Seit 16 Monaten treffen sich jedes Wochenende am Baryschewka-Platz in Pullach, der die Partnerschaft zwischen der Gemeinde und einem Dorf im Kiewer Gebiet symbolisiert, hier lebende Ukrainer und Deutsche. Sie sprechen über den Krieg, über Hilfsleistungen und über das Leben der ukrainischen Flüchtlinge in Pullach. Diesmal gab es etwas Besonderes am Platz: einen zerschossenen Krankenwagen aus der Ukraine. Den Krankenwagen hat die Litauische Gemeinschaft in Deutschland hierher gebracht, er soll auf die russischen Kriegsverbrechen aufmerksam machen. Ich habe ihn vor ein paar Wochen schon bei einem Ukraine-Treffen am Münchner Marienplatz gesehen. Das ist mir sehr nachgegangen, es gab mir das Gefühl, der Krieg ist hinter mir hergekommen.
Der Krankenwagen wurde bis vor Kurzem noch im Gebiet von Charkiw eingesetzt, um Zivilisten aus der Gefahr zu bringen. Leider wurde er trotz der "Grünen Korridore" gezielt beschossen. Eine Person wurde schwer verletzt, die andere starb. Als ich den Krankenwagen anschaute, dachte ich: So sieht Russlands Krieg aus. Ich bin den Organisatoren sehr dankbar, dass wir das hier mit eigenen Augen sehen können. Meine litauische Bekannte Irma Petraityte-Luksiene ist auf die Idee gekommen, den zerschossenen Krankenwagen nach Deutschland zu bringen. Sie wollte zeigen, dass der russische Krieg nicht irgendwo weit weg stattfindet, sondern auf europäischem Boden. Die ukrainischen Aktivistinnen in München, Valentyna De Maar und Tamara Okhrimenko, haben die Idee unterstützt. Irma erzählt, dass es für sie schon von 2014 an sehr wichtig war, die Ukraine praktisch zu unterstützen. Ihr Verlangen zu helfen sei noch größer geworden, als Russland 2022 seinen Angriff begonnen hat.
Sie sagt, der Grund dafür sei wahrscheinlich das historische Gedächtnis der Litauer. In jeder Familie hat man Erinnerungen daran, wie die Russen in Litauen einmarschierten und wie viel Leid und Gewalt das gebracht hat. Irma hat entschieden, so aktiv wie möglich zu sein, mit Demos, Pressekonferenzen oder eben dieser Krankenwagen-Aktionen. Und auch aktiv zu bleiben, man dürfe der Beschäftigung mit diesem Krieg nicht überdrüssig werden. Jeder könne etwas beitragen, findet Irma, um den Krieg zu beenden. Sie erzählt, wie viele Aktivisten und Organisationen diese Aktion unterstützen wollten. Zum Beispiel die Osteuropahilfe der Landkreise Starnberg, Bad Tölz-Wolfratshausen und München, die den Krankenwagen zunächst nach Icking brachten, von dort aus macht er nun die Runde durch einige Gemeinden.
Bei dem Treffen am Wochenende in Pullach habe ich das Vorstandsmitglied der örtlichen Organization, Jörn Bertleff, und die Vorsitzende Maria Reitinger gefragt, was sie dazu motiviert hat. "Es gibt ein Richtig und ein Falsch. Was Russland in der Ukraine macht, ist das Falsche. Deswegen bin ich seit Monaten bei der Hilfe für die Ukraine engagiert. Wenn die Menschen den Wagen sehen, werden sie sensibilisiert, das kann sie weiter motivieren zu helfen", sagt Jörn. Maria erzählt, dass es immer Gesprächsstoff am Wagen gibt. Ob es auch hilft, mehr Spenden zu sammeln, wird man noch feststellen. Mit dieser Aktion will man nämlich das Geld für einen neuen Krankenwagen mit Ausrüstung für die Ukraine zusammenbringen.
Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.