Zwangsversteigerung in München:Zum Ersten, zum Zweiten, zum Eigenheim

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Eine Zwangsversteigerung im Gerichtssaal - ist das wirklich der einzige Weg, im teuren München noch an eine bezahlbare Immobilie zu kommen? Auch hier geht es oft bis an die Schmerzgrenze. Ein Tag unter Bietern.

Lisa Sonnabend

Großes Gedränge im Saal, es geht turbulenter zu als beim Strafgericht, wenn ein echter Krimi verhandelt wird. Jüngere mit Kapuzenpullover und in Turnschuhen, Ältere in Anzug und mit Schirmmütze. Fast alle der etwa 80 Plätze im Raum 202 sind besetzt. Die gepolsterten Stühle könnten auch im Meetingraum eines bedeutenden Konzerns stehen, die Fensterscheiben sind so groß, dass viel Tageslicht hineinscheint. Einer dieser mächtigen Kinderwagen, die in kein normales Auto passen, steht im hinteren Eck des Saals.

Unterm Hammer: Die Zwei-Zimmer-Wohnung in der Dewetstraße in Milbertshofen. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein ganz normaler Tag im Amtsgericht an der Infanteriestraße 5 in München. Es steht eine Zwangsversteigerung an. In einer Stadt wie München, in der die Immobilienmarktpreise ständig steigen und immer groteskere Züge annehmen, wird die Auktion für viele zur letzten Hoffnung, selbst einmal Eigentümer zu werden. Unter 4000 Euro pro Quadratmeter sind in der bayerischen Landeshauptstadt kaum noch brauchbare Wohnungen oder gar Häuser zu finden - egal ob im Lehel, in Laim oder in der Lerchenau.

Das Objekt, das die Menschen an diesem Donnerstagmittag in den Gerichtssaal gelockt hat, ist sicher keine Traumwohnung, aber doch recht attraktiv: Es geht um eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Loggia, 46 Quadratmeter, in recht zentraler Lage, nur 200 Meter vom U-Bahnhof Milbertshofen entfernt. Besichtigen konnte die Wohnung niemand vor dem Versteigerungstermin, doch die Informationen, die im Vorfeld über die Immobilie gegeben wurden, sind ausführlich. Fotos im 30-seitigen Exposé zeugen davon, dass die Räume hell, die Wände recht hoch und der Boden in passablem Zustand sind. Streitigkeiten mit den bisherigen Mietern sind zudem unwahrscheinlich: Die Wohnung steht leer, versichert die Richterin zwei Mal.

Schon fangen die Ersten im Saal an, zu rechnen. Der Verkehrswert ist in dem Gutachten auf 110.000 Euro geschätzt worden, die Versteigerung beginnt deswegen bei fünf Zehnteln des Wertes, also bei 55.000 Euro. Makler- und Notarkosten fallen nicht an. Auch wenn Bad und Küche klein sind und keine Fenster haben - das sieht aus wie ein Schnäppchen.

Seit gut einem Jahr würden immer mehr Menschen zu Zwangsversteigerungen kommen, hat Amtsgericht-Sprecherin Ingrid Kaps beobachtet. "Viele wollen das Geld, das sie auf der Bank haben, lieber in Immobilien anlegen." Ein wirklicher Billigkauf sei jedoch nur noch zu machen, wenn der Bieterkreis klein ist. Doch das sei fast nie mehr der Fall. "Die Erlöse bei den Versteigerungen fallen deshalb deutlich höher aus", sagt Kaps.

Die Atmosphäre im Saal 202 ist angespannt, einige mustern verstohlen die Bieterkonkurrenz. Zunächst erklärt die Richterin die Regeln der Versteigerung. "Die Einbauküche wird nicht mitversteigert", erinnert sie, sondern müsse gesondert von den Eigentümern abgelöst werden. Und sie warnt: "Es ist nicht möglich, von Ihrem Gebot zurückzutreten." Die gesetzliche Bietzeit dauert mindestens 30 Minuten. Sie beginnt um 13:41 Uhr, doch natürlich haben um 14:11 Uhr noch längst nicht alle den Traum vom Eigenheim aufgegeben.

Für ihr erstes Gebot müssen die Anwesenden nach vorne zum Richtertisch kommen, die Personalien werden aufgenommen, und es wird geprüft, ob sie die erforderliche Sicherheit in Höhe von 11.000 Euro erbracht haben. Danach können sie per Zuruf den Preis in die Höhe treiben.

Erster Bieter ist ein Mann, um die 40, mit rötlichen Haaren, grünem Strickpullover und Jutebeutel. Dann geht eine Frau in kurzem Jäckchen und Pelzkragen nach vorne zur Richterin. Nach wenigen Minuten haben die Bietenden bereits die 100.000 Euro überschritten.

Die Wohnung liegt in einer Wohnanlage, sie ist gepflegt, aber auch kein Prachtstück. (Foto: Stephan Rumpf)

Mehrere Zuschauer protokollieren in Notizbüchern die Entwicklung der Gebote. Christoph ist zum ersten Mal bei einer Zwangsversteigerung, diesmal nur zum Zuschauen. Er hat sein Studium vor kurzem beendet und "den irrwitzigen Plan gefasst, in München zu bleiben", wie er sagt. Das Problem: Die Mietpreise sind dafür viel zu hoch. "Das hier ist die einzige Möglichkeit, an eine halbwegs bezahlbare Wohnung zu kommen", sagt er.

Immer wieder ist ein lautes Räuspern im Raum zu hören. Einige tuscheln, doch es geht bei weitem nicht so laut und hektisch zu wie bei einer Kunstauktion. Inzwischen liegt das Gebot bei 132.500 Euro. Etwa 20 Interessenten haben mitgeboten, vor allem Privatleute, aber auch Vertreter von Immobilienfirmen. Doch nun rufen nur noch vier Personen eine Zahl in den Raum. 135.000, 136.000, 136.500, 136.600. Die Ersten verlassen resigniert den Gerichtssaal.

Dann werden die Pausen länger. Zum Ersten, zum Zweiten, zählt die Richterin an. Doch die Frau in Pelzkragen erhöht noch einmal. Zwischen ihr und dem Mann in grünem Strickpullover geht es hin und her. Als 148.000 Euro genannt sind, versinkt die Fraum immer weiter im Stuhl. Bei 148.700 Euro bespricht sie sich mit ihrem Partner. Bei 149.000 Euro schüttelt sie den Kopf. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten zählt die Richterin. Der Mann im grünen Pullover springt auf, ballt die Faust und umarmt seine Schwiegermutter.

Es ist seine erste Zwangsversteigerung. Ob er nicht Angst hat, die Katze im Sack zu kaufen? "Ich bin spazieren gegangen in der Gegend", sagt er. "Die Wohnung liegt wirklich ruhig und nett." Natascha Strasburger, die bei 149.000 Euro aufgehört hat zu bieten, ist enttäuscht: "Meine Grenze war überschritten. Das war ein Preis wie auf dem freien Markt." Sie will bald wiederkommen, die Hoffnung auf eine bezahlbare Wohnung hat sie nicht aufgegeben.

Hinter einer Zwangsversteigerung steckt meist ein trauriges Schicksal, ein Eigentümer, der plötzlich in die Armut abgerutscht ist. Doch in München steckt dahinter auch immer eine Chance auf das lange ersehnte Glück. Für die kommenden Tage sind am Amtsgericht in der Infanteriestraße wieder zahlreiche Termine angesetzt. Im Angebot: ein Haus in Glonn, eine Ein-Zimmer-Wohnung in Sendling oder eine Doppelhaushälfte mit Garten im reichen Grünwald. Neues Spiel, neues Glück.

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