Geretsried hofft auf die Energiewende:Alle Blicke sind auf Gelting gerichtet

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Besuch beim Bohrturm in Gelting: Ministerin Bettina Stark-Watzinger, Daniel Mölk, Standort-Manager Eavor New Technologies, Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Markus Söder. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Mit dem Eavor Loop könnte sich die Stadt ein Fernwärmenetz schaffen. Die Entwicklung der Innenstadt wird mit der Neueröffnung der Egerlandstraße abgeschlossen.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Drei Geretsrieder Personen sind in diesem Jahr besonders aufgefallen - eine ist öffentlich aufgetreten, einer aus- und einer eingetreten. Die frühere SPD-Stadträtin Edith Peter wurde für vielfältiges soziales Engagement, sei es in der Hilfe für psychisch kranke Menschen, im Christophorus-Hospizverein, vor Gericht oder im VdK, mit der Isar-Loisach-Medaille ausgezeichnet. Der Grüne Volker Witte, jahrelang ein äußerst aktiver Umweltreferent, legte mit siebzig Jahren sein Mandat als Stadtrat nieder. Und Andreas Wagner, einst für die Linke im Bundestag, trat in die SPD ein - man darf also auf die nächste Liste der Partei zum Stadtrat gespannt sein.

In der Stadtpolitik war das Ereignis der Besichtigungstermin von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Begleitung der Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger (FDP) und des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) auf dem Geothermie-Gelände in Gelting. Und dies nicht nur wegen der Prominenz des Besuchs, sondern auch weil auf diesem neuartigen Projekt der Tiefenwärmenutzung, dem sogenannten Eavor Loop, die große Hoffnung der Stadtpolitik ruht. Bürgermeister Michael Müller (CSU) betonte dies auch in der Bürgerversammlung: Sollte das Unternehmen Eavor mit seiner neuartigen Technik in Gelting erfolgreich sein, könne die Stadt 2025 mit einem Fernwärmenetz beginnen. Das wäre für Geretsried ein großer Schritt zur Energiewende.

Planschen in der Neuen Mitte: So feiern Kinder die Eröffnung der neu gestalteten Egerlandstraße. (Foto: Hartmut Pöstges)
Kabarettist Josef Brustmann begrüßt in seinem Richtfestspruch an der Banater Straße die Leute "vor den heilgen Hallen, auch wenn's net gleich am jeden gfallen" und frotzelt in Richtung Architekt Klaus Kehrbaum: Beton als Baumaterial habe in Geretsried von Grund auf Tradition, denn schon die Rüstungsbunker seien ja daraus geschaffen worden. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In der Stadtentwicklung ist Geretsried gleich zwei Schritte weitergekommen. Im Juli wurde die neu gestaltete und bebaute Egerlandstraße feierlich eröffnet und damit die Neue Mitte Geretsried gefeiert. Für das Vorzeige-Bauprojekt Banater Straße des Bauunternehmens Krämmel mit mehr als 700, teils öffentlich geförderten Wohnungen, wurde im September Richtfest gefeiert.

Die frühere Versöhnungskirche ist jetzt ein Profanbau. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ein Verlust für die Stadt droht hingegen am Chamalièresplatz. Dort hat die evangelische Kirche im Oktober ihre Versöhnungskirche mit einem feierlichen Akt entwidmet. Das einzigartige Gebäude des berühmten Architekten Franz Lichtblau mit den wabenförmigen Strukturen müsste aufwendig - und damit teuer - saniert werden. Dies würde die Kirchengemeinde vollkommen überfordern, stellte die Landeskirche fest. Wie es nun weitergeht - Verkauf und Abriss oder Verpachtung - ließ die Petruskirche offen.

Verkehrsfragen beschäftigen die Stadt seit Jahr und Tag. Sieht man vom immer noch ausstehenden Ausbau der S-Bahnlinie 7 bis Geretsried und dem auch schon lange Jahre verzögerten Umbau der viel befahrenen B 11 ab, so bleibt innerstädtisch noch genug zu tun. Was genau - dazu hat die Stadt die Bürgerinnen und Bürger befragt. Schon beim Auftakt mit einem Mobilitätsforum im November zeigte sich, woran es hapert: an einem optimalen Radwegenetz und an einem dichten Bus-Takt, also an guten Alternativen zum Auto. Bürgermeister Müller führt dies auf die lang gezogene Siedlungsstruktur der Stadt zurück und erklärt: "Den Primat des Autos haben wir bis heute." Das soll sich ändern. Die Umfrage lief bis Dezember, mit der Auswertung und Fortsetzung des Vorhabens ist im neuen Jahr zu rechnen.

