Wolfratshausen:Rassistische Anwürfe gegen Geflüchtete

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Bei der Wolfratshauser Bürgerversammlung, hier der Blick vom Publikum aufs Podium, ging es wenig weihnachtlich zu. (Foto: Hartmut Pöstges)

Bei der Bürgerversammlung erhebt eine Nachbarin schwere Anschuldigungen gegen die Bewohner der Unterkunft in Farchet. Polizeichef Czerweny widerspricht mit Fakten. Helferkreis bietet Vermittlung an.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Es war ein frommer Wunsch, den Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) zu Beginn der Wolfratshauser Bürgerversammlung am Montagabend in der Loisachhalle äußerte: "Vielleicht kriegen wir ja ein bisschen Weihnachtsstimmung in die Veranstaltung", sagte er angesichts des ungewöhnlich späten Termins in diesem Jahr. Die blieb jedoch aus. Stattdessen bekam er im zweiten Teil des Abends eine Tirade gegen die Flüchtlinge zu hören, die in der Mehrzweckhalle Farchet leben, inklusive rassistischer Beschimpfung, die so manchen im Saal perplex zurückließ.

Claudia Jungbauer, eine Anwohnerin, nutzte nach dem Rechenschaftsbericht des Bürgermeisters und einer Rede von Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler) die Gelegenheit, eine Anfrage vorzutragen: Sie beklagte, dass die Anwohner der Mehrzweckhalle, die vom Landratsamt seit Anfang 2022 als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird, "insbesondere ältere Leute", nicht mehr spazieren gehen könnten, "weil sie sich nicht raustrauen". In der Halle seien 90 Leute untergebracht, Sinti und Roma mit ukrainischem Pass. Diese ließen ihren Müll achtlos vor der Halle und am angrenzenden Loisach-Isar-Kanal liegen, es seien mittlerweile sogar Rattenfallen aufgestellt worden. Weil es zu wenige Toiletten in der Halle gebe, sehe man Bewohner mit Klopapierrollen in den Wald gehen. Die Lage sei "nicht tragbar", erzürnte sich Jungbauer. "Es wird geklaut, es gibt Schlägereien", behauptete sie und erklärte: "Das sind Zigeuner, und so benehmen die sich auch." Sie sei "weder rechts noch ein Rassist", fügte die Farcheterin an, vermutlich selbst ein wenig erschreckt über ihre Wortwahl. "Aber das geht nicht." Von Teilen des Publikums bekam sie Applaus.

Wolfratshausens Polizeichef Andreas Czerweny (vorne rechts) widersprach mit Fakten. (Foto: Hartmut Pöstges)

Was für ihn nicht geht, erklärte daraufhin der Wolfratshauser Polizeichef Andreas Czerweny. "Es sollte klar sein, dass wir hier niemanden beleidigen, weil das gehört sich nicht", sagte er über die rassistische Entgleisung der Anfragestellerin. Zuvor hatte er den Spruch zitiert, den seine Mutter, als sie aus dem Sudetenland gekommen sei, 1944 auf ein Schild geschrieben habe: "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein."

Den von Jungbauer geäußerten Befürchtungen stellte der Dienststellenleiter der Wolfratshauser Inspektion Fakten gegenüber, anhand der polizeilich erfassten Vorfälle in und um die Unterkunft. Intern, also "in dieser Community", wie Czerweny sagte, habe es in zwei Jahren drei Körperverletzungen gegeben, kleine Schlägereien unter Bewohnern, sowie zwei Handy-Diebstähle. "Einmal haben wir drei vermisste Kinder gehabt, weil die mit jemandem mitgegangen sind, der mit dem Hund Gassi war. Und einmal gab es im Winter eine Feuerstelle hinterm Haus." Extern habe es eine Bedrohung gegeben, nach einer politischen Meinungsverschiedenheit mit einem "anderen Bürger osteuropäischer Herkunft", zwei Verkehrsunfälle mit einem Lieferdienst und eine "Fahrrad-Unterschlagung": Ein Vater habe seinem Sohn ein Rad gegeben, das er im Kanal gefunden habe, weil er geglaubt habe, dass es vom Besitzer entsorgt worden sei. Gewaltverbrechen oder Übergriffe habe es "im Zusammenhang mit diesen Menschen nicht gegeben", stellte Czerweny fest. "Wenn Kinder mit einer Pizzaschachtel bei mir klingeln und fragen, ob ich die warm machen kann, kann ich mich bedroht fühlen. Es kann aber auch sein, dass sie einfach nicht den passenden Ofen haben."

Ines Lobenstein fordert mehr Solidarität ein. (Foto: Hartmut Pöstges)

Bürgermeister Heilinglechner berichtete davon, dass die Stadt nach mehreren Beschwerden von Anwohnern im Oktober einen runden Tisch mit Vertretern ehrenamtlicher Initiativen gestartet habe, um zu klären, wie man mit der Lage umgehe. Der Asyl-Helferkreis sei "auch nicht glücklich über diese Unterbringung", sagte dessen Vorsitzende Ines Lobenstein, "weil sie nicht menschenwürdig ist" - vor allem für die vielen Kinder dort. "Wir haben in der Halle mit den Leuten geredet", berichtete Lobenstein. "Sie waren sehr dankbar und offen." Sie habe erklärt, dass man den Müll nicht einfach vor die Halle werfe. Nun finde einmal pro Woche ein Ramadama mit Mülltüte vor der Unterkunft und am Kanal unter Leitung eines Bewohners statt. An Jungbauer appellierte sie: "Melden Sie sich bei mir und sagen Sie, wo es schlimm ist. Vielleicht schaffen wir es, gemeinsam eine kleine Lösung zu finden."

Auch Fritz Meixner ergriff das Wort: "Es gibt eine Institution, die für diese Kinder und Jugendlichen einen grandiosen Job macht", sagte der Geschäftsführer des Kinder- und Jugendfördervereins (KJFV). "Das ist die Schule in Waldram." Dort habe man zwei Klassen mit jeweils etwa 15 Kindern aus der Unterkunft gebildet, eine in der Grund- und eine in der Mittelschule. Eigentlich handle es sich mehr um eine "Schulsozialisierung" als um eine Beschulung, weil viele Kinder noch nicht Lesen und Schreiben konnten. Inzwischen sei man aber bei vier, fünf Schulstunden. "Die ganze Schulfamilie leistet da einen sehr wertvollen Beitrag zur Integration."

Landrat Niedermaier hatte erklärt, dass die Wolfratshauser Mehrzweckhalle dringend als Unterkunft gebraucht werde. Die Anregung einer Bürgerin, dort zusätzliche mobile Toiletten aufzustellen, versprach er zu prüfen. Gerüchte, dass in Wolfratshausen bald schon Containerunterkünfte entstehen könnten, bestätigte Niedermaier. "Es gibt Grundstücke in Wolfratshausen, wo wir eng im Gespräch sind", sagte er. Die Ermächtigungen, dort Unterkünfte zu errichten, könnten seiner Meinung nach in Kürze erteilt werden. Bis zur Fertigstellung dauere es dann aber mindestens sechs Monate, meist eher ein Jahr.

Auf Nachfrage der SZ erklärt das Landratsamt, dass in der Mehrzweckhalle Farchet gegenwärtig 83 Personen leben, darunter 23 Menschen unter 18 Jahren. Grundsätzlich hätten alle Bewohner die ukrainische Staatsbürgerschaft oder einen ukrainischen Pass. Welche Personen davon der Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma angehörten, könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Hierzu erfolge auch keine Abfrage oder Erfassung, um keiner Stigmatisierung Vorschub zu leisten. Die schulpflichtigen Kinder der Unterkunft gehen dem Landratsamt zufolge mittlerweile in die zugeordnete Schule. Die Stadt Wolfratshausen und der Helferkreis übernähmen teilweise die Betreuung. Auch sei die Flüchtlings- und Migrationsberatung durch den Verein Hilfe von Mensch zu Mensch dort tätig. Weil es sich bei der Mehrzweckhalle Farchet um eine Erstaufnahmeeinrichtung handelt, haben laut Kreisbehördensprecherin Marlis Peischer bereits mehrere hundert Personen die Unterkunft durchlaufen, die zwischenzeitlich anderweitig untergebracht wurden. Die längste Aufenthaltsdauer einzelner Bewohnerinnen und Bewohner erstrecke sich über ein halbes Jahr: Manche der Personen seien bereits seit Sommer dieses Jahres dort untergebracht, erklärt Peischer.

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