Ermittlungen an Schule:Antisemitischer Chat am Klostergymnasium

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In Schäftlarn haben Achtklässler auf ihren Handys Hitlerbilder und judenfeindliche Comics geteilt. Offenbar kein Einzelfall: Die Polizei ermittelt derzeit an mehreren Schulen in der Region. Manche Entgleisungen waren womöglich als Scherz gemeint, sind aber strafrechtlich relevant.

Von Viktoria Spinrad

Im Skilager ging es plötzlich los. Die Handys piepten und vibrierten. Wo vorher noch lustige Sticker geteilt wurden, ploppten auf einmal Hitlerbilder, Hakenkreuze, antisemitische Comics und Pornovideos auf den Handys von etwa 50 Achtklässlern des Klostergymnasiums Schäftlarn auf. Inhalte, die zwei 14-jährige Mitschüler in der Gruppe gepostet haben - und die mittlerweile die Münchner Polizei beschäftigen: Sie ermittelt nun wegen Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verbreitung pornografischer Schriften. "In dem Umfang und in so einer Heftigkeit hatten wir das noch nicht", sagt ein Sprecher der Münchner Polizei.

Die Beamten sind nun dabei, alle Schüler einzeln zu vernehmen. Es ist einer der zuletzt häufigeren Fälle von extremistischen Schüler-Chats in der Region - wenn auch einem größeren. Nicht einmal die renommierte Benediktinerschule in Schäftlarn war davor gefeit, eine der ältesten Schulen Oberbayerns. Und während die Ermittlungen noch andauern, hat man in Schäftlarn bereits Konsequenzen gezogen und einen der beiden 14-Jährigen suspendiert. "Wir akzeptieren so etwas grundsätzlich nicht, das ist eine unchristliche Einstellung", sagt Reinhard Rosenbeck, der stellvertretende Schulleiter.

Der Schulleiter warnt, man werde Menschenverachtung "in keiner Form dulden"

Aufgeflogen war der Chat, weil Eltern und Lehrer der Schulleitung entsprechende Hinweise gaben. Mitte Februar informierte das Gymnasium dann die Polizei. In einem Elternbrief wird das Entsetzen der Schule deutlich. "Menschenverachtung werden wir an unserer Schule in keiner Form dulden", schreibt darin Schulleiter Wolfgang Sagmeister. In dem Schreiben verweist er auf die internationalen Beziehungen der Schule und deren christliches Menschenbild. Der Brief endet in einem Appell an die Eltern, weiterhin eine "starke Erziehungspartnerschaft" zu bilden.

Es ist ein Aufruf, der für praktisch jede Schule anwendbar wäre: Denn freilich ist der Schäftlarner Klassenchat kein Einzelfall, sondern vielmehr Symptom für ein grundsätzliches Problem, das in vielen Schülerchats grassiert, aber nur selten auffliegt. Zuletzt gab es ähnliche Fälle in München und Grafing (Landkreis Ebersberg), wo Schüler unter anderem ein SA-Kampflied verschickten, aber auch in Icking, Wolfratshausen und Penzberg, wie die jeweiligen Polizeistellen auf Anfrage bestätigen.

So sendeten Ickinger Schüler des Rainer-Maria-Rilke-Gymnasiums Hitler-Bilder in einem Klassenchat. Die Polizei ermittelt dort gegen sechs Schüler. Elternbrief, Polizeibesuch, Umgangskonzept - auch hier reagierte die Schulleitung offensiv. "Wir müssen diese Fälle zum Anlass für eine verstärkte Werteerziehung nehmen. Das ist unsere einzige Chance", sagt die Ickinger Schulleiterin Astrid Barbeau. In Wolfratshausen ermittelt die Polizei wiederum gegen einen 13-jährigen Realschüler, der pornografische Inhalte verschickt hatte. 20 Kilometer weiter südlich, in Penzberg, hatte die Polizei im vergangenen Jahr gleich zwei Ermittlungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet: Unter anderem soll ein 15-Jähriger ein Foto von sich verschickt haben, wie er auf einem Stuhl stehend den Hitlergruß zeigt.

Die Schüler gehören einer Generation an, die keine Zeitzeugen mehr kennt

Es sind alarmierende Fälle, die laut Polizei aber nichts mit tatsächlich rechts gesinnten Schülern zu tun haben, sondern vor allem verquerem Humor und Nichtwissen zuzuschreiben sind. Am Ende seien es Schüler einer Generation, die den Holocaust nicht mehr durch Augenzeugen, sondern nur noch aus den Geschichtsbüchern kenne. "So sinkt die Hemmschwelle", sagt Christian Schweiger von der Penzberger Polizei. Zumal die Schüler das Thema oft noch gar im Detail kennten, in Bayern wird es von der neunten Klasse an intensiv behandelt. Was auch richtig sei, wie Rosenbeck vom Schäftlarner Gymnasium bestätigt: "Um den Themenkomplex zu verstehen, braucht man eine gewisse Reife."

Um der Hakenkreuze und Judenwitze in den zahllosen Gruppenchats Herr zu werden, ist man Anfang des Jahres auch im bayerischen Kultusministerium tätig geworden. Da wurde ein Handlungsleitfaden für Lehrer an die Schulen verschickt. Eine Handreichung für Schüler und Eltern ist zudem in Arbeit. Auch im Ministerium weiß man um die Schwierigkeit, die Chats von 1,6 Millionen Schülern im Blick zu behalten: "Das ist unmöglich", so ein Sprecher.

Überhaupt ist es für die Beteiligten ein schmaler Grat. Weil Lehrer die Handys von Schülern ohnehin nicht kontrollieren dürfen, sind die Schulen auf Hinweise von Schülern oder Eltern angewiesen. Wenn diese sich an die Polizei wenden, tappen auch die Beamten oft im Graubereich: Ein Bild mit einer dunkelhäutigen Person in einem Erdloch mit der Unterzeile "Nega-tief" sei zwar "rassistisch und geschmacklos", aber eben nicht strafrechtlich relevant, wie Christian Schweiger von der Penzberger Polizei sagt. Anders als die volksverhetzende Parole, wonach alle Juden vergast gehörten.

Es reicht ein Klick, und schon verbreiten sich die hässlichsten Bilder aus dem Internet auf den Handys von zig Mitschülern. Die versuchen dann nicht selten, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Aus einem vormals harmlosen Chat kann so ein Fall für Polizei und Staatsanwaltschaft werden. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Während die Schäftlarner Schüler derzeit nach und nach als Zeugen aufs Münchner Polizeipräsidium gebeten werden, hat man in der Schule bereits reagiert. So hat man noch vor den Faschingsferien angefangen, die Chatinhalte in den einzelnen Klassen zu thematisieren und mit Unterstützung der Jugendbeamtin pädagogisch aufzuarbeiten. Zudem soll der Umgang mit digitalen Medien und sozialen Netzwerken weiterhin ein Schwerpunktthema des Elternbeirats sein, auch zusammen mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien.

Wie Oliver Fritz vom Elternbeirat mitteilt, habe man sich "mit höchster Aufmerksamkeit und Ausnutzung aller uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen" der Angelegenheit gewidmet und wolle dies auch in Zukunft tun. Ein Engagement, das man auch in der Schulleitung schätzt. "Wir sind auf die Eltern angewiesen", sagt Rosenbeck. Damit im nächsten Skilager nicht wieder die Handys vibrieren - wegen Bildern, deren Verbreitung polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen.

© SZ vom 27.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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