Flucht und Integration:Angekommen

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Hand in Hand geht die Arbeit in der Backstube Königsdorf. Amin Alhraib (links) und sein Chef Michael Iglhaut setzen einen Osterhasen zusammen. (Foto: Manfred Neubauer)

Arbeiten, Geld verdienen, auf eigenen Füßen stehen - das sind die Ziele, die für Geflüchtete meist ganz oben auf der Wunschliste stehen. In der kleinen Gemeinde Königsdorf gelingt dies immer wieder.

Von Stephanie Schwaderer, Königsdorf

Wie viele Asylsuchende in den vergangenen Jahren im Landkreis Arbeit gefunden oder eine Ausbildung abgeschlossen haben, weiß niemand zu sagen. Das Tölzer Landratsamt führt darüber keine Statistik. "Zu komplex und zu volatil" sei dieses Gebiet, sagt Pressesprecherin Marlis Peischer. Geflüchtete zögen mitunter in andere Landkreise oder kehrten in ihr Heimatland zurück. Zudem gebe es je nach Status erhebliche Unterschiede. So gelten für Geflüchtete aus der Ukraine ganz andere Regeln als für anerkannte Geflüchtete oder abgelehnte Asylsuchende oder Geduldete. "Man müsste jeden Akt einzeln in die Hand nehmen."

Eben dies macht Marlies Woisetschläger seit achteinhalb Jahren ehrenamtlich in der kleinen Gemeinde Königsdorf. Seit 2015 koordiniert sie den Helferkreis. "Frau Marlies" ist für viele Geflüchtete die erste und wichtigste Anlaufstelle. Neben Gelassenheit bringt die Sozialpädagogin Herzblut und Pragmatismus mit. "Wir brauchen Zuwanderer, die mitmachen", sagt sie. "Und es funktioniert. Es funktioniert umso besser, je mehr Unterstützung gegeben wird."

Seit November 2015 sind ihren Worten nach etwa 90 Menschen als Asylsuchende nach Königsdorf gekommen. "Viele haben nur eine kurze Zeit hier gelebt, bevor sie umgezogen sind, wenige sind zurückgegangen, manche wurden woandershin umverteilt." Derzeit lebten 46 Asylsuchende in Königsdorf. "Und viele leisten ihren Beitrag - auch zu unserem Leben."

Vier von ihnen erzählen für die SZ, wie sie es geschafft haben, in der neuen Heimat anzukommen. Sie stammen aus Syrien, Afghanistan und Somalia.

Zuverlässiger Zuckerbäcker

Amin Alhraib aus Syrien (Foto: Manfred Neubauer)

Dass er einmal Osterhasen mit Nougat füllen und Apfelkuchen glasieren würde, hätte sich Amin Alhraib nicht träumen lassen, als er nach seiner Flucht aus Syrien 2015 in Königsdorf ankam. In seiner alten Heimat war er im Schuhgeschäft tätig, in seiner neuen hat er sich dem Konditorhandwerk verschrieben. Seit fünf Jahren gehört er zum Team der Königsdorfer Backstube.

"18 Eier, Quark und Zucker", sagt der 49-Jährige und deutet in eine große Schüssel, aus der es verführerisch duftet. Mit elegantem Schwung streicht er die Creme über ein Bett aus Mandarinen-Stückchen. Was in einen Käsekuchen gehört, wie man Krapfen füllt oder Mandelhörnchen rollt, all das hat ihm seine einstige Chefin Maria Stelmaszek gezeigt. Ihm gefalle diese Arbeit, sagt er und strahlt. "Nichts ist schwierig, alles ist leicht." Und das frühe Aufstehen? "Kein Problem!"

Mit seiner Frau und seinen sieben Kindern ist er vor Kurzem nach Waldram gezogen. Er hat ein Auto, übernimmt für die Backstube auch Lieferdienste. "Uns geht es sehr gut", sagt er, "wir sind sehr zufrieden."

Das gilt auch für seinen Chef. "Amin arbeitet zuverlässig und selbständig", sagt Michael Iglhaut. Manchmal gebe es noch immer Verständigungsprobleme, aber die könnten gelöst werden. Wenn Alhraib nachts zwischen 2 und 3 Uhr seinen Dienst antrete, prüfe dieser eigenständig, was an Torten und Gebäck fehle, und richte seinen Backplan danach aus, sagt Iglhaut. "Da muss ich mich nicht drum kümmern."

