Geretsried:Nicht mehr als Wasser, Mehl und Salz

Lesezeit: 4 min

Mittlerweile wächst schon die vierte Generation heran: Ludwig Schmid (rechts) mit seinem Bruder Georg, der als Koch vor allem fürs Catering zuständig ist, und dessen Sohn Xaver. (Foto: Hartmut Pöstges)

Den Schmid-Bäck in Geretsried gibt es seit mehr als 70 Jahren. Vor Kurzem ist er erneut mit dem Staatsehrenpreis für das bayerische Bäckerhandwerk ausgezeichnet worden. Wie hält sich ein Familienbetrieb über drei Generationen? Ein Besuch.

Von Kathrin Müller-Lancé, Geretsried

An diesem Morgen gegen halb acht herrscht schon fast Feierabendstimmung in der Backstube. Der Ofen hat noch Restwärme, ein Mitarbeiter putzt die benutzen Backbleche. Der Boden ist rutschig vom vielen Mehl. Seit mehr als fünf Stunden sind die meisten hier schon auf den Beinen.

In den Räumen, durch die Bäcker Ludwig Schmid führt, rührten auch schon sein Vater und sein Großvater in riesigen Teigschüsseln - den Schmid-Bäck in Geretsried gibt es in dritter Generation. In Zeiten, in denen sich in den Innenstädten trashige Aufbackketten und hippe Brotboutiquen abwechseln, wirkt das Stammhaus im Wohngebiet an der Schlesischen Straße angenehm bodenständig. Zum vierten Mal in Folge sind die Schmids gerade mit dem Staatsehrenpreises für das bayerische Bäckerhandwerk ausgezeichnet worden. Das Genussmagazin Feinschmecker zählt sie zu den besten Bäckern Deutschlands. Wie hat es der Familienbetrieb geschafft, sich so lange zu behaupten?

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

"Unser Anspruch ist es, einfach gutes Brot zu machen - und das besteht am Ende aus nicht mehr als Mehl, Wasser und Salz", sagt Anton Schmid junior, 70 Jahre alt, Vater von Ludwig Schmid und Sohn der Gründer. Wer mehr über die Schmids erfahren will, muss eigentlich nur ein Stockwerk hochsteigen, ein Teil der Familie wohnt noch direkt über dem Ladengeschäft.

In der Küche erzählt die 92-jährige Anna Schmid - vor sich, natürlich, eine frische Semmel - von den Anfängen der Bäckerei. 1960 kam sie mit ihrem Mann nach Geretsried. Anton Schmid senior war der erste ausgebildete Bäcker, der sich in der kurz nach dem Krieg gegründeten Gemeinde niederließ. Die Bäckerei ist in einem ehemaligen Munitionswerke-Bunker untergebracht, die dicken Wände in der Backstube zeugen noch davon.

In der Anfangszeit gab es gerade einmal drei Brote: Mischbrot, Weißbrot, Kümmelbrot. Später kamen die Brezen dazu. Heute wechseln sich mehr als 30 Sorten in der Auslage ab: Frankenlaib, Weißbierweckerln, Kartoffelkrusti, Steinofen-Baguette. "Ich hab so eine Freude, dass es weitergeht", sagt die Senior-Chefin.

Ihre Kinder und Enkel haben ein kleines Imperium errichtet: Neben dem Stammhaus betreiben die Schmids drei Filialen, verkaufen auf Wochenmärkten und bieten Catering an. 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt der Betrieb. Noch größer, so lässt es sich aus den Aussagen der Schmids heraushören, will man aber nicht unbedingt werden. "Wenn du es klein gelernt hast, kannst du es auch nur klein machen", sagt Anton Schmid junior. Zwischendurch hätten sie sich schon auch mal bedroht gefühlt von den allerorts hochsprießenden Großbäckereien, die ihre Brote und Semmeln viel günstiger anbieten konnten als sie. Mittlerweile seien sie aber sicher, dass sich Qualität auch auszahlt: "Dann ist es bei uns vielleicht ein bisschen teurer, aber das ist es unserer Kundschaft wert."

Fürs Backen zuständig ist heute maßgeblich Ludwig Schmid, 43, der Enkel der Gründer. Sein Konterfei ziert auch den Lieferwagen, der vor der Backstube abgestellt ist. Zu fast allem in den Produktionsräumen weiß Schmid etwas zu erzählen - zum Steinofen ("Ich bilde mir ein, dass das einfach besser schmeckt"), zum Sauerteig ("Der ist eine richtige Diva"), zu den Gewürzschalen ("Das ist Brotklee aus Südtirol, riechen Sie mal"). Das eindeutig breiteste Strahlen macht sich aber unter seinem roten Bart breit, als er in die Konditorei-Ecke kommt. Hier öffnet er eine Schublade - voll mit Zucker. "Da habe ich schon als Kind am liebsten die Erdbeeren reingetaucht."

