Stärke von 6,3, nahe der Grenze zum Iran. Der örtliche Katastrophenschutz NDMA bezifferte die Gesamtzahl der Toten auf mehr als 2400, weit über 11 000 Menschen sollen nach Schätzungen der Vereinten Nationen von dem Unglück betroffen sein. 4,7 Millionen Euro gaben die UN als Soforthilfe frei. An diesem Montag kam es zu Nachbeben, über Verletzte war zunächst nichts bekannt. Naeem Shah, Leiter des Länderbüros der Johanniter in Kabul, ist in Kontakt mit Helfern vor Ort.

SZ: Herr Shah, wie geht es den Menschen in den betroffenen Gebieten momentan?

Naeem Shah: Die Menschen sind total geschockt. Unsere Teams haben zum Beispiel mit jemandem gesprochen, der der einzige Überlebende einer 17-köpfigen Familie ist. In der ländlichen Region, die vom Erdbeben getroffen wurde, sind die Einkommen sehr niedrig. Die Leute haben also keinerlei Polster, um Schocks wie diesen abzufedern.

Was brauchen die Menschen jetzt am dringendsten?

Vor allem Decken, weil sie draußen schlafen müssen und die Nächte inzwischen ziemlich kühl sind. Ansonsten benötigen sie natürlich Nahrungsmittel, und die Verletzten müssen medizinisch versorgt werden. Und bald brauchen sie auch Hilfe beim Wiederaufbau der Häuser und Unterstützung bei ihrem Lebensunterhalt. Viele Menschen in der ländlichen Region sind abhängig von Nutztieren, und viele Tiere sind unter den Dächern begraben worden. Diese Kühe, Schafe und Ziegen müssen ersetzt werden.

Wie konnte es dazu kommen, dass das Erdbeben derart verheerende Auswirkungen hatte?

In der Region Herat sind die Sommer sehr heiß und die Winter sehr kalt. Deshalb sind die Häuser komplett aus Lehm gebaut, so bleibt es im Sommer einigermaßen kühl und im Winter warm. Es sind keine stabilen Holzbalken unter dem Dach wie in anderen Regionen Afghanistans. Die Häuser sind durch das Erdbeben also alle eingestürzt, Dorf für Dorf. Im Distrikt Zinda Jan sind 13 Dörfer nahezu vollständig zerstört worden. Das Erdbeben traf die Region am Morgen, die Häuser sind also über den Menschen eingestürzt. Und die Maschinen zur Bergung, die Kräne, erreichen die Region erst jetzt. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Opferzahl noch steigen wird. Wenn man sich die Schäden anschaut, könnten es am Ende 5000 oder mehr Tote sein.

Wie helfen Sie den Menschen in der Region?

Wir können mindestens 500 Familien mit Hilfsgütern ausstatten. Und wir hoffen, je nach Unterstützung des deutschen Auswärtigen Amtes, dass wir mindestens 300 bis 500 Familien beim Wiederaufbau ihrer Häuser helfen können. Um Dopplungen zu vermeiden, koordinieren wir uns mit anderen Hilfsorganisationen. Wenn wir zum Beispiel die Hilfsgüter bereitstellen, dann kümmern sich andere um medizinische Versorgung.

Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit mit den Taliban?

Seit vergangenem Jahr haben die Taliban recht viele bürokratische Verfahren eingeführt. Aber im Notfall gelten diese Regeln nicht. Jetzt unterstützen uns die Taliban also, sie erleichtern uns die Arbeit. Denn sie wissen, dass wir die Lücken füllen, die es in der Versorgung durch ihre Regierung gibt.

Welche Hilfe aus dem Ausland ist nun nötig?

Die Taliban-Regierung hat bisher nicht um internationale Hilfe gebeten. Aber uns bitten sie, ich war heute bei einem Minister, und er hat um jegliche Hilfe gebeten, die wir geben können. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist finanzielle Unterstützung aus dem Ausland.

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