In Bad Tölz:Die Wiederentdeckung eines vergessenen Komponisten

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Hans Winterberg war Schüler Alexander Zemlinskys und Weggefährte Gideon Kleins. Er lebte zurückgezogen in Bad Tölz, doch die Stadt würdigt nun Leben und Werk. (Foto: Peter Kreitmeir/privat/oh)

Der jüdische Tonschöpfer Hans Winterberg überlebte den Holocaust und zog nach Kriegsende nach Bad Tölz. Nun werden seine Werke wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt - mit einer Diskussionsrunde und einem Klaviervorspiel im Kurhaus.

Von Sophia Coper, Bad Tölz

Hans Winterbergs Sprache war die Musik, drumherum wird es schon komplizierter. 1901 als Sohn einer jüdischen Rabbinerfamilie in Prag geboren, verbrachte der Pianist und Komponist die meiste Zeit seines Lebens im heutigen Tschechien. Unter den Nazis war er im KZ Theresienstadt interniert, nach dem Krieg zog Winterberg 1947 nach Bad Tölz, wo er bis zu seinem Tode 1991 in der Brauneckstraße wohnte. Als deutschsprachiger Jude aus einem Land, dessen Staatsform im 20. Jahrhundert mehr durch Wandel als Stabilität gezeichnet war, ist Winterbergs Nationalität und kulturelle Identität schwer zu fassen — und somit repräsentativ für die Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts. Ähnlich verhält es sich mit seiner Musik, die bislang weitestgehend vergessen war und erst durch die Bemühungen seines Enkels der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte.

"Offen gestanden war uns Hans Winterberg in Bad Tölz bis vor Kurzem unbekannt, umso dankbarer sind wir für die Erinnerung", eröffnete Christof Botzenhart, Dritter Bürgermeister von Tölz (CSU) die Veranstaltung am Sonntag unter dem Titel "Von Prag nach Bad Tölz. Faszinierende Klaviermusik von Hans Winterberg". Um den einstigen Bürger zu würdigen, hatte die Stadt zu einer Diskussionsrunde mit anschließendem Klavierkonzert eingeladen, die Reihen im Kurhaus waren an diesem Sonntagabend rund zu einem Drittel besetzt. "Es ist unsere Pflicht, denen, die vor den Nazis flohen, eine Stimme zu geben", betonte Botzenhart, er sei froh, dass die Musik endlich in Bad Tölz erklingen könne.

Peter Kreitmeir, Enkel von Hans Winterberg. (Foto: Manfred Neubauer)

Wie weit der Weg zu diesem Abend war, ließen die Schilderungen Peter Kreitmeirs, der als Zweites auf die Bühne trat, erahnen. Kreitmeier, der seinen Großvater Hans Winterberg nie persönlich kennenlernte, stieß im Rahmen "exzessiver Ahnenforschung" auf den Nachlass des Komponisten im Sudetendeutschen Musikinstitut. Winterbergs Adoptivsohn und Erbe hatte diesen 2002 an das Institut verkauft — unter der Bedingung, dass die jüdische Herkunft des Verstorbenen niemals genannt werden dürfe. "Einen Prager Juden in einen Sudetendeutschen umzuwandeln ist für mich Antisemitismus", entrüstete sich Kreitmeir, der in seiner emotionalen Rede immer wieder den eigenen Anteil an der Wiederentdeckung betont. In der Tat konnte die Sperrung des Nachlasses bis 2031 erst durch seine Recherchen und Drängen aufgehoben werden, mittlerweile besitzt er die Verwertungs- und Nutzungsrechte.

Diskussionsrunde im Tölzer Kurhaus (v.l.): Frank Harders, Petr Brod, Bernhard Neuhoff, Lubomir Spurny und Michael Haas. (Foto: Manfred Neubauer)

Winterbergs weitverzweigte Biografie spiegelte sich auch in der unterschiedlichen Zusammensetzung der Diskussionsrunde wider. Der Journalist Petr Brod aus Prag und der Vizedekan der Masaryk-Universität in Brno, Lubomir Spurny, sollten den tschechischen Hintergrund des Komponisten einordnen. Michael Haas vom Wiener Exilarte Zentrum für verfolgte Musik, und Frank Harders vom Boosey & Hawkes Musikverlag aus Berlin hingegen widmeten sich vor allem der musikalischen Aufarbeitung und Bekanntmachung des Werkes Winterbergs.

