Organisierte Kriminalität:Das Mutterland der Mafia steht in der Verantwortung

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Müsste Italiens oberster Mafia-Jäger sein: Innenminister Matteo Salvini (links). Gemeinsam mit dem Präsidenten der Region Latium, Nicola Zingaretti, beim Abriss eines Mafia-Anwesens nahe Rom. (Foto: AFP)

Solange die Mafia nicht im großen Stil mordet, hat sie zumeist freie Hand. Die italienische Politik müsste viel entschiedener vorgehen. Aber auch in Deutschland geschieht zu wenig.

Kommentar von Oliver Meiler, Rom

Es war immer eine Illusion zu glauben, die Mafia sei nur in Italien aktiv, vielleicht noch in New York und Chicago. Wie im Film. Bei der 'Ndrangheta war es sogar töricht. Keine andere Mafia der Welt ist globaler als die kalabrische, sie ist mit Ablegern auf allen Kontinenten präsent. Die europaweite Razzia mit neunzig Festnahmen zeigte das geradezu exemplarisch. Die 'Ndrangheta war schon global, als der Begriff Globalisierung noch gar nicht geläufig war - als dunkle, kriminelle Avantgarde. Von den nebligen Hängen des Aspromonte, dem kalabrischen Bergmassiv, zur Weltherrschaft im Drogenhandel: Wäre ihr Tun nicht traurig, hätte die Expansionsgeschichte das Zeug zum Lehrstück für die Geschäftswelt.

Ungefähr fünfzig Milliarden Euro setzt die 'Ndrangheta im Jahr um, vor allem mit Kokainhandel, dazu kommen noch das Bauen, die Müllentsorgung, das Glücksspiel. Dieses Geld legt sie in Europa an, in Deutschland am liebsten, möglichst diskret. Nicola Gratteri, der Staatsanwalt aus Catanzaro und wohl beste Kenner der kalabrischen Mafia, erzählte vor einigen Tagen bei einem Auftritt in Rom: "Wenn die 'Ndrangheta etwa in Frankfurt eine Pizzeria kauft, dann sorgt sie auch dafür, dass in der Straße kein Fahrrad geklaut wird." Nur nicht auffallen. Oft reicht das schon aus, um die Öffentlichkeit zu täuschen.

Kalabrische Mafia
:Was die 'Ndrangheta so gefährlich macht

Anders als bei der sizilianischen Cosa Nostra gibt es bei ihr fast nie Kronzeugen. Die Macht der 'Ndrangheta gründet auf effizient organisiertem Drogenhandel und fast unzerstörbarer Blutsbrüderschaft.

Von Oliver Meiler, Rom

In Europa, sagte Gratteri, müsse man endlich vernetzter denken, um der Mafia beizukommen, auch bei der Gesetzgebung. Das italienische System sei nicht perfekt. "Doch in anderen Ländern stehen sie bei Stunde null." Gemeint war auch Deutschland, obschon man da spätestens seit den Abrechnungsmorden in Duisburg im Jahr 2007 weiß, dass die 'Ndrangheta eine Multinationale ist.

Italien aber bleibt das Mutterland der Mafia. Und man kann sich fragen, warum es den Italienern nie gelungen ist, sie zu besiegen. Dem Terrorismus, dem linken wie dem rechten, ist man schließlich auch beigekommen. Doch wahrscheinlich hinkt der Vergleich: Die Roten Brigaden und die neofaschistischen Terrorgruppen forderten den Staat frontal heraus, die Mafia dagegen arrangiert sich mit der Politik. So halten es die kampanische Camorra, die sizilianische Cosa Nostra, die apulische Sacra Corona Unita und 'Ndrangheta. Die Italiener sagen: Politik und Mafia, das ist wie Wasser und Fisch.

Tötet die Mafia, reagiert der Staat

Solange die Mafia nicht tötet, ist es, als gäbe es sie nicht. Dann geht auch der ständige und noble Kampf der Zivilgesellschaft unter in der allgemeinen Gleichgültigkeit. Tötet die Mafia aber, legt sie Bomben, dann reagiert der Staat, dann verschärft das Parlament die Gesetze, etwa das Haftregime für Mafiosi oder die Politik der Güterbeschlagnahmung. Nach den Morden an den sizilianischen Richtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 hieß es, Cosa Nostra habe den Bogen überspannt. Der Staat konnte nicht anders, er musste reagieren. Es mussten Bosse ins Gefängnis, die davor als unauffindbar gegolten hatten - während Jahrzehnten, wohlgemerkt. Verhaftet wurden dann viele von ihnen bei sich zu Hause.

Seither bemüht sich die Mafia wieder, nicht aufzufallen. Um sich neu zu formieren. Gerade dieser Tage flog in Palermo eine Gruppe auf, die im Stillen eine neue "Cupola" formiert haben soll. Kuppel - so nennt man die Spitze der sizilianischen Mafia. Ganz große Fische aber waren nicht dabei. Der größte Fisch von allen, Matteo Messina Denaro aus Castelvetrano, gilt als "flüchtig". Seit Jahrzehnten.

© SZ vom 06.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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