165. Tölzer Leonhardifahrt:Eine Leonhardifahrt aus dem Bilderbuch

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Die 166. Leonhardifahrt in Bad Tölz gelingt nach zwei Jahren Coronapause wie im Bilderbuch. (Foto: Manfred Neubauer)

Nach zweijähriger Corona-Pause passt bei der Traditionswallfahrt mit 71 Gespannen alles zusammen: Der Himmel zeigt sich weiß-blau, knapp 15 000 Zuschauer verfolgen die Prozession, Ministerpräsident Söder kommt und die Fuhrleute halten sich strikt ans Galoppverbot.

Von Veronika Ellecosta und Klaus Schieder, Bad Tölz

Es ist schon fast zu kitschig, um wahr zu sein: Nach der zweijährigen Corona-Pause verläuft die Tölzer Leonhardifahrt am Montag dermaßen bilderbuchhaft, als hätte die Stadt sie so bestellen können. Der Himmel leuchtet weiß und blau, die Temperaturen fallen weder zu eisig noch zu warm aus, knapp 15 000 Zuschauer säumen den Weg der Traditionswallfahrt vom Kurviertel hinab zur Fußgängerzone, hinauf zum Kalvarienberg und wieder zurück durch die Marktstraße zur Mühlfeldkirche, und ja, auch Ministerpräsident Markus Söder ist gekommen, kein Gespannführer bringt seine Pferde zum Galoppieren, alles bleibt unfallfrei. Die Leonhardifahrt sei der Kitt, der die Gesellschaft in und um Bad Tölz zusammenhalte, resümiert Bürgermeister Ingo Mehner (CSU) hernach beim Empfang der Stadt im Pfarrheim Franzmühle. "Zwei Jahre lang hat man gemerkt, was passiert, wenn dieser Kitt fehlt."

Der Morgen oben am Kalvarienberg ist sonnig, aber frostig und dominiert von Vorfreude. Die ersten Gäste erklimmen den Kalvarienberg in Joppe und Jankern, die ambitionierteren über die Stiege vom Stadtzentrum, die gemütlicheren von der Austraße her über den Schotterweg, den später auch die Fuhrgespanne nehmen werden. Oben die erste Rast, der Blick schweift über die Alpen in der Ferne, die bewaldeten Waldhügel im Vordergrund und die Isarbrücke zu Füßen des Kalvarienberges. Dort auf der Brücke stehen die Menschen auch schon Spalier. Alles wartet, alte Bekannte treffen einander zum Plaudern, alles ist bereit.

Auf Wagen Nummer 56 fahren Frauen in Schalk und Mieder auf den Kalvarienberg. (Foto: Manfred Neubauer)

71 Gespanne aus Bad Tölz und Bayern sind es in diesem Jahr, die die Trachtenvereine, Musikkapellen und den Stadtrat auf den Kalvarienberg ziehen, wo Stadtpfarrer Peter Demmelmair Vieh und Fuhrleute segnet. Die Zuspanner und Leonhardifahrer kennen das Prozedere bereits bestens, für einen anderen wird es eine Premiere sein: Markus Söder hat der Tölzer Wallfahrt zwar 2017 schon beigewohnt, nun aber erstmals als Ministerpräsident. Ein Grußwort von ihm gibt es aber wider Erwarten nicht, Aug und Ohr gehören allein dem Glockengeläut der Kalvarienbergkirche, den Schellen der feierlich geschmückten Rösser, den Rufen der Zuspanner und den Worten der Geistlichkeit. Um neun läuten die Glocken zum ersten Mal, unten in der Stadt fahren die Truhen- und Tafelwagen pünktlich los. Noch bevor der erste von ihnen den Kalvarienberg erreicht, ist Söder da, spaziert in grünem Lodenmantel mit seiner Entourage über den Kapellenvorplatz, schüttelt ein paar Hände, lässt sich fotografieren. Dann verschwindet er über die kleine Stiege Richtung Kalvarienbergkirche. "Der schaut sich jetzt unser schönes Oberland an", sagt eine Frau nebenan und blinzelt ihm hinterher.

Die ersten Wagen bringen den Klerus und die Stadtratsmitglieder hoch, die alle ehrfurchtsvoll ihren Zylinder vor dem Pfarrer ziehen. Dann reihen sich die Ratsherren auf der Ehrentribüne auf, Söder ist auch wieder da, nimmt inmitten der Stadträte seinen Platz ein und goutiert die Prozession mit zufriedenem Lächeln neben Bürgermeister Mehner. Weltlichkeit und Geistlichkeit stehen einander gegenüber, die Wagen fahren mittig hindurch. Der Pfarrer segnet, Söder lächelt, die Rösser schnauben, die Fuhrleute rufen und die Wägen knirschen über den Schotter. Ab und zu spielt eine Blaskapelle "Lobet den Herrn", die Frau nebenan singt andächtig mit.

Bei der Tölzer Leonhardifahrt waren schon mal die Richtigen beisammen: Rechts neben Ministerpräsident Markus Söder der CSU-Abgeordnete Martin Bachhuber, links der von der CSU gewünschte Nachfolger Thomas Holz. (Foto: Manfred Neubauer)

Mit gleichmäßigem Schellengeläut geht es dahin, bis auch der letzte Wagen den Kalvarienberg erreicht und auf der Wiese zum Stehen kommt. Die Sonne treibt mittlerweile den kräftigen Kaltblütern den Schweiß auf das Fell. Die Frauen in Schalk und Mieder auf den Truhen- und mit Buchs dekorierten Tafelwagen haben ihre Fuchsfelle abgelegt, die nun vom Wagenrand baumeln. Stadtpfarrer Demmelmair läutet den Wallfahrtsgottesdienst ein, den dieses Jahr Jeremias Schröder, Abtpräses der Benediktinerkongregation von St. Ottilien, hält. Die weniger Frommen treibt's indessen zu den abgestellten Wagen, wo die Schalk- und Miederfrauen Schnaps und Plätzchen verteilen. Die ersten leeren Bierflaschen sammeln sich am Wegesrand. Kinder werden auf die geduldigen Pferde gehoben und fotografiert, im Hintergrund tönt der Gottesdienst aus Lautsprechern.

Zurück ins Stadtzentrum: Seit seiner Wahl 2020 hat Mehner noch keine Leonhardifahrt als Rathauschef mitgemacht. In Frack und Zylinder rumpelt er nun an der Stirnseite des Stadtratswagens über das Kopfsteinpflaster in der Fußgängerzone und später in der Salzstraße. Dort beobachtet ihn sein Amtsvorgänger Josef Janker, der sich bei der letzten Wallfahrt vor drei Jahren noch in dem Wagen hatte durchrütteln lassen. Dass er jetzt als normaler Zuschauer am Straßenrand steht, kommt Janker gelegen: "Eine schöne Erfahrung, da ist man unabhängig." Mehner hingegen verspürt vor und während der Fahrt "eine Vorfreude und ein Kribbeln", allerdings auch die Last der Verantwortung, was die Sicherheit von Teilnehmern und Besuchern angeht.

Stadtpafrrer Peter Demmelmair segnet die Wallfahrer. (Foto: Manfred Neubauer)

Um Gefahren zu vermeiden, hat der Leonhardi-Ausschuss erstmals in der Geschichte der Prozession mit Pferden, Truhen- und Tafelwagen ein Galoppverbot erlassen. Sogar das leichte Traben ist untersagt worden. In den Jahren vor der Pandemie habe es oftmals Beinahe-Unfälle gegeben, sagt Mehner: "Wir hatten großes Glück, dass nichts passiert ist." Das laute Galoppieren auf der Salzstraße vom Kaufhaus Rid bis zur Mühlfeldkirche war ein aufregender, aber auch riskanter Moment der Wallfahrt gewesen. "Manch einer mag das Verbot schade finden, aber die Zukunft der Leonhardifahrt ist wichtiger als das Spektakel", sagt Mehner. Alle Fuhrleute halten sich gewissenhaft an die neue Regel.

Die Menge sammelt sich am Kalvarienberg. (Foto: Manfred Neubauer)

Aus anderer Perspektive erleben manche Stadträte die erste Wallfahrt nach Corona. Michael Ernst zum Beispiel. Der Sozialdemokrat, der am Hintersberg wohnt, ist früher mit seinen Kindern zum Kalvarienberg hinaufgepilgert. Diesmal kriegt er die Prozession vom Kurviertel bis zu Mühlfeldkirche im Stadtratswagen mit. "Das hat Spaß gemacht", sagt er. "Das Schönste war das Wetter." Und auch Johannes Gundermann (Grüne) ist erst seit zwei Jahren Mandatsträger. Er hat sich bei der Leonhardifahrt quasi hochgedient. Früher war er als Abzeichen-Verkäufer unterwegs, fuhr mal bei den Ministranten mit und später mit den Ellbacher Schützen. Aber als Stadtrat, so Gundermann, "das war jetzt das Highlight".

Die Vorreiter der Leonhardifahrt in der Stadt. (Foto: Manfred Neubauer)

Dagegen ist Julia Dostthaler, obwohl erst 33 Jahre alt, ein erfahrene Leonhardi-Wallfahrerin. Schon als Dreijährige sei sie dabei gewesen, seither 27 oder 28 Mal, erzählt sie. Im prächtigen Dirndl sitzt die CSU-Stadträtin nicht neben ihren Ratskolleginnen und -kollegen, sondern in einem der Truhenwagen zusammen mit ihrer Mutter, die für die Besetzung darin verantwortlich ist. Nach dem Aufstehen in aller Herrgottsfrühe hoffen beide, dass das Telefon stumm bleibt und keine von den Schalkfrauen im letzten Augenblick noch absagt. "Da ist schon eine Anspannung", sagt Dostthaler.

Die fällt von Mehner langsam ab, als der letzte Wagen den Schlusssegen an der Mühlfeldkirche bekommen hat. Am Ende seiner Rede in der Franzmühle spricht der Bürgermeister noch von Bad Tölz als einer "glücklichen Stadt" und davon, dass zu einer katholischen Wallfahrt zwei Dinge gehörten: viel beten und viel feiern. Und während er im Pfarrheim gerade die Delegationen aus den Partnerstädten Vichy und San Giuliano Terme begrüßt, geht es in der Fußgängerzone auch schon los mit dem Feiern: Die Goaßlschnalzer haben dort Aufstellung genommen und lassen die Luft knallen.

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