"Es liegt eine unglaubliche Genialität und Individualität in den Kompositionen von Hans Winterberg", stieg Haas ein, ihnen liege eine ganz eigene Ästhetik zugrunde. Als Schüler Alexander Zemlinskys und Weggefährte Gideon Kleins finden sich Facetten der zweiten Wiener Schule in seiner Musik, doch auch böhmisch-mährische Traditionen sowie impressionistische Einflüsse seien erkennbar. "Die Qualität besteht darin, dass er die Kraft zur Symbiose besitzt, das können nicht viele", so Frank Harders. Winterberg hinterlasse in seinem großen Corpus eine schiere Menge aller Gattungen, die durch die Brille seiner besonderen Biografie zu betrachten sei. "Er schenkt uns etwas, was mit dem Zivilisationsbruch nur bei ihm zu finden ist: eine komplexe Identität", sagte Harders.

"Viele Juden in Mitteleuropa wollten nicht fremd sein, sie wurden fremd gemacht"

Was darunter zu verstehen sei, wurde zur dominierenden Frage der Gesprächsrunde. Unter der Moderation von Bernhard Neuhoff, leitender Kulturredakteur des Bayerischen Rundfunks, wanderte das Diskussionsthema immer wieder zu der nationalen Angehörigkeit Winterbergs. "Bei Kompositionen geht es nicht nur um die Musik, sondern auch um die kulturellen Kontexte, in denen sie entstehen", hieß es von Spurny. Petr Brod wies auf den jüdischen Einfluss hin, der nicht unbedingt für die Personen selbst, aber für die Außenwahrnehmung eine Rolle spielte. "Viele Juden in Mitteleuropa wollten nicht fremd sein, sie wurden fremd gemacht", sagte er über das Schicksal vieler Prager Juden, zu denen auch Literaturgrößen wie Franz Werfel, Franz Kafka oder Rainer Maria Rilke gehörten. "Er schreibt klar darüber, dass seine musikalischen Wurzeln tschechisch sind. Erst nach seinem Tod wurde er zu einem sudetendeutschen Komponisten gemacht", beendete Frank Harders die etwas zu lange Debatte. Harders leidenschaftliche Worte ließen das persönliche Engagement des Verlegers durchschimmern. "Mir gefällt nicht der Fokus, Komponisten in Nationen einzuteilen. Mischbiografien fallen so durch das Raster", sagte er später abseits der Bühne. Werke wie die von Winterberg hätten es so ungemein schwerer, eine Chance auf Wiederentdeckung zu bekommen, so Harders.

Auch die Gründe für den Umzug des Komponisten nach Bad Tölz kamen zur Sprache. Als verfolgter Jude aus dem tschechischen Raum wirkt der Weg in das Land seiner Peiniger auf den ersten Blick schwer verständlich. "Nach seinen biografischen Umständen blieb ihm nichts anderes übrig", erklärte Harders, seine zwangsgeschiedene Frau und Tochter lebten mittlerweile in der Umgebung. Winterberg arbeitete später für den Bayerischen Rundfunk und am Richard-Strauss-Konservatorium in München, in Bad Tölz hielt er sich bedeckt.

Christof Botzenhart. (Foto: Manfred Neubauer)

"Er hat zwar hier gelebt, doch in der Gesellschaft war er nicht präsent", so der Dritte Bürgermeister Botzenhart. Eine posthume Ehrung als Bürger der Stadt hätte dementsprechend etwas "Künstliches", auch eine mögliche Plakette am Wohnhaus sei nicht im Gespräch. "Am besten werden wir ihm gerecht, wenn wir uns mit seiner Musik beschäftigen", sagte er, die Veranstaltung an diesem Sonntag sei für ihn "der Königsweg".

Pianist Jonathan Powell. (Foto: Manfred Neubauer)

So erklangen nach Ende der Gesprächsrunde Winterbergs Sonate Nr.3 von 1947 sowie Kompositionen seiner Wegbegleiter, gespielt von dem britischen Pianisten Jonathan Powell. Nach der leidenschaftlichen Diskussion kehrte Ruhe in den Saal ein. Gesprächsteilnehmer Petr Brod fand am Anfang schon Schlussworte für den Abend: "Das Großartige an der Musik ist, dass sie zu allen Völkern spricht."

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