Kultur in Corona-Zeiten:"Wie eine schlimme Diagnose"

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Bei vielen freien Kultur-Veranstaltern kommt seit Corona kein Cent in die Kassen. Einige setzen ihre Hoffnung in einen Rettungsschirm - und in ihr Publikum.

Von Stephanie Schwaderer, Bad Tölz-Wolfratshausen

Flotte Sprüche sind ein Markenzeichen von Christian Gutmair. "Was ich mir in 30 Jahren aufgebaut habe, lasse ich mir nicht von einem Virus kaputt machen", sagt der Geretsrieder Veranstalter kämpferisch. "Gutzi", wie er von allen genannt wird, ist ein Mann der Tat, einer, der nicht jammert, sondern anpackt. Gute Laune zu verströmen dürfte selbst ihm in diesen Tagen nicht immer leicht fallen. Etwa 30 Konzerte und Kabarettabende hat seine Firma, die "Munich Staging Company", seit Beginn der Corona-Krise absagen beziehungsweise verschieben müssen. Seit Wochen kommt kein Cent in die Kasse. Die laufenden Kosten laufen weiter. Spätestens Mitte August, so räumt Gutmair ein, könnte auch ihn die Existenzangst packen. Deshalb hat er einen Appell unterzeichnet, der Ende April an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gerichtet wurde.

Prominente bayerische Kulturschaffende - von Michael Altinger bis Stephan Zinner - solidarisieren sich in dem Schreiben mit Veranstaltern und Dienstleistern und bitten eindringlich um einen langfristigen Rettungsschirm für die bayerische Kulturszene. "Bayern ist ein Kulturstaat, dem die Stille droht", heißt es in dem von Bernd Schweinar initiierten Brief. Schweinar ist Geschäftsführer des Verbandes für Popkultur in Bayern. Freie Veranstalter stehen nach seinen Worten vor der Insolvenz. "Bühnen und Clubs wurden als erstes geschlossen. Sie werden zu den letzten gehören, die wieder für Publikum öffnen dürfen. Diese Kulturplattformen werden die Pandemie nicht überstehen." Noch lasse eine Antwort aus der Staatskanzlei auf sich warten, sagt Schweinar auf Anfrage. Er hoffe jedoch, bald in eine Diskussion einsteigen zu können.

Der erste Ansatz der Regierung, Soforthilfe für Künstler an eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse (KSK) zu knüpfen, sei ein Irrweg gewesen. Schon deshalb, weil die Aufnahmebedingungen der KSK bekanntermaßen restriktiv seien. "Die ganze Branche lebt von Freiberuflern", sagt Schweinar. "Ohne Tontechniker beispielsweise gäbe es kein Konzert, keinen Kabarettabend, aber auch keinen Parteitag. Es wäre still im Saal, wenn der Techniker nicht den Regler aufdrehen würde."

Der Kulturbetrieb müsse daher als "homogene, pulsierende Einheit" betrachtet werden - eine Einheit aus Künstlern, Veranstaltern, Technikern. Bislang hätten die freien Bühnen keinerlei Subventionen bekommen. Sie zu retten, sei definitiv günstiger als manch ein Prestige-Projekt. "Das ist ein hochspezifizierter Bereich. Wenn er verschwindet, kommt er nicht wieder."

Deutliche Worte findet Wolfgang Ramadan für die gegenwärtige rechtliche Situation. Der Staat entscheide über Leben und Tod, sagt der Ickinger Veranstalter. "Wer am Tropf der Steuerzahler hängt, darf überleben, die kreativen Kulturschaffenden werden dem freien Fall überlassen." 16 Jahre lang habe er demonstriert, wie erfolgreiche Kulturarbeit ohne Subventionen aussehen könne. "Statt staatliche Förderungen in Anspruch zu nehmen, habe ich Steuern bezahlt", betont Ramadan.

Nun hoffe er auf eine entsprechende Anerkennung. Ramadan betreibt zehn Abo-Reihen an neun Orten, darunter Icking und Bad Tölz. 30 Veranstaltungen hätten unter dem Signum "Brotzeit und Spiele" seit März über die Bühne gehen sollen, alle mussten verschoben werden. Gutscheine lösten das Problem nicht, sondern verlagerten es lediglich, sagt er. "Wir brauchen den Rettungsschirm, wir brauchen aber auch das Entgegenkommen unseres Publikums." Derzeit arbeitet er an einem "Lösungskonzept", das er in Kürze seinen 2500 Abonnenten vorstellen möchte.

Sein Geretsrieder Kollege Gutmair vermisst vor allem auch klare Ansagen seitens der Staatsregierung. "Zum Beispiel wüsste ich gerne, was genau unter einer Großveranstaltung zu verstehen ist." Großveranstaltungen sind bis Ende August untersagt. Sollte er danach wieder das Tölzer Kurhaus bespielen dürfen, tauchten neue Probleme auf. "Wenn ich 500 Sitzplätze verkauft habe, aber einen Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten muss, frage ich mich: Wer stellt sich vor die Tür und entscheidet, wer rein darf und wer nicht?" Zudem bezweifle er, dass im Saal Stimmung aufkommen könne, wenn jeder mit seinem Mundschutz, dem Mindestabstand und der Angst beschäftigt sei, dass der Sitznachbar gleich niesen könnte.

Schweinar schließt nicht aus, dass erst dann wieder kostendeckende Veranstaltungen möglich sein werden, wenn es einen Impfstoff gibt. "Kein Veranstalter will sein Publikum und seine Mitarbeiter einer Infektionsgefahr aussetzen." Deshalb bedürfe es eines langfristigen staatlichen Rettungsschirms.

Was die heimischen Veranstalter hingegen freut: Bis auf wenige Ausnahmen hat bislang kein Kartenkäufer sein Geld zurückgefordert. Die Loyalität des Publikums sei wohltuend, sagt Gutmair. "Hut ab!" Ganz ähnlich äußert sich Ramadan. "Viele Abonnenten stärken uns den Rücken, einige haben bereits aus Solidarität das Abo 2021 gebucht - ein Hoffnungsschimmer."

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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