Chico reagiert auf jede Bewegung. Nähert sich ein Wanderer der eingezäunten Weide, läuft er ihm entgegen - und bellt. Entfernt er sich, beruhigt er sich wieder. Genau so soll er sich verhalten. Der siebenjährige Chico ist ein Herdenschutzhund der Rasse Maremmano mit dem typischen weiß-gelockten Fell. Er soll die 50 bis 60 Tiere von Schafhalter Michael Waldherr vor Wildtieren wie Wölfen schützen. "2010 hat ein Tier 18 Lämmer meiner Herde innerhalb von zwei Monaten gerissen", erklärt der Benediktbeurer.
Im Landkreis haben die Diskussionen um den Schutz von Schafen und Vieh vor dem Wolf in der Nacht auf den 1. April dieses Jahres Nahrung bekommen. In Sankt Heinrich am Südostufer des Starnberger Sees hat ein Wolf vier Schafe gerissen und eines verletzt. Das hat eine DNA-Analyse bestätigt.
Seitdem kochen die Emotionen hoch: Vertreter von Bauern und Jägern würden Wölfe am liebsten erschießen, wenn sie auftauchen. In München demonstrierten am Montag 300 Landwirte aus dem Alpenraum, weil sie die Ausbreitung des Tiers fürchten. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) will den Schutzstatus für den Wolf von Brüssel prüfen lassen.
Dagegen setzen sich Naturschützer dafür ein, dass die Beutegreifer auch im Landkreis leben können. Aus ihrer Sicht ist ein wirkungsvoller Herdenschutz möglich - etwa mit elektrischen Schutzzäunen oder Hütehunden.
Bei Schafhalter Waldherr sahen die Behörden vor sieben Jahren einen Fuchs als Verursacher. Kameras seien aufgestellt, gerissene Lämmer zur Untersuchung mitgenommen worden, erzählt er. "Ich habe aber nie irgendwelche Ergebnisse, etwa zu DNA-Proben, schriftlich bekommen", sagt Waldherr. Sein Vorschlag, die Schafe zwischen zwei Hütten auf seiner Weide einzupferchen und befreundete Jäger auf den Fuchs anzusetzen, sei mit Verweis auf die Schonzeit abgelehnt worden.
Ihm ließ keine Ruhe, dass es womöglich ein Wolf gewesen sein könnte. Um wieder ruhig schlafen zu können, schaffte sich Waldherr den Herdenschutzhund an. Der ist nun immer bei den Schafen auf der Weide in Benediktbeuern. 500 Euro habe er für den Welpen gezahlt. Das Tier koste monatlich viel Geld. Doch das ist es ihm wert.
Vor zwei Wochen wurde ihm trotzdem wieder ein Lamm gerissen. Kopf und rechter Vorderlauf waren glatt abgebissen. Weil er sich noch über das Verhalten der Behörden vor sieben Jahren ärgert, hat er den Vorfall nicht gemeldet. Das Tier muss den elektrischen Zaun zum zusätzlichen Schutz der Schafe überwunden haben. Ohne diese Barriere möchte Waldherr keinen Herdenschutzhund haben. Chico lebe unter den Schafen brav und zurückhaltend. Doch komme ein Fremder zu nahe, könne er aggressiv werden. Dann wolle er nicht ausschließen, dass der Hund zubeiße.
Die Unvernunft von Wanderern fürchtet Waldherr. "Wenn der frei herumliefe, hätte ich Ärger über Ärger", sagt er. Kürzlich habe eine Frau über den Weidezaun zu den Schafen steigen wollen, den ein Begleiter niederdrückte. Laufe ein Hund allein einige Meter vor seinem Herrchen oder Frauchen vorbei, komme der Hütehund an den Zaun und belle. Wer für die Raubtiere wie die Wölfe eintrete, sollen sich dazu offen bekennen und die Kosten bei Rissen übernehmen, findet Waldherr. "Der Staat hat genug andere Probleme."
Szenenwechsel: Auf der Gemeinschaftsalm im Lerchkogel-Gebiet südlich von Fall bewegen sich die Tiere fats frei - rund 250 Stück Jungvieh, Schafe und Rösser. Nur ein Elektrozaun mit schmalem Draht grenzt das weitläufige Areal ein. Der 64-jährige Jakob Wasensteiner hütet auf der Delpsalm für rund zwei Wochen die Tiere, dann wechseln die Hirten. Für den Wolf hat er wenig Verständnis. "Abschießen", sagt er. Rinder, Rösser und Schafe müssten leiden. Das vergäßen die Naturschützer, die für eine Koexistenz einträten. "Ich möchte gar nicht mehr Hirte sein wollen, wenn ich wüsste, der Wolf wäre da draußen." Argumente, wonach die Viehhalter beim Riss eines Tieres entschädigt würden, kann der Gaißacher kaum nachvollziehen. Die Bauern hingen an ihren Tieren. Das Geld könne den Verlust nicht ausgleichen. Einen elektrischen, 1,50 Meter hohen Zaun zum Schutz der Tiere vor dem Wolf tief im Boden zu verankern, sei weder finanzierbar noch im Almgebiet machbar.
