Landgericht München II:Von Schocks und Schuld

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Immer wieder sind Trickbetrüger mit sogenannten Schockanrufen erfolgreich. Nun traf es eine Seniorin in Anzing. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa-tmn)

Eine Bande hat nahezu eine halbe Million Euro per Telefon erbeutet, darunter waren Opfer aus der Region. Wegen gewerbsmäßigen Betrugs wird nun eine 22-jährige Mutter als Mitglied der Bande zu fast fünf Jahren Haft verurteilt.

Von Andreas Salch, München

Die Folgen für die Opfer sogenannter Schockanrufer sind in aller Regel gravierend: Scham, Selbstvorwürfe, psychische Probleme und dazu noch ein beträchtlicher finanzieller Schaden. Mit perfiden Tricks gelingt es den Tätern, die Geschädigten mit frei erfundenen Geschichten in Angst und Schrecken zu versetzen. Falsche Polizisten oder Staatsanwälte gaukeln ihnen am Telefon etwa vor, ein Familienmitglied habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht. Nun drohe Untersuchungshaft. Diese ließe sich nur abwenden, wenn umgehend eine hohe Kaution hinterlegt werde. Mit dieser Masche arbeitete eine von Polen aus agierende vierköpfige Bande im vergangenen Jahr in Deutschland. Unter den Opfern befinden sich auch eine Frau aus Penzberg und eine weitere aus Pöcking.

Die bislang größte Schadenssumme

Eines der Mitglieder der Bande, eine 22-jährige alleinerziehende Mutter, hat das Landgericht München II am Dienstag wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in sieben Fällen zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Die junge Frau hatte die angebliche Kaution bei den Opfern in sämtlichen Fällen abgeholt. Die Beute des Quartetts, Bargeld, Schmuck und Goldbarren, beläuft sich auf mehr als 455 000 Euro. Es ist die bislang größte Schadenssumme, die im Zusammenhang mit sogenannten Schockanrufern am Landgericht München II verhandelt wurde, wie der Vorsitzende der 4. Jugendkammer, Richter Martin Hofmann bei der Urteilsbegründung feststellte. Das Gericht verurteilte die Angeklagte nach Jugendstrafrecht - da sie bei der ersten Tat noch nicht 21 Jahre alt war und Reifeverzögerungen vorlägen.

Bei der Strafzumessung hielt die Kammer der jungen Mutter zugute, dass sie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bereits zum Prozessauftakt eingeräumt hatte und Reue zeige. Diese hatte die 22-Jährige kurz nach ihrer Festnahme noch vermissen lassen. Zu einer Kriminalpolizisten hatte sie gesagt: "Es ist so leicht ist, die Deutschen zu verarschen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es nicht getan." Auch wenn es sich hierbei um eine "Spontanäußerung" handle, "zeigt dies auf erschreckende Weise, wie wenig Empathie vorhanden gewesen ist", als die Angeklagte die Taten begangen habe, so Richter Hofmann. Das Wort "verarschen" sei "komplett verharmlosend, nach dem Motto: selber schuld." Außerdem ging das Gericht davon aus, dass die 22-Jährige ihre Rolle innerhalb der Bande "etwas beschönigend" dargestellt habe. Bei ihrer Vernehmung hatte sie behauptet, ihre Hintermänner hätten ihr nicht erklärt, warum sie bei älteren Menschen in Deutschland Geld abholen solle.

Goldmünzen, Schmuck und Goldbarren im Wert von etwa 100 000 Euro

Eine Kriminalpolizistin, die den vorliegenden Fall bearbeitet und bereits häufig gegen sogenannte Schockanrufer ermittelt hat, sagte, dass die Opfer keinesfalls dumm und leichtgläubig seien. Fast alle seien intelligent. Vielmehr sei der Schock, den die Täter bei den Geschädigten auslösten, derart groß, dass sie manipulierbar seien. Der Sohn des Opfers aus Penzberg berichtete bei seiner Vernehmung vor Gericht, seine Mutter habe wegen der Übergabe der angeblichen Kaution ihren dementen Mann allein im Haus zurücklassen müssen. Bei der "Kaution" handelte es sich um Goldmünzen, Schmuck und Goldbarren im Wert von etwa 100 000 Euro. Ein falscher Polizist hatte der Penzbergerin am Telefon erzählt, ihr Sohn habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht. Als sich herausstellte, dass sie Betrügern aufgesessen ist, sei seine Mutter "komplett neben der Platte" gewesen, sagte der Sohn. Sie habe "geschluckt", was der Anrufer ihr gesagt habe. Bei der Polizei hatte die 79-Jährige zu Protokoll gegeben: "Im Nachhinein fühle ich mich wie eine Marionette."

Das Opfer aus Pöcking, das die Bande zur Übergabe einer Summe von knapp 173 000 Euro gebracht hatte, schilderte dem Gericht, wie sich während des Schockanruf immer wieder der "Verstand sporadisch gemeldet" habe. Aber durch die geschickte Gesprächsführung des Anrufers sei dieser wieder "ausgeschaltet worden." Während der Tat habe sie "nix geschnallt", so die Frau. Sie habe sich "gefühlt wie ein Fisch an der Wasseroberfläche. Ich hatte keinen Zugriff auf meinen Verstand." Erst nachdem sie der Angeklagten ihren Schmuck übergeben habe, habe sie ein "dummes, mulmiges Gefühl" bekommen. Als sie ihren Bekannten, darunter Akademiker, später erzählt habe, was vorgefallen ist, hätten ihr diese "unisono" versichert, dass sie auch so gehandelt hätten.

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