Zwischen Welten:Trauer um die Oma

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Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Ohne den Krieg würde ihre Großmutter noch leben, davon ist unsere Kolumnistin überzeugt. Und sie kann nicht einmal bei der Beerdigung dabei sein.

Von Emiliia Dieniezhna

Am Wochenende ist meine Oma Alla gestorben. Im Vergleich mit den Tausenden Opfern des Krieges klingt so ein persönliches Einzelschicksal vielleicht nicht so schockierend, Menschen kommen auf die Welt und verlassen sie wieder, das ist der Lauf des Lebens. Aber ich bin überzeugt davon: Wenn es keinen Krieg gäbe, wäre sie noch am Leben.

Omas Heimatstadt war Donezk, sie hat sie sehr geliebt. Auch ich erinnere mich gut, wie schön, wie grandios die Stadt war, als ich als Kind dorthin kam. Als Russlands Hybridkrieg im Donbass 2014 begann, wohnte und arbeitete ich in Kiew. Mein Vater hat mich in der Nacht angerufen und gebeten, ihn und Oma nach Kiew zu holen. Er telefonierte aus dem Keller ihres Hauses, ich konnte das Geräusch der Bomben hören. Und kaum glauben, dass das wirklich passierte, es kam mir fast surrealistisch vor.

Ich habe die Zugfahrkarten von Donezk nach Kiew besorgt, damals gab es noch eine Zugverbindung zwischen dem Osten der Ukraine und den anderen Städten. Die Oma und der Vater sind aber nicht lange in Kiew geblieben. Nach ein paar Monaten haben sie die Entscheidung getroffen, zurück nach Hause zu gehen. Für mich war diese Entscheidung schwer zu verstehen, aber für meine Oma war es wohl daheim am besten.

Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Donezk wurde zeitweilig besetzt, und mir war es nicht möglich, dorthin zu fahren. Es wäre eine lange und gefährliche Fahrt gewesen, vorbei an Posten, die einen genau unter die Lupe nehmen. Ich hatte Angst, dass ich mit meiner pro-ukrainischen Einstellung gefangen genommen werden könnte oder etwas noch Schlimmeres passieren könnte.

Die Oma wiederum konnte Donezk nicht mehr verlassen, sie ist mobilitätseingeschränkt, die Fahrt wäre für sie zu schwer und lang gewesen. So haben sie und mein Vater sich daran gewöhnt, unter regelmäßiger Bombardierung zu wohnen. Seit dem Angriff Russlands im Februar 2022 ist alles noch schwieriger geworden. Die Oma und Vater wohnten fast immer im Keller eines Mehrfamilienhauses, in der Nähe ihres früheren Hauses, schon lange ohne Strom, auch im Winter, und oft ohne Trinkwasser. Und mit einer schlechten medizinischen Versorgung. Fast alle guten Ärzte und Krankenschwestern sind längst weggefahren, gute Medikamente sind schwierig zu finden und natürlich sehr teuer, es gibt keine Krankenversicherung in dem besetzten Gebiet.

Zuletzt wäre die Oma doch froh gewesen, doch aus Donezk wegzukommen. Aber seit 2022 war das noch schwieriger, die Fahrt hätte etwa 2000 Euro gekostet und bis zu einer Woche gedauert, und man hätte aus dem Donbass durch Russland nach Westeuropa fahren müssen, eine andere Verbindung gibt es nicht mehr. Und von hier aus konnte ich leider nichts für sie tun.

Die Lehre dieser Geschichte ist für mich: Zuerst hat Russland Omas Heimatstadt zerstört, dann ihr Haus. Und jetzt meine Chance, bei ihrer Beerdigung dabei zu sein.

Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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