Ickinger Ehrenamt:Aus für die Pioniere der Nachhaltigkeit

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Ob froschgrüner Tanga oder Designer-Kleid: Im Ickinger Secondhandshop gab es gut Gebrauchtware zu günstigen Preisen. Vom Erlös wurden soziale Projekte unterstützt. Nach 40 Jahren aber ziehen die Organisatoren die Reißleine.

Von Claudia Koestler, Icking

Als die Welt gerade so richtig Fahrt aufgenommen hatte in Richtung Massenkonsum und Wegwerfmentalität, wagte eine kleine Gruppe im Isartal den umgekehrten Weg: Gebrauchte, aber gut erhaltene Kleidung sollte nicht länger in den Container wandern, sondern neue Besitzer finden. 40 Jahre lang gelang das äußerst erfolgreich mit dem "Secondhandshop" in Icking - nun aber ist Schluss mit der ehrenamtlichen Pionierarbeit in Sachen Nachhaltigkeit. Leiterin Ingrid Vogel und ihr Team sperren zu - und das aus mehreren Gründen.

Zum einen spielt natürlich die Corona-Krise eine Rolle, denn heuer konnte der Basar bislang nur ein einziges Mal zum Jahresanfang über die Bühne gehen. Zugleich leidet die Organisation unter Nachwuchsmangel. Und der Ickinger Secondhandshop ist obendrein ein Opfer seines Erfolgs und der Digitalisierung: Weil sich Menschen zunehmend dem Wiederverwertungsgedanken verschreiben, bieten immer mehr Gruppen und Organisationen eigene Basare und Tauschbörsen an - viele Menschen nutzen zudem heute die entsprechenden Plattformen im Internet, um Gebrauchtes zu kaufen oder zu verkaufen.

Was allerdings auf der Strecke bleiben wird, wenn nun der Ickinger Secondhandshop ad acta gelegt wird, das ist der gesellschaftliche Aspekt, das persönliche Miteinander. Schließlich war der monatliche Basar in der evangelischen Kirche längst Treffpunkt für viele Bewohner des Isartals und darüber hinaus. Denn bis aus München, Straßlach und vom Starnberger See aus lockte er Interessierte an. Neben lokalem Einfluss hatte der Ickinger Secondhandshop sogar noch weit größere Auswirkungen. Denn 15 Prozent der Einnahmen hielten die Organisatoren stets zurück, um davon soziale Projekte in der Region und weltweit zu fördern. Rund 100 000 Euro sind so in den vergangenen 40 Jahren karitativen Zwecken zu Gute gekommen, berichtet Vogel.

Die 75-Jährige sitzt auf der Terrasse ihres Hauses, wo sie von den Anfängen des Basars erzählt. "Gegründet wurde der Secondhandshop 1980 von der damaligen Pfarrersfrau, die es mit ihrer Mutter aufzog." Vogel war zunächst Einkäuferin für ihre drei Kinder. "Irgendwann aber habe ich gesagt, wenn sie Hilfe bräuchten, würde ich schon helfen - und dann ist die Mutter ausgeschieden." Fortan war sie mit an Bord, 1999 übernahm die pensionierte Realschullehrerin schließlich die Leitung.

Ungewöhnlich aber auch, dass sich ausgerechnet in der gut situierten Isartalgemeinde ein Markt für Gebrauchtes so etablieren konnte. "Die Qualität, die uns gebracht wurde, hat sich im Laufe der Jahre schon wesentlich gebessert", erzählt Vogel. "Denn das erste, was wir bekommen haben, war noch ganz fürchterlich, das haben wir weggeschmissen: Unterwäsche, die nicht gewaschen war", so Vogel entsetzt. Doch schnell filterten die Ickinger gute Ware heraus, sogar Designer-Kostüme und Markenkleidung, was sich schnell herumsprach und immer mehr Kunden anlockte.

Doch das Ehrenamt, für das Vogel 2017 von der Gemeinde ausgezeichnet wurde, war arbeitsintensiv: Alleine drei Stunden dauerte es jedes Mal, alles abzurechnen - vom Auf- und Abbau ganz abgesehen. Da half die gute Stimmung, die unter den inzwischen acht Helferinnen und Helfern herrschte - und die regelmäßigen Dankesberichte, die sie von Vertretern der Hilfsorganisationen erhielten, die von den Erlösen profitierten. 250 Euro gingen jedes Mal an "Brot für die Welt", schließlich fand der Basar unter dem Dach der evangelischen Kirche statt. Die weiteren Projekte waren frei, jeder Helfer konnte etwas vorschlagen und wie ein Pate betreuen. So finanzierte die Gruppe unter anderem Nähmaschinen, Brillen und Krankenhausausstattungen für indigene Völker im Regenwald von Guatemala, spendete an die Kinderhilfe Afghanistan oder an das palästinensische Schulzentrum Talitha Kumi. In Brazzaville übernahm sie ein Jahr lang das Gehalt einer Krankenschwester, die sich um ledige Mütter kümmerte, und in Indien zahlte sie zwei Kindern die Ausbildung.

Eine Klosterschwester, die den Kontakt vermittelt hatte, dankte ihnen eines Abends mit einem spontanen Abendessen: "Affenscharf, aber lecker" sei das Curry gewesen, das die konvertierte Inderin ihnen in Vogels Küche zauberte. Auch lokal halfen sie: Einer jungen Frau, die gerad mit Blinddarmdurchbruch in der Klinik lag und in finanziellen Nöten war, zahlten sie eine Monatsmiete, und einem Kind aus einer Hartz-IV-Familie spendierten sie einen Computer für die Schularbeiten.

Man könnte Vogel stundenlang zuhören, wenn sie die Geschichten hinter dem Basar erzählt, etwa vom Beinahe-Skandal, weil jemand das Kreuz im Gemeindesaal mit BHs dekoriert hatte. Oder von dem großgewachsenen männlichen Kunden, der einen winzigen froschgrünen Tanga erwarb. Doch Vogel selbst habe als Leiterin des Secondhandshops eben auch auf viel verzichten müssen, sagt sie. Und nun, mit 75 Jahren, würde sie sich freuen, wenn sie zum Beispiel auch mal spontan wegfahren könnte. Corona, die Konkurrenz im Netz und dann auch noch die erfolglose Suche nach Nachfolgern: Die Entscheidung, einen Schlussstrich zu ziehen, sei ihr nicht leicht gefallen, betont sie. Nun sei es eben Zeit für ein neues Kapitel. Sollten sich die Zeiten aber ändern, würde der Secondhandshop irgendwann also durch andere eine Renaissance erfahren, stünde sie bei Bedarf mit Rat und Tat zur Seite, verspricht sie. Langweilig aber dürfte es Vogel, die im Ickinger Ortsteil Holzen aufwuchs und heute in Walchstadt lebt, nicht werden. Schließlich will sie sich nun vermehrt um ihre Enkel kümmern. Und eine weitere ehrenamtliche Tätigkeit geht für Vogel unverändert weiter - nämlich ihr Engagement in der Ickinger Nachbarschaftshilfe.

© SZ vom 28.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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