Hans Ketelhut diffamiert Mietspiegel als "Unfug"

Ein zweiter Dauerbrenner ist in Geretsried - wie im gesamten Münchner Speckgürtel - das teure Wohnen. Und obwohl sogar der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) erklärt hat, Mietspiegel seien "ein wichtiges Instrument", damit sich "Familien, Menschen mit 'normalen' Einkommen und Senioren das Wohnen in Ballungsräumen auch künftig noch leisten können", lehnte die große Mehrheit des Geretsrieder Stadtrats erneut einen SPD-Antrag auf einen qualifizierten Mietspiegel ab. Den Höhepunkt der Einwände lieferte Hans Ketelhut (CSU), indem er das anderswo sehr erfolgreich eingesetzte Instrument als "echten Unfug" bezeichnete.

Besonders bewährt ist in der einst von Vertriebenen aufgebauten Stadt Geretsried die Integrationsarbeit. Die Stadtpolitik und der Trägerverein Jugend- und Sozialarbeit haben heuer bereits das 20. Integrationsforum veranstaltet. Eindrucksvoll war dabei der Vortrag von Uche Akpulu, einem Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats, über Fluchtrouten und Fluchtursachen, wozu nicht zuletzt die europäische Kolonialpolitik zählt. Der Bürgermeister bekannte sich in seinem Grußwort wieder einmal zur Verantwortung, indem er sagte: "Integration ist eine ureigene kommunale Aufgabe."

Ein Verdienst des Arbeitskreises Historisches Geretsried: Zeitzeuge Norman Weber (Mitte) besucht die Stadt (links Bürgermeister Michael Müller, rechts Friedrich Schumacher). (Foto: Hartmut Pöstges)

Genauso wertvoll für die Stadt ist das unermüdliche Engagement des Arbeitskreises Historisches Geretsried (AHG), der heuer sein 20-jähriges Bestehen feierte. Was mit "Märchen und Legenden aus der alten Heimat" im kleinen Kreis rund um Arthur Zimprich begonnen hat, ist heute die Grundlage der Zeitgeschichtsarbeit in der Stadt. Vor allem zu den beiden Munitionsfabriken der Nazis im Wolfratshauser Forst, aber auch zu den Industriepionieren der Vertriebenenstadt, zu Straßennamen, zu "Kultur aus Ruinen" oder der Stadtplanung haben die AHG-Aktiven geforscht. Ihre Arbeit wurde heuer von einem besonderen Gast gewürdigt: Der inzwischen 88 Jahre alte Norman Weber musste als Neunjähriger den Todesmarsch mitansehen und die Bombardierung der DAG-Rüstungsfabrik im heutigen Geretsried erleben. Im September suchte er jene Stätte seiner Kindheit auf, die sein Leben bis heute geprägt hat: das Ingenieurshaus 882 der Dynamit AG (DAG) - eines der größten Rüstungswerke der Nazis - an der heutigen Graslitzer Straße.

Mit "Skulpturen der Kulturen" von Josef Henselmann hat die städtische Galerie an der Elbestraße eröffnet. (Foto: Hartmut Pöstges)

In der Kulturpolitik hat die Stadt Geretsried zwei Marksteine gesetzt: Sie hat die ursprünglich privat von Albrecht Widmann bespielte Galerie an der Elbestraße als städtische Galerie übernommen und mit einer Kunstmeile durch die Stadtmitte begonnen. Bürgermeister Müller hat ein eigenes Konzept für eine solche Reihe von Skulpturen im öffentlichen Raum vorgelegt, das nach sehr knapper Diskussion einstimmig angenommen wurde. Kern seines Entwurfs ist es, "die Identität der Stadt" mit Kunst im öffentlichen Raum zu reflektieren.

Der Geretsrieder Kulturherbst hingegen wurde abgeschafft, nachdem sich zuletzt kein Veranstalter mehr gefunden hatte. Er soll durch eine Art Ganzjahresfestspiele ersetzt werden: das "Geretsried-Festival" mit "musikalischen, cineastischen und kulinarischen Leckerbissen". Dagegen hat der Kulturverein Isar-Loisach (KIL) sein ehrenamtlich organisiertes Pipapo-Festival auch dieses Jahr wieder mit großem Aufwand veranstaltet.

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