Bäcker werden wollte er schon immer, erzählt Ludwig Schmid - obwohl das niemand in der Familie von ihm verlangt habe. Auch ein Abiturschnitt von 1,1 änderte daran nichts. Die Ausbildung absolvierte er schon parallel zur Schule im elterlichen Betrieb, vier Wochen nach dem Abitur legte er die Gesellenprüfung ab. Es folgte ein Studium der Lebensmitteltechnologie in Weihenstephan. Man dürfe seinen Beruf ohnehin nicht unterschätzen, findet Schmid: "Seit dem Lockdown wissen die Leute, dass ein Bäcker, der mit Sauerteig umgehen kann, ein halber Mikrobiologe ist." Sieben verschiedene Sauerteige bereiten die Schmids für ihre Brote zu, auch die Hefe setzen sie selbst an. Das Getreide kommt aus der Region: "Das von Kanada oder sonstwo herzukarren macht einfach keinen Sinn", findet Schmid.

Trotz allem hat die Bäckerei mit einem Problem zu kämpfen, das die ganze Branche umtreibt: dem Nachwuchsmangel. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Auszubildenden für den Bäckerberuf in Deutschland mehr als halbiert: Im Jahr 2010 waren es noch rund 12 000, 2020 nur noch etwas mehr als 5000. In der Geretsrieder Backstube wird derzeit kein Lehrling ausgebildet. Irgendwen würde er natürlich schon finden - aber es sei schwierig, gute und motivierte Leute zu bekommen, sagt Ludwig Schmid. Das Image der Bäckereien sei nicht gut: "Da denkt man natürlich sofort an schlechte Bezahlung und harte Arbeitszeiten."

Nicht alles daran lässt sich leugnen. Auch die Schmids haben in ihrer Bäckerei eine Sieben-Tage-Woche, geschlossen ist nur wenige Tage über Ostern und Weihnachten. "Als Kind war ich entsetzt, als mir Mitschüler erzählt haben, dass sie auch an Pfingsten in den Urlaub fahren", erzählt Ludwig Schmid. "Bei uns gab es zwei Wochen im Sommer, mehr nicht." Schon früh mussten die Kinder in der Bäckerei mithelfen, besonders am Wochenende. "Ich könnte mir trotzdem keinen Beruf vorstellen, der mir persönlich mehr gibt."

Auch wenn er wegfährt aus Geretsried, packt Schmid seine schwarz-weiß karierte Bäckerhose ein. Das habe er bei seinem Vater gelernt: "Wenn man in den Urlaub fährt, geht man in eine Bäckerei." Und zwar nicht zum Einkaufen, sondern zum Mitarbeiten. Für seine Croissants hat sich Schmid unter anderem auf dem Pariser Großmarkt inspirieren lassen, für die Zimtschnecken in Oslo.

Der Enkel der Gründer hat es sich mittlerweile sogar zur Aufgabe gemacht, die Wurzeln der Bäckerei wieder auszugraben. Also: weniger Sorten, und dafür mehr Zeit für den einzelnen Teig. "Kein Mensch braucht doch ein Roggen-Weizenmischbrot mit dem Verhältnis 80:20 - und noch eins mit dem Verhältnis 70:30." Chia- oder Eiweißbrote sucht man bei den Schmids vergebens. "Wir machen nicht jede Mode mit."

Ein bisschen mit der Zeit mithalten muss man aber schon, auch in Geretsried. Schmid spricht von einem "Markenbildungsprozess", den er zusammen mit seiner ganzen Familie angestoßen habe. Auf der Homepage stehen jetzt Vokabeln wie "anständig" und "ehrlich". Auf dem bäckereieignen Youtube-Kanal klärt Ludwig Schmid über verschiedene Mehlsorten und Gluten auf.

Was den Familienbetrieb ausmacht, zeigt sich laut Ludwig Schmid am deutlichsten am 24. Dezember. "Das ist für uns der stressigste und schönste Tag im ganzen Jahr." Wie in jeder anderen Familie sei die Stimmung ohnehin angespannt, hinzu komme der Stress im Betrieb, die Weihnachtszeit ist für die Bäckerei die arbeitsreichste Phase des Jahres. "Da kommt es schon mal zu negativen Rückkopplungen." All das sei aber am Nachmittag und Abend wieder vergessen. "Wenn die Bäckerei zumacht und die Familie zusammenkommt, ist das einfach wunderschön, diese Gemeinschaft", sagt Schmid.

Irgendwann bei der Tour durchs Haus kommt der siebenjährige Kilian ums Eck, Neffe von Ludwig und Urenkel von Anna Schmid, die vierte Generation also. Auf die Frage, ob er auch mal Bäcker werden wolle, antwortet er entschlossen: "Nee, Feuerwehrmann!"

© SZ vom 09.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: