Erdbeben in Afghanistan:"Es war unerträglich"

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Heimat in Trümmern: Das gilt gerade für viele Menschen. Bei diesem Jungen und seiner Katze ist ein schweres Erdbeben der Grund dafür, beide leben in der Provinz Herat in Afghanistan. (Foto: Omid Haqjoo/AP)

Nach mehreren schweren Erdstößen in Afghanistan rechnen die Taliban mit mindestens 2500 Toten. Für schnelle und wirksame Hilfsmaßnahmen ist das Land nicht gerüstet.

Von Tomas Avenarius

Als ob das Leid der Menschen in Afghanistan nicht schon groß genug wäre: Nach einem schweren Erdbeben rechnen die Taliban in Kabul mit mindestens 2500 Todesopfern. Dies erklärten Vertreter der Islamisten, die das Land am Hindukusch kontrollieren, ohne von der Welt als legitime Regierung anerkannt zu werden. Es könnten aber auch noch weit mehr Todesopfer sein, da viele der verschütteten Dörfer von den Helfern noch nicht erreicht worden sind, so die Taliban. Hinzu kommt nach dem verheerenden Beben im Westen des Landes eine Vielzahl von Verletzten. Mehr als 11 000 Menschen sind nach Angaben des UN-Nothilfebüros (OCHA) von dem Erdbeben in der Provinz Herat betroffen. Die Vereinten Nationen haben am Sonntag fünf Millionen Dollar Soforthilfe freigegeben und kündigten nach der Abschätzung des Bedarfs einen baldigen Spendenaufruf an. In mindestens elf Dörfern seien sämtliche Häuser zerstört worden.

Bei dem Erdbeben am Samstag hatte es an der afghanisch-iranischen Grenze insgesamt mindestens acht Erdstöße gegeben. Der stärkste von ihnen soll 6,3 auf der Richterskala erreicht haben, so die US-Erdbebenwarte USGS. Am stärksten betroffen war der afghanische Bezirk Sindadschan, nordwestlich der Millionenstadt Herat. Auch in der rund 300 Kilometer von der Erdbebenzone entfernten iranischen Metropole Maschhad sollen die Häuserwände gewackelt haben.

"Die Rettungsoperation läuft weiter", sagte Mullah Dschanan Schaiyek, der Sprecher des afghanischen Katastrophenministeriums der Nachrichtenagentur Bloomberg am Telefon. "Viele Personen liegen immer noch unter dem Schutt und sind inzwischen wahrscheinlich tot." Das Beben habe neben der Provinz Herat auch die Nachbarprovinzen Nimroz, Badghis und Farah getroffen.

Viele Menschen mussten wegen zerstörter Häuser im Freien übernachten. (Foto: Mashal/dpa)

Afghanistan ist als Erdbebengebiet berüchtigt. Am Hindukusch-Hochgebirge treffen die Arabische, die Indische und die Eurasische Erdplatte aufeinander. 2022 kamen bei einem Erdbeben mehr als 1000 Menschen ums Leben. Die Hilfemaßnahmen waren damals völlig unzureichend. Nach mehreren Jahrzehnten Krieg und Konflikt sind viele Häuser in dem unterentwickelten Land schlecht gebaut; oft sind es nur einfache Stein- oder Lehmkonstruktionen. Erdbeben richten in Afghanistan daher schnell schwere Schäden an. Die Taliban verfügen zudem über keinen funktionierenden Katastrophenschutz. Sie haben weder genug Gerät für die schnelle Räumung noch ausreichend Flugzeuge oder Helikopter für Noteinsätze und um Verletzte abzutransportieren.

In den sozialen Medien waren auf Videos Menschen zu sehen, die mit den blanken Händen in den Trümmern nach Überlebenden suchten. Mohammed Rafik Schirsai, ein Arzt, der zu einem Rettungsteam gehört, sagte der Nachrichtenagentur dpa über die Zustände: "Es war unerträglich. Wir sahen fünf, sechs Dörfer. Die sind dem Erdboden gleich." Häufig könne man keinen Unterschied mehr zwischen Häusern und Straßen erkennen. "Unter jedem Stück Erde könnte ein Mensch sein, der sein Leben verloren hat und den niemand mehr retten kann."

Im August 2021 hatten die Taliban in Kabul erneut die Macht übernommen. Die damalige afghanische Regierung floh, die sie unterstützenden internationalen Streitkräfte zogen überhastet ab. Seitdem ist das Land wegen seiner Politik, die vor allem Frauen, Mädchen und jede Opposition unterdrückt, international isoliert. Auch die frühere internationale Hilfe ist bis auf Nothilfe unterbrochen.

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