Lokales trifft Investigatives:Zwischen Stadtrat und Ibiza-Affäre

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Beim SZ-Werkstattgespräch erklären ein Lokal- und ein Investigativjournalist ihre tägliche Arbeit.

Von Viktoria Spinrad, Geretsried

Nach zwei Stunden über große Themen wie Cum-Ex-Geschäfte, den Umgang mit nicht-öffentlichen Informationen und die Zukunft des Lokaljournalismus gibt es noch ein kleines Gedankenspiel für die Gäste: Was würde man tun, wenn man Investigativjournalist ist, aber eben auch Fan von Bayern München - und just vor einem entscheidenden Spiel kommt das Gerücht auf, dass sich Präsident Uli Hoeneß für eine Millionen-Kaution aus dem Knast freigekauft hat? SZ-Reporter Klaus Ott hat dem Publikum genau diese Frage gestellt. Jetzt schaut er gespannt in die Runde. Was wirklich passiert ist, wird Ott später selbst auflösen.

Es ist ein lebhaftes, bisweilen auch streitbares Werkstattgespräch mit Klaus Ott und Florian Zick, dem Leiter der Wolfratshauser SZ-Lokalredaktion, das die Zuhörer in der Geretsrieder Stadtbücherei am Donnerstagabend mal lachend, mal mucksmäuschenstill erleben. Kein Wunder, denn so fundamental die Fragen, die sich Zeitungsleser immer wieder stellen, so selten gibt es die Gelegenheit, zwei versierte Journalisten an Ort und Stelle mit eben diesen Fragen zu löchern.

Ist es nicht Petze, wenn ein Gemeinderat etwas aus der nicht-öffentlichen Sitzung ausplaudert? Wie stark hängen Lokaljournalist Zick und Investigativjournalist Ott persönlich an ihren Geschichten? Zwischen opulenten Bildbänden, Kochbüchern und Geretsrieder Geschichtsschmökern entsteht am Donnerstagabend in der Stadtbücherei ein Raum für Antworten - eine Gelegenheit, im Rahmen der "Lokales trifft Investigatives"-Gesprächsreihe die Leitlinien der eigenen Arbeit zu erklären. Angefangen mit der Frage: Woher kommen Geschichten wie die über krumme Bankengeschäfte überhaupt?

Whistleblower vermuten manche eher bei den großen Investigativ-Projekten - "aber im Lokalen brauchen wir Whistleblower genauso", sagt Zick. Damit geht auch das Versprechen einher, ausgehändigte Informationen absolut vertraulich zu behandeln - sich gleichzeitig aber auch nicht vereinnahmen zu lassen. Ott deutet in alle Richtungen im Raum. Wer auch immer sich als Informant angeboten hat, "egal ob Bankvorstand oder Bürgermeister - wir sitzen bei niemandem auf dem Schoß", betont er.

Ein Stadtrat im Publikum schüttelt entrüstet den Kopf. Nicht-öffentliches aus dem Rathaus weitergeben? Das geht doch nicht! Manchmal aber eben schon, wie Ott veranschaulicht. Zum Beispiel, wenn dort in nicht-öffentlicher Sitzung bekannt wird, dass die Kommune schlampig mit Steuergeld umgegangen ist. Wenn sich ein moralisch oder gar rechtlich fragwürdiger Sachverhalt abzeichnet, "dann müssen wir den Finger in die Wunde legen", sagt Ott - zugunsten des öffentlichen Interesses.

Und wenn man die Informationen dann hat? Dann gehe es darum, gründlich zu sondieren, was man schon weiß und was eben noch nicht, erklärt Ott. Das berühmte Ibiza-Video zum Beispiel, so erfahren die Gäste, drehte bei der SZ ganze sieben Schleifen im Haus, bis seine Authentizität geklärt war - inklusive der Konsultation eines Spezialisten, der anhand der Ohrenform feststellte, dass der Mann im Video tatsächlich FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache war. Am Ende war die Ibiza-Affäre eine dieser Geschichten, bei der mancher vermuten könnte, dass die SZ Geld an die Hinweisgeber bezahlt hat - was sie aber aus Prinzip nicht tut, wie Ott betont: "Bei uns gibt's nen freundlichen Händedruck."

Auch Ott hat mal im Lokaljournalismus angefangen. Aber hat der überhaupt noch eine Zukunft? Für den Wolfratshauser Teamleiter Florian Zick steht das außer Frage. "Für mich ist Lokaljournalismus der Journalismus schlechthin", sagt er. Fragen zum Dach vom Eisstadion in Geretsried oder zu Kitas in Wolfratshausen beträfen die Leute schließlich unmittelbar. Doch auch vor dem Lokaljournalismus macht die Digitalisierung nicht halt. Die Herausforderung liegt darin, die Menschen da abzuholen, wo sie sind - nämlich im Internet. "Sonst sind wir ein tolles Kaufhaus in einer Wüste, wo niemand vorbeikommt", veranschaulicht Ott.

Wie emotional verbandelt sind Journalisten mit ihrer Arbeit? "Natürlich ist es für uns wichtig, dass wir mit unserer Arbeit etwas bewegen", sagt Zick. Und Ott ergänzt: "Aber wir versuchen uns freizumachen. Wir sind nicht Staatsanwälte, Richter, Verteidiger - sondern Beobachter."

Das gilt auch dann, wenn es um den Herzensverein geht - Stichwort Uli Hoeneß, Stichwort FC Bayern. Zwar spielen manche der Gäste angesichts der Zwickmühle mit der Idee, mit der Veröffentlichung des Steuerskandals bis nach dem Spiel zu warten. Doch Ott schüttelt den Kopf und zeichnet mit dem Finger Schleifen in die Luft - er meint das professionelle Denken, was in solchen Situationen einsetzt. Bayern-Fan Ott funkte SZ-Investigativ-Legende Hans Leyendecker an, sammelte Ansprechpartner, fand entscheidende Bestätigungen für die Millionen-Kaution. Als der Schiedsrichter am Abend das Spiel anpfiff, war die Wahrheit bereits ans Licht gebracht: Das Idol der Bayern hatte sich freigekauft. "So ticken wir. Nicht mehr und nicht weniger", sagt Ott.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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