SZ-Adventskalender:Flexibler Helfer gegen die Angst

Lesezeit: 4 min

Das Kreiskrankenhaus wünscht sich für Demenzpatienten einen Mobilisierungsstuhl, um ihnen nach einer Operation besser helfen zu können. Gemeinsam mit den Freunden der Klinik will der SZ-Adventskalender die teure Anschaffung unterstützen.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Norbert kann sich beugen und aufrichten, drehen, strecken und ducken. Kurzum: Norbert kann alles, was Patienten heutzutage nach einer Operation - zum Beispiel an der Hüfte - sehr bald schon wieder üben müssen. Norbert hilft Menschen dabei, dies zu tun. Denn Norbert ist der Markenname eines Liegeroll- und Mobilisierungsstuhls. Und einen solchen braucht die Kreisklinik Wolfratshausen für ihre Arbeit mit Patienten, die an einer Demenz leiden. Denn mal eben aus dem Bett steigen und ein paar Bewegungsübungen machen, das würde diese Menschen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch extrem überfordern.

Chefarzt Stefan Schmidbauer sagt, die Situation sei "der Klassiker": Ein Demenzkranker stolpert in seiner Verwirrung, stürzt, bricht sich die Hüfte und kommt zur OP ins Krankenhaus. Kliniken rechneten derzeit damit, dass etwa 40 Prozent der Patienten in der Unfallchirurgie dement seien. Menschen aber, deren Orientierung gestört ist, deren Schutzreflexe sie über Situationen täuschen, die verwirrt und ängstlich sind, brauchen im Krankenhaus eine über das Alltägliche hinausgehende Zuwendung, eine besondere Betreuung. Die Klinik am Moosbauerweg in Wolfratshausen hat schon vor Jahren begonnen, sich mit diesen neuen Anforderungen auseinanderzusetzen, Personal weiterzubilden, sich zu vernetzen und räumliche Voraussetzungen zu schaffen. Ohne den Verein der Freunde der Kreisklinik Wolfratshausen wäre vieles davon nicht möglich. So auch die Anschaffung von "Norbert".

In der Kreisklinik wird ein zweites Demenz-Zimmer eingerichtet. Um Betroffenen nach Operationen noch bessere helfen zu können, wünschen sich Krankenschwester Doris Beringer (links), Andrea Lorenz und Patientenfürsprecherin Eva-Maria Hillebrand (hinten) einen Mobilisierungsrollstuhl. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Andrea Lorenz erklärt, wozu Norbert gut ist. Die Anästhesistin und Palliativmedizinerin ist Demenzbeauftragte der Wolfratshauser Klinik. "Wir wollen die Patienten nach einer OP möglichst früh mobilisieren", sagt sie. Bei einem Menschen mit Demenz löse diese Aufgabe aber erst einmal große Ängste aus. "Er will nicht aus dem Bett, klammert sich fest, zittert." Der Mobilisierungsstuhl - zur Liege ausgeklappt - erlaube es, den Patienten mit dem Rollbrett vom Bett herüberzuziehen und dann mit dem mechanisch oder elektrisch regulierbaren Stuhl weiterzuarbeiten.

Das aufwendige, etliche tausend Euro teure Gerät ist nur ein Beispiel dafür, welche technischen Möglichkeiten es gibt, um den Krankenhausaufenthalt für Patienten mit demenziellen Erkrankungen angenehmer zu gestalten. Die Kreisklinik hat bisher schon spezielle Schlafsofas angeschafft, eine Aufstehhilfe, Niederflurbetten und andere Möbel mehr. Und sie hat ein eigenes Demenz-Zimmer für zwei Patienten; ein zweites wird gerade eingerichtet.

Ein kleiner Tisch mit Blumen, zwei fröhlich-rote Ohrenbackensessel, ein Regal mit Spielen und Puzzles, ein CD-Player, Bücher mit "den schönsten Wander- und den schönsten Abendliedern", ein Fernseher an der Wand: Patienten, die im Demenz-Zimmer aus dem Bett aufschauen, blicken auf eine gemütliche Wohnzimmerszene. Denn Geborgenheit ist für sie noch wichtiger als für andere.

Das weiß nicht nur die Demenzbeauftragte. In der Wolfratshauser Klinik sind viele haupt- und einige ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese ganz besondere Herausforderung eingestellt.