Die Stimmung im achtköpfigen Team der Backstube sei gut. Das liege nicht zuletzt daran, dass er als Betriebsleiter auf eine anständige Bezahlung, passable Arbeitszeiten und eine lockere Atmosphäre achte. "Ich schau', dass die Arbeit hier Spaß macht." Das wiederum kann Alhraib bestätigen. Was ihm am besten gefalle? "Dass wir hier wie eine Familie arbeiten."

Vermittler zwischen den Kulturen

Ali Zafar Mohammadi macht derzeit den Meister als Augenoptiker. (Foto: Privat/oh)

Ali Zafar Mohammadi kam 2015 als unbegleiteter Jugendlicher mit seinem Bruder aus Afghanistan nach Könisgdorf. Vom ersten Tag an machte er sich dort als ehrenamtlicher Dolmetscher verdient - erst auf Englisch, später auf Deutsch. Mittlerweile hat der 25-Jährige eine Ausbildung zum Optiker abgeschlossen und besucht die Meisterschule.

"Ich wusste von Anfang an, dass ich in Deutschland unbedingt etwas erreichen muss", sagt er heute. "Und mir war klar, dass ich dazu vor allem die Sprache lernen muss. Sonst kann man keinen Fuß fassen." Nach seiner Ankunft in Königsdorf besuchte er genau vier Monate lang den Sprachkurs in Bad Tölz, dann entschied er sich, auf die Realschule zu gehen. "Im Sprachkurs sprach ja nur der Lehrer Deutsch." Er aber wollte mehr und schneller lernen. Also klopfte er an die Tür der Realschul-Direktorin, und sie gab ihm eine Chance. "Englisch und Mathe waren kein Problem für mich", sagt er, "das Schwierigste war Deutsch." Nach einem Jahr schrieb er den Quali - und bestand ihn mit Bravour. Viel Unterstützung habe er damals vom Helferkreis bekommen, erinnert er sich. "Einige Frauen und Männer haben mit mir gelernt und geübt, mir erklärt, wie das Schul- und Ausbildungssystem funktioniert und welche Förderungen es gibt."

Am liebsten hätte er studiert. "Ich habe mir damals einige Vorlesungen an der Uni in München angehört." Dann aber wurde sein Asylantrag abgelehnt. Um eine Ausbildungsduldung zu bekommen, bewarb er sich bei verschiedenen Firmen und entschied sich für eine Optiker-Lehre. Nach deren Abschluss war er zwei Jahre für die Firma Kind als Springer im Einsatz. "So bin ich durch ganz Deutschland gekommen und habe viele Erfahrungen sammeln können. Jetzt finanziert mir Kind die Meisterschule."

Sein Plan ist es, sich weiterzubilden und eine Filiale zu leiten. In etwa fünf Jahren, so hofft er, könne er auch als Dozent arbeiten. Ehrenamtlich will er sich weiterhin als Kulturdolmetscher engagieren. "Ich möchte etwas von dem, was ich von der Gesellschaft bekommen habe, zurückgeben."

Stütze im Küchen-Team

Amina Mohamad Mamud arbeitet in der Jugendbildungsstätte Hochland. Leiter Roland Herzog (links) schätzt ihre Zuverlässigkeit. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Reich von Amina Mohamad Mamud ist blitzblank. Seit vier Jahren gehört die Somalierin zum zehnköpfigen Küchen-Team der Jugendbildungsstätte Königsdorf. Dort wird sieben Tage die Woche gekocht; für den eigenen Betrieb, aber auch für die Königsdorfer Schule, den Gemeinde- und den Waldkindergarten. Die 38-Jährige ist dafür verantwortlich, Küche, Geschirr und den 130 Plätze fassenden Speisesaal sauber zu halten. Zudem hilft sie bei der Essensausgabe und beim Gemüseschneiden. "Es gefällt mir sehr gut", sagt sie und lacht. "Wir geben sie nicht mehr her", sagt Küchenchef Stefan Luidl.

Auch Roland Herzog, Leiter der Jugendbildungsstätte, ist voll des Lobs. "Amina hat immer alles im Blick. Man kann sich auf sie verlassen. Sie ist eine Stütze." Herzog und sein Team arbeiten eng mit dem Helferkreis in Königsdorf zusammen. Sieben Nationalitäten sind seinen Worten nach in der Bildungsstätte vertreten. "Wenn wir Personal im helfenden Bereich suchen, wenden wir uns an Marlies Woisetschläger", sagt er. "Sie hat die Menschen im Auge und weiß, wer zu wem passen könnte." Bei Amina Mohamad Mamud lag sie offenkundig richtig.

Die alleinerziehende Mutter kam 2015 nach Königsdorf - "nach einer Flucht über Jemen, den Sudan, Libyen und das Wasser", wie sie stockend erzählt. Mittlerweile hat sie zwei ihrer vier Kinder zu sich holen können. Ihr 18-jähriger Sohn Ibrahim besucht die Berufsschule und spielt im Fußballverein, die elfjährige Tochter Samar geht in die vierte Klasse der Königsdorfer Schule. "Beide Kinder sprechen sehr gut Deutsch", sagt Herzog, "Amina ist eine sehr engagierte Mutter."

Eine große Hilfe wäre es seinen Worten nach, wenn es eine bessere Busverbindung gäbe. "Der ÖPNV ist eine wichtige Lebensader für Menschen wie Amina." In der Anfangszeit sei sie die vier Kilometer durch Wald und Wiesen zu Fuß gegangen. Mittlerweile wurden ihre Arbeitszeiten an den Busfahrplan angepasst.

Gelegentlich kocht Amina für sich und ihre Kollegen somalische Gerichte. Sambusa zum Beispiel, gefüllte Teigtaschen. "Sehr gut", sagt Küchenchef Luidl, "aber sauscharf."

Die rechte Hand des Chefs

Der zweite und der erste Mann in der Klinik Dr. Wilhelm: Fahed Barak Alanzy (links) mit seinem Chef Bernhard Wilhelm. (Foto: Hartmut Pöstges)

Für Fahed Barak Alanzy lag der Schlüssel zum Erfolg in einem kleinen Notizheft. Als er vor sieben Jahren ein Berufspraktikum in der Klinik Dr. Wilhelm in Wolfratshausen begann, sprach er nur wenig Deutsch, merkte aber schnell, dass alle Ärztinnen und Ärzte bei der Arbeit auf unterschiedliche Dinge Wert legten. Er säuberte und sterilisierte Instrumente, half beim Auf- und Ablegen der Patienten, ordnete Medizin. "Ich wollte, dass sich die Leute auf mich verlassen können", sagt er. Also schrieb er alles Wichtige in ein kleines Heft. Das wiederum blieb seinem Chef nicht verborgen. "Er hat einen so interessierten und hellen Eindruck gemacht, dass ich mir sicher war: Aus dem wird was", sagt Bernhard Wilhelm, Facharzt für Anästhesiologie. "Mittlerweile ist Fahed hier der zweite Mann. Er kennt sich mit allem aus, hat für jedes Problem eine Lösung und auf jede Frage eine Antwort."

In Syrien, aus dem der heute 30-Jährige 2015 zusammen mit seinem Bruder floh, hatte Alanzy ein Jurastudium begonnen. Im Sprachkurs in Bad Tölz musste er wieder beim Alphabet anfangen. Zwei Monate sei er verzweifelt gewesen und habe sich kaum aus dem Haus getraut, erzählt er. "Ich war schüchtern, und meine Gefühle waren wie tot." Unterstützung bekam er von den Helferkreisen in Königsdorf und Dietramszell.

Wirklich Auftrieb habe ihm dann die Ausbildung zum Medizinischen Fachangestellten gegeben. Das erste Jahr sei noch schwer gewesen. Die größte Hüde: die deutsche Sprache. "Immer wenn ich etwas falsch gesagt habe, haben mich Doktor Wilhelm und die anderen Kollegen korrigiert. Das war gut." Im zweiten Ausbildungsjahr sei es dann plötzlich aufwärtsgegangen: "Da wusste ich, ich schaffe es."

In der Klinik am Hans-Urmiller-Ring betreut er Narkosepatienten, achtet darauf, dass sie schmerzfrei sind, telefoniert, organisiert, übernimmt Verantwortung. All das gefällt ihm. "Deutschland hat unser Leben gerettet und uns eine zweite Chance gegeben, zu lernen und zu arbeiten", sagt er. "Diese Chance muss man nutzen." Dankbar ist er vor allem seinem Chef. "Seit sieben Jahren bekomme ich sehr viel Unterstützung von Doktor Wilhelm: in der Ausbildung, bei der Hochzeit, beim Autokauf. Jetzt bin ich seine rechte Hand und möchte ihm etwas zurückgeben."

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