Kräuterspaziergang in der Jachenau:Spätlese im Wald

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Viele Wildpflanzen lassen sich auch im Winter für Genuss oder Gesundheit nutzen. Wer sie sammelt, sollte jedoch behutsam vorgehen.

Von Benjamin Engel, Jachenau

Dunkelrote Berberitzen-Beeren, gelbe Löwenzahnblüten, Dost-, Liebstöckel-, Giersch- oder Brennnesselpflanzen in verschiedenen Grünschattierungen - das ist nur ein Teil der Ausbeute, die Andrea Meßmer auf ihrem Grund des Fleckhauser Hofs in der Jachenau im Sommer und Herbst gesammelt hat. An einem Januarmittag kann die Kräuterpädagogin ihre Heil- und Genusspflanzen zwar nur in Vorratsgläsern und getrockneter wie zerkleinerter Form präsentieren. Doch auch damit vermittelt sie eindrücklich, wie pflanzenartenreich der lichte, südlich bis zur Jachen auslaufende Schneeheide-Kiefernwald ist. Und das gilt selbst für die kalte Jahreszeit. Denn auch im Winter gibt es dort einiges zu entdecken, was sich verkochen oder zu Salben, Tees und Tinkturen verarbeiten lässt.

Da trifft es sich vortrefflich, dass Meßmer vier befreundete Kräuterpädagogen aus der Region zwischen Schlehdorf und Valley an der Mangfall eingeladen hat. Seitdem sie im Mai 2021 ihre Ausbildung an der Gundermannschule abgeschlossen haben, tauschen sie sich regelmäßig aus. Zur Begrüßung wärmt ein Fichtennadel-Wacholder-Tee - mit leicht bitterer Waldnote und doch nicht so herb, wie es etwa beim mit Sauerkraut gekochten Wacholder zu erwarten ist. Die Fichtennadeln ruhen dafür erst einmal im Kaltauszug über Nacht, ehe sie eine Viertelstunde aufgekocht werden. Von der rötlichen Farbe des Teewassers sollte sich niemand erschrecken lassen, wie Stefanie Gallitscher aus Valley anmerkt. Durch die Beschäftigung mit den Wildkräutern habe sie einen genaueren weitergehenden Blick auf die Natur gewonnen, sagt die studierte Elektrotechnikerin. "Das ist ein schöner Ausgleich zum Beruf."

Ungewohnt ist die Perspektive auch im Schneeheide-Kiefernwald des Ehepaars Meßmer. Andrea und ihr Mann Sepp haben ihre frühere Kuhhaltung aufgegeben. Stattdessen züchtet das Paar seit mehr als drei Jahren Yaks. Die tibetanische Hochlandrinderrasse ist selbst bei starken Minustemperaturen äußerst robust - auch dank ihres dichten Fells. Selbst im Winter sind die Tiere mit den markanten Hörnern immer im Freien. Womöglich stoppen daher auch die Langläufer auf der bei genügend Schnee direkt vorbeiführenden Loipe so gerne für eine kurze Pause.

Auf dem Hof der Meßners leben auch Yaks, die auch bei Minusgraden draußen sind. (Foto: N/A)

Oder könnte sich das vielleicht auch ganz anders erklären lassen? Im lichten Wald dauert es nicht lang, um auf einen knorrigen Wacholderbusch zu treffen. "Man sagt, Wacholder bringt Kraft", schildert Meßmer. "Daher sollten sich müde Wanderer unter einen Wacholder setzen, so heißt es." Selbst im Winter lassen sich reife Beeren von den Sträuchern pflücken, die frisch gegessen erstaunlich süß schmecken. Der stachelige Wacholder soll unter anderem cholesterin- und blutzuckersenkend wirken. Nierengeschädigte und an Diabetes erkrankte Menschen sollten laut Meßmer aber vorsichtig damit umgehen. Gleiches gilt für Schwangere, weil Wacholder auch geburtseinleitend wirken soll. Zum Räuchern kommt die Pflanze aber ebenso zum Einsatz. Abseits kulinarischer Genüsse soll Wacholder zudem Körper, Geist und Seele stärken sowie die Kommunikation fördern.

Fluchtreize dürften bei Allergikern eher die für Auenlandschaften wie an der Jachen typischerweise vorkommenden Erlen- oder Haselsträucher auslösen. Nur etwas mildere Temperaturen von wenigen Grad über Null brauchen die Gewächse, um zu blühen. Experimentierfreudige karamellisieren die sogenannten Kätzchen der Erle, wenn es soweit ist. Aus den Haselkätzchen lässt sich Tee brühen. Mit Cashewkernen gemischt und gemahlen ergeben sie einen veganen Parmesanersatz, wirft Simone Braun ein. Die Lehrerin hat sich zur Kräuterpädagogin fortbilden lassen, weil sie die Detailstrukturen der Pflanzenwelt faszinieren. Als leidenschaftliche Fotografin wolle sie den Menschen näherbringen, genauer auf die Natur zu schauen.

Vom Wacholderstrauch kann man auch im Januar noch reife Beeren pflücken. (Foto: Manfred Neubauer)

Das Interesse an den Gewächsen will auch der Landkreis touristisch für seine Zwecke befördern. So vermarktet sich der Zusammenschluss Tölzer Land unter anderem als Kräuter-Erlebnis-Region. Auf die vielfältigen, wilden Nutzkräuter und ihre Wirkungsweisen machen die Kräuterpädagogen aufmerksam. Dass sich aus den Knospen der Balsampappel eine antiseptisch wirkende, wundverschließende Tinktur herstellen lässt, dürfte nur noch wenigen bekannt sein. Aus Baumharzen wurde früher etwa auch die Pechsalbe hergestellt - ein wichtiges Heilmittel für die Waldarbeiter, wenn sie Wunden zu versorgen hatten. Mit Olivenöl und Honig versetzt ist das Baumharz auch Bestandteil der Hausapotheke.

Von der Genusseite können sich Kräuterpädagogen wie Thorsten Geisler aus Schlehdorf dem Thema aber genauso nähern. "Die Aromen sind für mich das Wichtigste", sagt er. Solange der Boden nicht gefroren ist, lassen sich von Herbst bis zur Blüte im Frühjahr etwa die Löwenzahnwurzeln gut ernten. Geröstet dienen sie als Kaffeersatz. Genauso wie übrigens auch die Wurzeln der an vielen Wegrändern wachsenden gemeinen Wegwarte. Mit ihrem nussigen Kaffeearoma verfeinert Geisler etwa eine Dessertcreme. Wer die Wegwarte nicht kennt, ist höchstwahrscheinlich mit ihren kultivierten Zuchtausprägungen wie Radicchio oder Chicorée vertraut.

Mit Kräuterpädagoginnen unterwegs zu sein, ist jedoch mehr als nur genuss- und gesundheitsanregend. Es ist auch anderweitig lehrreich und horizonterweiternd. Etwa, wenn Geisler berichtet, wie das Mittenwalder Kaffeefeld zu seinem Namen kam: Nur auf diesem sonnigen Grund am Fuß des Kranzbergs sei einst möglich gewesen, in dem Karwendelort Gerste anzubauen. Daraus wurde Malzkaffee geröstet. Auslernen lässt sich bei der Beschäftigung mit Wildkräutern und -gewächsen wohl nie.

© SZ vom 21.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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