Gerichtsbericht:Mit dem Messer in die Brust

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Ein Bierfahrer aus Wolfratshausen muss sich vor dem Landgericht München wegen versuchten Mordes verantworten. Er soll den Freund seiner Stieftochter aus Verachtung angegriffen haben, weil er aus der ehemaligen DDR stammt.

Von Andreas Salch, Wolfratshausen

Zwei Dinge sind dem Angeklagten, einem Bierfahrer aus Wolfratshausen, offenbar sehr wichtig. Immer wieder weist er darauf hin, dass er in seinem Leben stets viel gearbeitet habe und dass die Sache, die ihm eine Anklage vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München II eingebracht hat, angeblich gar nicht so tragisch gewesen sei. Der Bierfahrer ist angeklagt wegen versuchten Mordes.

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft hat er Ende November vergangenen Jahres in der Küche des Haues, in dem er mit seiner Frau wohnt, dem Freund seiner Stieftochter ein Edelstahlmesser mit einer Klingenlänge von elf Zentimetern "zweimal in Tötungsabsicht ansatzlos, unvermittelt und wuchtig unterhalb des Rippenbogens" in den Oberkörper gestoßen. Beim zweiten Stich brach die Klinge an einer Rippe ab. Daraufhin soll der 55-jährige Bierfahrer von seinem Opfer abgelassen haben. Seine war Frau dazwischengegangen. Das Messer mit der abgebrochenen Klinge soll er dem Freund seiner Stieftochter daraufhin an den Kopf geworfen haben. Der 33-Jährige erlitt am linken Rippenbogen eine fünf sowie eine 15 Millimeter tiefe Stichwunde. Außerdem wurde er bei der Messerattacke am linken Unterarm und an der Stirn verletzt.

Der Anlass für die Tat könnte nichtiger kaum sein: Der Bierfahrer hatte sich über seine Frau geärgert, weil sie ihm verboten habe, sich in der Küche sein Abendessen zu machen, erklärt einer der Verteidiger, Rechtsanwalt Attila Graf von Stillfried, für den Angeklagten. "Blind vor Wut" habe sein Mandant ein Gurkenglas die Kellertreppe hinuntergeschleudert. Als der Freund der Stieftochter die Scherben zusammenkehrte, habe sich der Angeklagte ein Brot gestrichen. In dem Augenblick, als der 33-Jährige den Kehricht in den Müll gab, sei es zu einem "Wortgefecht" zwischen seinem Mandanten und dem Opfer gekommen, so der Anwalt. Daraufhin habe der Angeklagte, der angeblich zwei Bier getrunken hatte, "vollends die Fassung" verloren und zugestochen. Sein Mandant, so der Verteidiger, habe sich vor dem 33-Jährigen gefürchtet, da dieser ihn schon einmal angegriffen und verletzt habe. Töten habe er den Freund seiner Stieftochter jedoch nicht wollen, betont Rechtsanwalt von Stillfried. Konkrete Erinnerungen an die Tat habe der Angeklagte keine mehr.

Martin Hofmann, der Vorsitzende Richter, lässt das allerdings so nicht stehen. Denn bei seiner Vernehmung durch die Polizei und später bei einem Ermittlungsrichter hatte sich der Bierfahrer um Kopf und Kragen geredet. Bei beiden Terminen schimpfte er auf den 33-Jährigen unter anderem deshalb, weil er aus der ehemaligen DDR stammt. Vor der Messerattacke soll er ihn mit den Worten "Grattler" und "DDRler" beleidigt haben. Mit diesen Einlassungen habe der Angeklagte der Staatsanwaltschaft die Mordmerkmale seiner Tat geradezu "auf einen silbernen Tablett geliefert", stellt Richter Hofmann fest. Die Anklage geht davon aus, dass der Bierfahrer heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zugestochen habe. Er habe aus "Abscheu und Verachtung" vor dem Lebensstil des 33-Jährigen gehandelt und ihm aufgrund seiner ostdeutschen Herkunft "jegliches Lebensrecht" abgesprochen, so die Anklage. Als Richter Hofmann den Bierfahrer fragt, was der 33-Jährige für ein Typ sei, antwortete er: "A guader DDRler."

Rechtsanwältin Birgit Schwerdt, die zweite Verteidigerin, verwies darauf, dass der 55-Jährige "geistig etwas eingeschränkt" sei. Er sage ja zu Dingen, die ihm in den Mund gelegt würden. Im Gespräch mit ihr habe er etwa nie gesagt, dass er Ostdeutsche nicht möge. Nach der Tat befand sich der Bierfahrer sechs Monate in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Erst Ende Mai dieses Jahres wurde er einstweilig in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht. Der 55-Jährige sei dement, so die Verteidigerin. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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