Entführung der "Landshut":"Die kalte Stelle auf meiner Haut, die spüre ich heute noch"

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Die am 13. Oktober 1977 entführte "Landshut" nach der Landung in Mogadischu. Eine Gruppe der GSG 9 stürmte später das Flugzeug auf dem Flughafen der somalischen Hauptstadt. (Foto: dpa)

Als 19-Jährige erlebt Diana Müll 1977 die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu, Jürgen Vietor muss als Copilot mit ansehen, wie sein Kollege erschossen wird. Zeitzeugen über den Terror von damals - und die Folgen bis heute.

Von Joachim Käppner

Es heißt immer: Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Flugzeugentführung zu werden, sei statistisch äußerst gering. Für die 19-jährige Diana Müll war diese Wahrscheinlichkeit wohl noch weit geringer, rein rechnerisch betrachtet. Dass sie am 13. Oktober 1977 an Bord der Lufthansa-Maschine "Landshut" von Mallorca nach Frankfurt saß, war einer Verkettung von Zufällen geschuldet.

Die damals 19-Jährige aus Gießen hatte einen Schönheitswettbewerb gewonnen. Sie war jung, lebensfroh und sah das Terrorjahr 1977, als die linksextremistische RAF-Bande den Staat aufs Äußerste herausforderte, wie viele Bürger: schrecklich, aber ohne Bezug zum eigenen Leben. Als Preis für den Sieg wurden sie und weitere Schönheitsköniginnen eine Woche nach Mallorca eingeladen; sie hatten eine gute Zeit "und wir feierten, mit allem, was dazugehört", so sagt sie heute. Sie feierten so lange, dass sie um ein Haar ihren Lufthansa-Flug verpasst hätten, eigentlich hätten sie gar nicht mehr einsteigen dürfen, aber ihr Gastgeber bequatschte die Offiziellen so lange, bis man sie doch noch alle an Bord der Boeing 737 "Landshut" ließ.

"Und das", sagt Diana Müll, "war mein Verhängnis."

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Drei entsetzliche Tage später fühlte sie eine kalte Pistolenmündung an ihrem Kopf, ein Terroristenführer mit dem Kampfnamen "Mahmud" drohte sie zu erschießen. Diana, 19 Jahre alt, aus Gießen, ließ er den Behörden Dubais draußen mitteilen, werde als erste sterben, wenn die Maschine nicht betankt werde. Diana Müll stand in der offenen Tür des Flugzeuges. Er zähle nun bis zehn. Bei "neun" meldete sich der Tower: Das Tanken werde erlaubt. "Die kalte Stelle auf meiner Haut", sagt Diana Müll, "die spüre ich heute noch."

Co-Pilot Jürgen Vietor (li.), Passagierin Diana Müll (zweite von rechts) und GSG9-Mitglied Aribert Martin (rechts) sprachen als Zeitzeugen in der LMU über die Entführung der "Landshut" (Foto: Stephan Rumpf)

Im Hörsaal des LMU-Hauptgebäudes ist es vollkommen still, als sie ihre Geschichte erzählt. Vielen Älteren stehen die Fernsehbilder des "Deutschen Herbstes", die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die RAF und der "Landshut" durch ein verbündetes palästinensisches Terrorkommando, die Befreiung der Geiseln in Mogadischu durch die Spezialeinheit GSG 9 noch vor Augen, als sei das alles nicht bereits 45 Jahre her. Für die vielen jungen Studierenden im Hörsaal ist es wie eine Zeitreise, das Interesse ist enorm an dem Zeitzeugengespräch zur "Landshut"-Entführung. Neben Diana Müll nehmen noch der damalige Copilot Jürgen Vietor teil und der frühere GSG-9-Polizist Aribert Martin, der ganz vorn dabei war, als die Einheit am frühen 18. Oktober 1977 die Geiseln rettete, drei Terroristen erschoss und die vierte schwer verletzte.

Die Zeitzeugen bilden heute eine enge Gemeinschaft, sie halten die Erinnerung wach und setzen sich dafür ein, dass aus dem nun in Friedrichshafen stehenden Wrack der "Landshut" ein angemessener Erinnerungsort wird. Gerade erst haben sie dort mit Schülern gesprochen. Die Münchner Veranstaltung wurde von der Stadt, dem Historischen Seminar der LMU und der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung organisiert. Nach einer im Rückblick nicht mehr ganz leicht zu übersehenden Anzahl von Vorrednern sprachen also die drei Zeitzeugen, und der Abend wurde zu einem Musterbeispiel dafür, warum Bildungsarbeit durch Zeitzeugenschaft so bedeutsam ist. Sie schilderten, kurz gesagt, was Terror bedeutet. Und die Geschichte bekam plötzlich ein Gesicht.

Diana Müll redet offen über die Qualen der Demütigung. Wie die Toiletten verstopft waren und die Geiseln ihre Notdurft auf ihren Plätzen verrichten mussten, die Hitze, das Geschrei, der Gestank; wie die Terroristen ihnen das Handgepäck wegrissen und die jungen Frauen nicht mehr an ihre Antibabypillen kamen, sodass die Periode einsetzte, Blut überall, sagt Diana Müll.

Jürgen Vietor berichtet, wie er über die Leiche des Piloten Jürgen Schumann steigen musste; wie "Mahmud" Schumann in Aden einfach erschoss, während eine seiner Komplizinnen ungerührt einen Apfel aß. Wie die Passagiere den Mord mit ansahen, "auch die kleinen Kinder", sagt Vietor. Schumann war in der Nacht auf das Rollfeld in Aden gegangen, um die Reifen des Fahrwerks zu checken, aber eine Stunde fortgeblieben. Warum, "das ist eine Blackbox", sagt Vietor, "wir haben es nie erfahren." Der Pilot durfte es nicht mehr erklären.

Am 18. Oktober trafen die befreiten Geiseln auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt ein. (Foto: Roland Witschel/picture alliance/dpa)

Aribert Martin hält Menschen wie Diana Müll und Jürgen Vietor für die eigentlichen Helden, wie er sagt. Sie mussten Tage der Todesangst ertragen. "Wir von der GSG 9 waren nicht die Helden", erklärt er, "wir haben unseren Job gemacht." Furcht habe er nur kurz gehabt, als sie in der Nacht von Mogadischu die Flugzeugtür aufstemmten: "Ich hatte Angst, dass wir in die Luft gesprengt werden könnten. Aber nicht vor dem Kampf Mann gegen Mann, dafür hatte uns unsere Ausbildung vorbereitet. Und das haben wir ja auch hinbekommen."

Trotz der glücklichen Befreiung ließ das Erlebte viele Geiseln der "Landshut" nie mehr los. Und vielen, wie Diana Müll, stand ein anderer Leidensweg bevor: Kassen, die keine Therapien zahlten; die Lufthansa, die Behörden, die keinen Anlass für Entschädigungen oder Opferrente sahen. Am Ende sagt Jürgen Vietor, der solche Dinge mit sarkastischem Humor kommentiert, weil sie dann vielleicht leichter zu ertragen sind: "Leute, seht zu, dass Ihr keine Opfer werdet. Werdet lieber Täter, für die interessiert sich jeder. Opfer haben immer die Arschkarte."

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