Paracycling:Comeback auf dem Sattel

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Wolfgang Sacher startet durch. Sein Ziel ist die Transalp. (Foto: Manfred Neubauer)

Nach acht Jahren Pause tritt der Penzberger Handicap-Radsportler Wolfgang Sacher wieder aktiv ins Wettkampfgeschehen ein.

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

2023 soll sein Schicksalsjahr werden. "Jetzt will ich es genau wissen", sagt Wolfgang Sacher. Den 55-Jährigen hat der Ehrgeiz gepackt. Nach acht Jahren Pause vom Hochleistungssport tritt der Penzberger Handicap-Radfahrer wieder bei Wettkämpfen an. Und das durchaus mit beachtlichem Erfolg. Sein Ziel sind die Paralympics 2024 in Paris. "Wenn es nach Leistung geht, könnte ich nächstes Jahr in den deutschen Nationalkader aufgenommen werden", erzählt er. Doch zunächst steht ein anderes Projekt im Fokus. Gemeinsam mit seinem Teampartner Erich Winkler startet Sacher bei der Transalp. Das anspruchsvolle Jedermann-Rennevent beginnt am Reschensee und endet am 25. Juni in Arco am Gardasee.

Schon 2020 wollten die beiden Handicap-Radsportler die Transalp meistern. Doch die Corona-Pandemie machte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Das Rennen wurde abgesagt. Dieses Jahr nutzen der 55-Jährige und sein 54 Jahre alter Sportkollege, der im Landkreis Mühldorf am Inn lebt, die Gelegenheit, ihren Traum wahr zu machen. Ihr Projekt nennen Sacher und Winkler "2-2-3". Das steht für zwei Sportler, zwei Arme und drei Beine. Sacher verlor nach einem Starkstromunfall im Jahr 1983 seinen linken Arm und alle Zehen des rechten Fußes. Die Zehen des linken sind versteift. Winkler hatte 2001 einen Motorradunfall. Ihm mussten der rechte Arm und der linke Unterschenkel amputiert werden. Beide mussten nach diesen Schicksalsschlägen ihre Leben von Grund auf neu ordnen. Beiden gelang dies mit Erfolg. Der Radsport machte ihnen Mut. Durch ihn erfuhren sie, dass auch Menschen mit Behinderungen Höchstleistungen vollbringen können. Mit der Teilnahme an der Transalp wollen sie anderen, die mit Handicaps zurechtkommen müssen, zeigen, dass das Leben lebenswert ist und man sich vor Herausforderungen nicht drücken darf.

"Wir haben das mehr als zwei Jahre geplant. Nun ziehen wir es durch", erzählt Sacher. Es gehe nicht um eine Platzierung ganz vorne oder gar darum, auf dem Treppchen zu stehen. "Ich habe die Transalp schon öfters gefahren. Da geht es tatsächlich darum, das Rennen gesund ins Ziel zu bringen." Sieben Mal war Sacher schon dabei. Er weiß, wovon er spricht. Stürze passieren ganz schnell, sagt er. "Ich bin zwei Mal nicht ins Ziel gekommen." Die Teilnehmer müssen bei der Tour in diesem Jahr 15.864 Höhenmeter, 17 Pässe und 609 Kilometer bezwingen.

Die Transalp soll für Sacher 2022 der Schlusspunkt in punkto große Rennen sein. "Danach soll Radeln nur Spaß machen", sagt er lachend. Die Bahnwettkämpfe, die noch ausstehen, locken ihn nicht. Vielmehr hat er sich für 2023 ein großes Ziel gesteckt. Grund dafür ist sein erfolgreiches Abschneiden bei mehreren Wettkämpfen. Bei den Paralympics 2008 in Peking hatte Sacher richtig abgeräumt - den kompletten Medaillensatz: Gold, Silber und Bronze. 2012 in London lief es für ihn allerdings nicht so gut. Mit 45 Jahren beendete er seine aktive Sportlerkarriere. Etliche Verletzungen setzten ihm zu. Dem Sport blieb er treu. Sacher ist Chef des RSC Wolfratshausen.

2008 gewann Wolfgang Sacher Gold, Silber und Bronze bei den Paralympics in Peking. (Foto: Manfred Neubauer)

Seit Mai vergangenen Jahres arbeitet der frühere Schäftlarner Kämmerer beim Markt Garmisch. Er ist Leiter der Beteiligungs- und Stiftungsverwaltung. Noch so eine neue Herausforderung. "Nach 21 Jahren wollte ich was Neues machen." 40 Kilometer einfach sind es mit dem Rad von Penzberg zu Sachers neuem Arbeitsplatz. "Und in der Mittagspause kann ich ins Fitnessstudio gleich gegenüber." Es war Sachers langjähriger Weggefährte Michael Teubner - der Paracyclist hat zehn Weltrekorde aufgestellt und fünf paralympische Goldmedaillen gewonnen -, der den Penzberger sozusagen anspitzte, wieder aktiv bei Wettkämpfen mitzumischen. 2020 stand die Bayerische Meisterschaft an. "Ich konnte nicht Nein sagen", so Sacher. Also stieg der 1,91 Meter große Penzberger wieder aufs Rennrad. "Ich hatte Glück. Der Bayerische Behinderten- und Rehabilitationssportverband meldete mich als Independent Starter, also als Selbstzahler, an." Ein Problem gab es allerdings: Sacher hatte nach seinem Karriere-Ende sein komplettes Profi-Material verkauft und musste sich die Ausrüstung von einem RSC-Kollegen leihen. Unter diesen Bedingungen und mit wenig Trainingseinheiten überquerte Sacher als Zweiter hinter Teubner die Ziellinie. Mit diesem tollen Ergebnis hatte der 55-Jährige quasi Blut geleckt.

"Schinden bis zum Geht-nicht-mehr"

14 Tage war er im Frühjahr im Trainingscamp auf Mallorca. Seit Ende April war Sacher im Wettkampfmodus. Sechs Wochen lang radelte der Paracyclist bei den Weltcups in Belgien und Deutschland - stets mit guten Platzierungen bei Einzelzeitfahrten und Straßenrennen. Auf dem fünften Platz landete er bei der Europameisterschaft in Österreich. Doch bei der Deutschen Meisterschaft in Köln verpasste er um gerade einmal drei hundertstel Sekunden eine Medaille. Damit entging ihm die Chance auf einen Startplatz bei den Weltmeisterschaften im August in Kanada. Der undankbare vierte Platz - eine Enttäuschung auf der einen Seite, doch auf der anderen hätten seine Erfolge zuvor ihm gezeigt, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehöre, sagt er. "Ich kann mich schinden bis zum Geht-nicht-mehr." Wenn er trotz des Trainingsrückstands Radsportler überrunden könne, die jünger sind und fitter, dann "fahre ich, bis ich runterfalle". Um seine Ziele zu erreichen, denkt der 55-Jährige darüber nach, einen Trainer dazuzuholen. "Ab Oktober geht es los." Und sollte es für den A-Kader der Nationalmannschaft nicht reichen, sicher für den B-Kader. Die Paralympics in Paris wären der krönende Abschluss für den dann 57-Jährigen.

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