Zur Illustration zieht er einen Pfosten des Elektrozauns am rund 1900 Meter hohen Prinzkopfkamm aus dem Boden. Dann steckt er diesen wieder hinein. Nach wenigen Zentimetern trifft er auf harten Stein. Der Zaun soll die Tiere vor dem Absturz an der steilen Nordflanke schützen. Den Zaun so fest im Boden zu verankern, dass sich der Wolf darunter nicht durchgraben könne, funktioniere nicht, sagt er.
Aus Sicht von Wasensteiner kann der Wolf auch den Rindern gefährlich werden. Das Jungvieh könne er ganz leicht über den Kamm treiben. Dann stürze es über die Felsen an der Nordseite und werde leichte Beute für das Raubtier. Einen Herdenschutzhund anzuschaffen sei keine Lösung. Die Tiere seien aggressiv. Die finanzielle Belastung sei groß. Die Schafhalter bräuchten die Hunde nur für die vier Monate auf der Alm. "Und was ist in den anderen acht Monaten?", fragt Wasensteiner. Zudem könnten die Herdenschutzhunde für Wanderer gefährlich werden, meint er. In einem so dicht besiedelten Gebiet wie dem Oberland sei kein Platz für den Wolf.
Die Interessen von Wanderern und Bauern sind auf der Heiglkopfalm am Blomberg im Sommer aufeinandergeprallt. Almbauer Xaver Buchberger hatte von Juli bis Mitte September zwei Herdenschutzhunde für seine 16 Jungrinder ausgeliehen. Mit Schildern wies er die Wanderer darauf hin, die eingezäunte Weide wegen der frei laufenden Schutzhunde zu umgehen. Dass sie den Weg nicht mehr nutzen soll, hat erst kürzlich eine Wanderin geärgert. Für Buchberger hat diese Reaktion etwas Gutes. "Sinn war, dass die Hunde auf meine Viecher aufpassen", sagt er. "Die Leute sehen, dass sie sich selbst aussperren, wenn ich meine Viecher vor dem Wolf schützen muss." Er müsse die Wanderer warnen, weil die Schutzhunde aggressiv seien.
Keinerlei Gefahr für Spaziergänger durch die Herdenschutzhunde sieht die frühere Kreisvorsitzende im Bund Naturschutz, Carola Belloni. "Die greifen keine Menschen an. Sie verteidigen die Schafe allein vor Feinden und Raubtieren", sagt sie. Seien die Tiere richtig erzogen und ausgebildet, seien sie für den Menschen nicht gefährlich. Ihre Aussagen belegt sie mit der eigenen Erfahrung. So sei sie selbst vor Jahren mit drei Hirten und einer Schafherde von 1300 Tieren vier Wochen durch Andalusien gezogen. Die spanischen Hütehunde hätten sich innerhalb der Schafherde bewegt, seien zwischen den Tieren fast versteckt geblieben. Wenn die Schafe nicht direkt angegangen würden, griffen sie auch nicht an. "Kühe sind aus meiner Sicht in Touristengebieten viel gefährlicher."
In Italien, Österreich und der Schweiz gibt es ebenfalls Herdenschutzhunde. Laut der Schweizer Fachstelle Herdenschutz sind in dem Alpenland circa 200 im Einsatz, um Raubtiere abzuwehren. Sie wachsen bereits als Welpen zwischen den Schafen auf. Natürlichen Feinden stellen sie sich bellend entgegen. Das reicht in der Regel aus, um die Angreifer zu vertreiben. Wanderer sollten sich laut der Fachstelle ruhig verhalten, wenn ein Herdenschutzhund bellend auf sie zukommt. Radfahrer sollten absteigen. Beruhigten sich die Hunde nicht, sollte das Areal weiträumig umgangen oder umgedreht werden. So soll es keine Probleme geben. Im Weißtannental bei Sankt Gallen setzt ein Bauer sogar auf Lamas. Die greifen bei Bedrohung an und spucken mit ätzender Magensäure.