Klassik in Wolfratshausen:Lebendig analysiert

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Fünfköpfiges Orchester: Sophia Herbig (Violine), Manca Rupnik (Violine), Yue Yu (Viola), Jakob Kuchenbuch (Violoncello) und Patrick Leung (Klavier) begeistern in der Loisachhalle. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ein junges Ensemble um die Geigerin Sophia Herbig lotet in der Loisachhalle Klavierquintette von Robert Schumann und Johannes Brahms aus - durchdacht und zugleich spielerisch.

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Vielleicht hätte Johannes Brahms die Partitur noch revidiert, wäre er im Publikum gesessen. Denn im ersten Satz seines Klavierquintetts häufen sich die "espressivo"-Anweisungen derart, dass es seinem Freund Hermann Levi wie ein "Misstrauensvotum gegen die Ausführenden" vorkam. Doch an Ausdruck mangelt es in der Loisachhalle nicht: Das Ensemble, das sich für dieses Konzert der Ickinger Musikwerkstatt Jugend gebildet hat, präsentiert eine packende Interpretation der Klavierquintette von Robert Schumann und Johannes Brahms. Dafür gibt es verdienten Jubel.

Den gibt es schon nach Schumanns Opus 44, das nicht nur klanglich erschlossen wird. Denn Herbig leitet es durch die Lesung zeitgenössischer Texte ein - eine Herangehensweise, die sie auch als Leiterin der Sinfonietta Isartal pflegt. Man erfährt, dass Schumann das Quintett in wenigen Tagen konzipiert hat. Tagen, in denen er, laut Clara, viel "mit dem Geist gearbeitet" habe, wohl zuungunsten des Ehelebens. Frau Schumann wird sich gelangweilt haben. Umso spannender hat es das Publikum. Dabei verfallen Herbig und ihre Mitstreiter, allesamt Alumni oder Dozierende des Salzburger Mozarteums, nie der Tendenz, den Schumann'schen Schwung in bloße Kammermusik-Virtuosität zu übersetzen. Ihr Zugang ist durchdachter. Deutlich wird das im ersten Satz, wenn Patrick Leung (Klavier) den Ausdruck durch Verzögerungen anreichert. Die Streicher reagieren darauf als Gruppe, wodurch das Quintett zum fünfköpfigen Orchester wird. Dessen Stärke ist das organische Wachsenlassen von Spannungen. Sie entstehen im Prozess, weshalb es auch keiner brüsken Akzente oder blendender Solisten-Gesten bedarf. Alles fließt.

Brahms' Notenlandschaft will klug kartografiert sein

Und wenn nicht, ist auch das gewollt. So im zweiten Satz, einem Trauermarsch, dem das Ensemble durch das gehende Tempo realistischen Charakter verleiht. Bestürzend wirken die minimal verlängerten Pausen vor den Einsätzen. Hier ist kein Gesang zu vernehmen, sondern stockender Atem. Und auch im C-Dur-Trio ist der Optimismus bestenfalls verschwommen, die Akkorde strahlen nicht, sondern schimmern wie hinter einem Schleier. Die Lösung von der Dunkelheit erreicht erst das Scherzo in Klavier-Trillern und blitzenden Streicher-Wendungen, was im Finale tänzerisch fortgeführt wird.

Das Quintett, das in dieser Besetzung seit ungefähr einem Jahr spielt, versöhnt auf vorbildliche Weise zwei Pole musikalischer Gestaltung - spielerische Spontaneität und intelligente Vorbereitung. Ein Werk von so "unglaublicher Dichte", wie sie Herbig in Brahms' Opus 34 findet, verlangt nach vorbereitender Analyse. "Aber eine lebendige Analyse soll es sein", betont sie lächelnd. In Brahms' Noten-Landschaft aus motivischen Verweisen und subtilen Ableitungen finden sich nur Musizierende zurecht, die sie zuvor gut kartografiert haben.

Ernst setzt der Kopfsatz ein. Aus diesem Thema entsteht praktisch alles, was in den kommenden vier Sätzen zu hören sein wird. Diesem Prozess widmen sich die fünf mit Muße, etwa wenn im ersten Satz Jakob Kuchenbuchs Cello ein zuvor von Yue Yu bewegt intoniertes Bratschen-Motiv imitiert und schwermütig einfärbt. Innig weitergeführt wird es von Manca Rupnik (Violine), um sich schließlich unter dem Bogen von Herbigs erster Geige zu verabschieden. Gemeinsam wird eine Entwicklung vollzogen, deren leidenschaftlichste Ausbrüche nur ein wenig an Substanz verlieren durch die heikle Akustik der Loisachhalle.

Davon ist leicht abzusehen, zumal sich nach dem Ruhepol des zweiten Satzes veritabler Scherzo-Furor entlädt. Hier erlaubt sich das Quintett zum ersten Mal, laut zu werden. So bereitet es den Finalsatz vor, der eigene Herausforderungen stellt. Herbig, Leung, Rupnik, Yu und Kuchenbuch meistern sie souverän: das musikantische Aufspielen ebenso wie die Momente gespenstischer Unbeweglichkeit, die auszusingenden Melodien und die kaum enden wollende Stretta, deren fulminanter Schlussspurt in Beifall aus den gut besetzten Reihen endet.

Zu überbieten wäre das nicht gewesen. Kein Wunder also, dass das Quintett dem Publikum eine Zugabe schuldig bleibt. Zumal es den zweiten Teil des Abends mit zwei Miniaturen begonnen hat. Durch das Nebeneinanderstellen von Brahms' und Schumanns Vertonung des Eichendorff-Gedichts "Mondnacht" in Quintett-Bearbeitung haben sie erneut Einblick gewährt in das ästhetisch-persönliche Netzwerk zwischen Clara und Robert Schumann und Johannes Brahms. Außerdem haben sie für einen Moment das Kunststück vollbracht, die Zeit anzuhalten in diesen kostbaren, fragilen Tongebilden, schlicht gesanglich ausgeführt und damit schlicht perfekt.

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Sophia Herbig bringt mit Künstlerfreundinnen und -freunden Klavierquintette von Robert Schumann und Johannes Brahms in die Wolfratshauser Loisachhalle.

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