Energiewende:Schatten über Dietramszell

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Kommentar von Claudia Koestler, Dietramszell

Mit Here comes the sun, zu deutsch: hier kommt die Sonne, hat George Harrison 1969 im Landhaus seines Freundes Eric Clapton eines der bekanntesten Beatles-Lieder komponiert. Genius loci und genius temporum sind da wohl zusammengekommen. Hätte er bis 2022 gewartet und Clapton einen Landsitz in Dietramszell besessen, wäre dieser Song sicher nie entstanden. Denn in der bayerischen Gemeinde ist eine neue Ära der Finsternis eingezogen, zumindest energiepolitisch. Auf einem Feld wollte ein Grundstückseigentümer ein zehn Hektar großes Solarfeld bauen und damit regenerativen Strom für alle Dietramszeller Haushalte erzeugen. Das aber rief die Nachbarn auf den Plan. Sie brachten den Eigner dazu, den Antrag zurückzunehmen. Und zwar nicht mit nachvollziehbaren Argumenten, sondern mit verbaler Gewalt. Vier Nachbarn kippen also ein Projekt, das 5000 Einwohner energieunabhängig hätte werden lassen. David gegen Goliath mit umgekehrten Vorzeichen. Nur dass es bei diesem Krieg ausschließlich Verlierer gibt.

Da mag Ministerpräsident Markus Söder noch so gerne vom "Sonnenland Nummer eins" sprechen: Ohne Kompromissfähigkeit und ohne anständiges demokratisches Ringen um den besten Weg sieht es bald zappenduster aus für die Menschheit. Dietramszell ist ein Beispiel für die Heuchelei, die das Thema Klimawandel umgibt: Die Energiewende fordern viele, jeder Versuch der Umsetzung aber wird fast schon reflexartig mit mehr Energie bekämpft, als je regenerativ erzeugt werden könnte.

Dabei macht nicht nur der aktuelle Krieg in der Ukraine klar, wie dringend nötig eine unabhängige Energieversorgung ist. Hemmungsloser Egoismus und brutales Recht des Stärkeren aber werden die Welt nicht retten, sondern vernichten. Seit vielen Jahrzehnten ist das klar, aber statt miteinander um etwas Besseres zu ringen, wird gegeneinander gekämpft. Und das eben nicht nur irgendwo weit weg, sondern unmittelbar nebenan.

Ja, Gewohnheiten sind wichtig, Veränderungen unerwünscht, Abkürzungen immer willkommen. Vielleicht eine verständliche menschliche Eigenschaft. Nicht verständlich und nicht tolerierbar ist aber die zunehmende Gewaltbereitschaft. Das Leitmotiv, dass man andere nur so behandeln sollte, wie man selbst behandelt werden möchte, muss dringend eine Renaissance erfahren - auf allen Ebenen, vom Miteinander unter Nachbarn im Dorf bin hin zur großen Bühne der Weltpolitik. Dietramszell ist ein nachtschwarzes Beispiel, wie es nicht laufen darf. Aber wenn die Nacht am dunkelsten ist, ist bekanntlich die Dämmerung am nächsten. Hoffentlich ist es eine Dämmerung, bei der alle aufwachen und merken, was es geschlagen hat, und keine Götterdämmerung.

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