Das Landgericht Gießen hat die Berufung der Ärztin Kristina Hänel verworfen. Die Richter milderten nur das Urteil ab in eine Geldstrafe von 2500 Euro. Die Allgemeinmedizinerin war bereits im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie auf der Internetseite ihrer Praxis über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte. Weil sich das Gesetz geändert hatte, musste der Fall nun neu verhandelt werden. Hänels Anwalt hatte gefordert, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes einzuholen.
Die Causa Hänel hatte vor zwei Jahren in Deutschland eine kontrovers geführte Debatte darüber ausgelöst hatte, welche Informationen Ärzte zu Schwangerschaftsabbrüchen geben dürfen, ohne dafür strafrechtlich belangt zu werden. Die Gießener Ärztin hatte auf der Internetseite ihrer Praxis darauf hingewiesen, diese anzubieten. Abtreibungsgegner hatten das entdeckt und Hänel angezeigt. Für die Befürworter einer völligen Streichung des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch wurde sie zur Galionsfigur.
Im November 2017 war die Ärztin dann in erster Instanz vom Amtsgericht Gießen zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Das Landgericht verhandelte bereits zum zweiten Mal über den Fall: Vor gut einem Jahr bestätigte es das Amtsgerichtsurteil. Im Juli dieses Jahres hob dann das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt das Urteil wieder auf. Das Gericht begründete die Entscheidung mit der Reform des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, die im Februar dieses Jahres beschlossen wurde. Es lasse sich "nicht ausschließen, dass das neue Recht zu einer für die Angeklagte günstigeren Bewertung führt", hieß es. Der Fall müsse neu verhandelt werden.
Nach heftigem Ringen zwischen CDU, CSU und SPD war der Paragraf 219a zwar nicht gestrichen, aber ergänzt worden. Ärztinnen und Ärzte dürfen demnach öffentlich machen, dass sie Abbrüche vornehmen. Weitere Informationen, etwa über das Wie, sind den Anbietern aber nicht erlaubt.
"Medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch"
Im bundesweit ersten Strafprozess nach der Neufassung waren zwei Berliner Ärztinnen im Juni zu jeweils 2000 Euro Strafe verurteilt worden. Auf der Internetseite ihrer Gemeinschaftspraxis war zu lesen, dass ein "medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch" zum Leistungsspektrum gehöre. Ebenfalls aufgeführt war, dass dies "in geschützter Atmosphäre" erfolge. Die Ärztinnen hätten nur angeben dürfen, dass in der Praxis Abbrüche möglich sind, nicht aber in welcher Form, begründete das Gericht sein Urteil.
Und nun stand also Hänel wieder vor Gericht. Die Kammer in Gießen machte deutlich, dass sie es für fraglich halte, ob der Paragraf 219a verfassungsgemäß sei. "Man kann erhebliche Bedenken haben", sagte die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze. Der Paragraf sei auch nach der Reform "nicht gelungen", er sei ein Kompromiss im "Schnellstrickverfahren" und widersprüchlich. Die Gerichte seien aber an die gültigen Gesetze gebunden, begründete die Richterin ihr Urteil.
Der erneute Schuldspruch dürfte die 63-Jährigen wenig stören, denn sie hat sich vorgenommen, durch alle Instanzen zu gehen. Die Aufhebung ihrer Verurteilung durch das OLG hatte sie nicht als juristischen Erfolg gewertet, im Gegenteil. Sie bedeute eine Zeitverzögerung und "Ehrenrunde auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht", sagte die Medizinerin damals. Hänel nämlich will nach wie vor die völlige Streichung von Paragraf 219a Strafgesetzbuch erreichen. Jetzt will sie deshalb das Ziel Karlsruhe weiterverfolgen. Dafür muss ihr Urteil rechtskräftig werden. "Dann ist der Weg zum Verfassungsgericht für uns frei", so Hänel.