Freizeit und Tourismus:"Aus Geheimtipps werden Hotspots"

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Sehnsuchtsort vieler: der Walchensee. (Foto: Claudia Koestler/OH)

Die Folge des Ausflugs-Booms: übervölkerte Alpen. Das nervt nicht nur die Anwohner, sondern stresst auch die Natur. In Kochel am See wurde nun über die Probleme diskutiert - und wie sie sich lösen lassen.

Von Petra Schneider, Kochel am See

Der touristische Druck auf die Alpenregionen wächst und damit auch die Gefährdung sensibler Naturräume. Die Lebensqualität der Anwohner leidet, gleichzeitig ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig. Der Bund Naturschutz (BN) in Bayern hat sich nun mit einem neuen Positionspapier zu Wort gemeldet, das am Donnerstagabend vor etwa 70 Zuhörern in der Kochler Heimatbühne vorgestellt wurde: "Von der Traumlandschaft zum übernutzten Berggebiet", so lautet der Titel dieses Werks.

In der anschließend von Bergjournalist Georg Bayerle moderierten Runde diskutierten der Kochler Bürgermeister und stellvertretende Landrat Thomas Holz (CSU), der Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus, Professor Alfred Bauer, der Tourismus-Manager der Zug-spitz-Region, Philipp Holz, der Bergfotograf Bernd Ritschel und BN-Kreisvorsitzender Friedl Krönauer, der die Präsentation übernahm. Breiten Raum nahm die Problemdarstellung ein. 13,4 Millionen Menschen könnten die bayerischen Alpen innerhalb von zwei Stunden erreichen, erklärte Krönauer - Tendenz steigend.

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Für das Jahr 2019 verzeichnet die Statistik rund sieben Millionen Übernachtungsgäste und etwa 90 Millionen Tagesgäste. Touristiker schafften zusätzliche Anreize durch den Ausbau von Seilbahnen, Beschneiungsanlagen, Bikeparks oder auch Genuss-Almen. Digitale Routenplaner erleichterten der breiten Masse den Zugang zu einsamen Bergregionen, und soziale Netzwerke verschlimmerten den Trend. "Aus Geheimtipps werden Hotspots", sagte Krönauer.

Lösungsansätze sieht der Bund Naturschutz in fünf Hauptforderungen: Tourismus-Leitbilder sollten Maximalzahlen enthalten, anstatt immer nur noch mehr Gäste anzuwerben. Staatliche Subventionspolitik müsse neu strukturiert werden. Ökologisch schädliche Subventionen, wie Beschneiungsanlagen oder Flächenprämien für Intensivlandwirtschaft, müssten gestrichen werden. Straßen dürften nicht weiter ausgebaut, der Individualverkehr müsse eingeschränkt werden. Eine weitere Erschließung durch Wege und Steige in den Alpen, auch für Land- und Forstwirtschaft, müsse gestoppt werden. Regeln und Vorschriften sollten klarer definiert und durchgesetzt werden. Außerdem könnte ein "Zonierungskonzept" festlegen, welche Outdoor-Sportarten wo möglich sind und wo nicht.

In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass auf dem digitalen Ausflugsticker, der seit diesem Jahr abrufbar ist, große Hoffnungen ruhen. "Die Absicht ist, dass sich die Leute schon zu Hause über die Verkehrs- und Parksituation informieren", sagte Professor Bauer. Fraglich sei allerdings, inwieweit sich Menschen "umlenken" ließen. Im Übrigen gehörten auch Einheimische zu den Tagesausflüglern, "sie sind auch Teil des Problems". Untersuchungen hätten ergeben: "Die meisten Verkehrsbewegungen waren innerhalb der Region." Bauer teilte die Forderung des BN nach einer Begrenzung der Gästezahlen. Wenn die Lebensqualität der Einheimischen und der Erholungswert erhalten bleiben sollen, "müssen wir über Maximalzahlen reden", sagte der Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus. Im Übrigen entspreche es nicht den Tatsachen, dass Tagesausflügler weniger Geld brächten als Urlauber.

Das konnte Bürgermeister Holz bestätigen: Zu 335 Millionen Euro Bruttoumsatz im Landkreis durch den Tourismus trügen Tagesausflügler gut die Hälfte bei, teilte er mit. Holz unterstützte den Vorschlag des BN, touristische Regionen außerhalb der Alpen stärker zu fördern. Nötig sei "eine Sensibilisierung dafür, dass Erholung nicht nur im Voralpenland möglich ist", sagte Holz.

Dass sich der Tourismus in einem Spannungsfeld mit dem Naturschutz befindet, bestätigte Tourismusmanager Philipp Holz. Aber der moderne Tourismus verfolge einen ganzheitlichen Ansatz. "Wir wollen nicht jeden Berg zubauen, sondern die Landschaft erhalten." Ähnlich äußerte sich Zuhörer Andreas Wüstefeld, Leiter des Tölzer Land Tourismus. "Ich kenne keinen Touristiker, der nicht auf Qualität setzt". Dass Hoteliers und Gastronomen wollten, "dass die Hütte voll ist", sei verständlich. Man müsse anerkennen, dass der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig sei, meinte Wüstefeld.

Friedl Krönauer sprach sich entschieden gegen ein Profitstreben auf Kosten der Natur aus und nannte als Beispiel die Zugspitzbahn. Dort habe man neue Gondeln eingesetzt und die Kapazitäten erhöht. "Seitdem steht Grainau still", sagte der BN-Kreisvorsitzende. Der Lösungsvorschlag des dortigen Bürgermeisters: eine Umgehungsstraße. Einigkeit herrschte darüber, dass der Öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden müsse.

Aber die einzige Lösung sei das nicht, sagte Bergfotograf Ritschel. "Ich beobachte täglich 400 bis 600 Leute, die aus dem Zug steigen und auf die Sonnenspitze wandern." Ökologisch korrekt, aber einfach zu viele. Angelockt würden die Leute oftmals von Ausflugs-Apps. Ritschel schlug deshalb vor, Social-Media-Anbieter mit ins Boot zu holen. Sie sollten ihre Ausflugstipps zeitlich begrenzen und regional verteilen. Er plädierte dafür, im Umgang mit Touristen und Ausflüglern den "vorwurfsvollen Ton" rauszunehmen. Grundsätzlich sei mehr Dialog, mehr Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren nötig - darüber war man sich auf dem Podium einig.

© SZ vom 18.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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