Der Chefarzt hat vor acht Jahren die Projektgruppe "Demenz im Akutkrankenhaus" eingerichtet. Seitdem ist viel geschehen, wie Schmidbauer darlegt: Ärztliche Fortbildungen an der Klinik reichten von "Diagnostik der Demenz" bis zu "Juristische Rahmenbedingungen". Außer Haus wurden Spezialfortbildungen und Fachtage besucht, und bei Inhouse-Schulungen wurde auch Pflegepersonal speziell ausgebildet. Die Kreisklinik wurde Mitglied in der Deutschen Alzheimergesellschaft, ein Flyer für Patientenangehörige wurde erstellt, die Vernetzung mit regionalen Partnern führte schließlich zur Teilnahme am Bundesprojekt "Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz".

Die Patientenfürsprecherin der Klinik, Eva-Maria Hillebrand - bis zur Rente Leiterin des Pflegeheims Lenggries - ist ebenfalls in das Projekt integriert und koordiniert ihrerseits einen Kreis ehrenamtlicher Betreuerinnen. Hillebrand erklärt, wie hilfreich dieses Team Tag für Tag ist: "Die Demenzpatienten fühlen sich oft allein gelassen. Sie fragen: 'Was soll ich hier?' Es ist wichtig, dass da jemand ist, der mit ihnen spricht, der ihnen zuhört und sie versteht. Der Demenzpatient hat seine eigene Welt. Wir versuchen, ihn da abzuholen, wo er steht." Ihre Erfahrung sei: Wenn man einfach da sei und zuhöre, "dann geht eine Tür auf, und die Patienten lächeln, reden, fühlen sich verstanden".

Auch als Dossier

1 / 1
(Foto: Catherina Hess)

150 Millionen Euro hat der SZ-Adventskalender für gute Werke in 69 Jahren eingenommen. Zum 70-jährigen Bestehen blickt eine digitale Sonderausgabe zurück, erklärt, wie das Spenden-Hilfswerk funktioniert, und bündelt berührende Geschichten aus München und dem Umland. Erhältlich im Digitalkiosk oder unter: sz.de/sz-adventskalender

Demenz-Krankenschwester Doris Beringer sagt, dieses Gefühl halte bei den Patienten noch lange an, selbst wenn die Betreuerinnen schon wieder weg seien: "Oft den ganzen Nachmittag." Das sieht auch die Demenzbeauftragte Lorenz so. Zwar leugnet sie nicht, wie schwierig der Umgang mit Demenzerkrankten oft sei: "Sie haben so starke Ängste." Aber wenn sich die Ehrenamtlichen dann nur dazusetzten und die Hand hielten, werde es oft schon einfacher. Darüber hinaus bietet die Klinik inzwischen auch die Möglichkeit des "Rooming-in", das heißt, Angehörige können auch über Nacht bei den Patienten bleiben.

Angehörige spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Demenzerkrankten "ruhiger zu führen", wie Schmidbauer formuliert. Die Sicherheit, die sie bedeuten, kann noch unterstützt werden durch vertraute Dinge: "Wir sagen den Angehörigen, sie sollen die Lieblingssachen mitbringen", erklärt Doris Beringer, "das kann eine Puppe sein, ein Kuscheltier, ein Fotoalbum." Die Krankenschwester sagt, Demenzpatienten seien oft "unruhige Geister mit einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus". Für das Pflegepersonal, das nachts bis zu 28 Patienten zu betreuen habe, sei das oft nicht leicht.

Jede Form einer natürlichen Beruhigung ist da hilfreich. Umso mehr, als freiheitsentziehende Maßnahmen in der Klinik absolut tabu seien, wie der Chefarzt sagt. "Dezidiert" habe man sich hier dagegen entschieden, Menschen einzusperren, sie ans Bett zu fesseln oder mit Medikamenten quasi zu fixieren. Das Credo lautet: "Der Demenzkranke muss sich geborgen fühlen."

Gerhard Hasreiter, Vorsitzender der Freunde der Klinik, betont, dass das meiste, was am Moosbauerweg schon für eine sorgsame Behandlung von Demenzpatienten geleistet wird, nicht zur Grund- und Regelversorgung gehöre. Der Chefarzt unterstreicht das: "Freiwillige Leistungen, im System nicht vorgesehen, mit einem erheblichen personellen Aufwand." Vieles sei nur dem 170 Mitglieder starken Verein zu verdanken. Hasreiter hat es einmal zusammengeschrieben: Seit 2012 haben die "Freunde" in das Projekt Demenz an der Klinik beinahe 56 000 Euro investiert. Der Vorsitzende sagt: "Natürlich geht alles auch mit beschränkten Mitteln. Aber nicht so gut."

Der SZ-Adventskalender möchte mit Hilfe der Leser die Anschaffung von "Norbert" für die Wolfratshauser Kreisklinik unterstützen.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: