Vor zwei Jahren wurde Karl Bär erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt, wo er die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach vertritt. Im SZ-Interview erklärt der Grünen-Abgeordnete, für welche regionalen Interessen er sich in Berlin einsetzt, warum er sich bei manchen Abstimmungen auf seine Kollegen verlassen muss - und bei welchen Themen er sich auch gegen die Fraktionslinie stellen würde.
SZ: Herr Bär, wo haben Sie im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen schon etwas zum Besseren verändert?
Karl Bär: Es ist mir gelungen, dem Landwirtschaftsministerium zu verdeutlichen, dass es einen Unterschied zwischen der saisonalen und der ganzjährigen Anbindehaltung gibt. Das wird sich auf landwirtschaftliche Betriebe in der Gegend auswirken, die dadurch nicht oder zumindest nicht so schnell aus dem Markt geworfen werden. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass beim Gebäudeenergiegesetz das Verbot von Holzheizungen in Neubauten gestrichen wurde. Ich weiß zwar nicht, ob es noch Leute gibt, die ein neues Gebäude bauen und sich leisten können, den Keller mit Hackschnitzeln zu füllen. Es war aber etwas, das sich viele Menschen in der Region gewünscht haben.
Was wollen Sie sonst noch für die Menschen im Oberland erreichen?
Ich bin gerade dabei, die Wirtschafts- und Finanzministerien zu überzeugen, dass die bayerischen Wasserkraftwerke, die in den 1990er-Jahren privatisiert wurden, den Menschen gehören sollten. Die regionale Energieversorgung muss wieder in kommunale Hände kommen, indem zum Beispiel ein Konsortium von Stadtwerken das Walchenseekraftwerk betreibt. Davon würden nicht nur die Haushalte vor Ort profitieren, sondern es würde dadurch auch einfacher, Konflikte mit dem Naturschutz zu lösen, weil nicht noch die Interessen eines finnischen Großaktionärs bedacht werden müssten.
Mit welchen Themen wenden sich die Menschen an Sie?
Ich treffe mich oft mit Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden aus der Region. Eine Sache, die in den Gesprächen fast immer thematisiert wird, ist der Fachkräftemangel. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und dem Chancen-Aufenthaltsrecht haben wir in dieser Hinsicht schon einiges erreicht. Es ist nicht nur eine humanitäre Frage, sondern für eine Region, in der es wirtschaftlich gut läuft, auch ein massiver Begrenzungsfaktor, wenn wir es nicht schaffen, Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern die Möglichkeit zu geben, sich niederzulassen.
Wie wollen Sie das Problem des Fachkräftemangels lösen?
Es gibt zwei Sachen, die wir schon gemacht haben: Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist für Menschen, die in bürokratischen Kreisläufen stecken. Das kann zum Beispiel ein abgelehnter Asylbewerber sein, der in Deutschland eine Ausbildung macht, aber aus irgendwelchen Gründen keinen Reisepass besitzt. Wenn er sich nach dem Ende seiner Ausbildung einen Reisepass besorgt, wird er abgeschoben, und wenn er sich keinen Pass besorgt, erhält er keine Arbeitserlaubnis. Hier soll das Chancen-Aufenthaltsrecht ansetzen: Es besagt, dass Menschen, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland sind und sich nichts zu Schulden kommen lassen haben, für ein Jahr einen bürokratiefreien Aufenthaltsstatus bekommen. Das führt dazu, dass Menschen, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, eine Chance haben, eine Arbeitsstelle anzunehmen.
Und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz?
Früher haben Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland, die nach Deutschland kommen wollten, um einen Mangelberuf zu ergreifen, einen Großteil der Bürokratie schon erledigen müssen, bevor sie eingereist sind. Um es etwas übertrieben auszudrücken: Sie mussten schon integriert sein, um überhaupt ein Visum zu bekommen. Wir haben das Gesetz so geändert, dass man das Anerkennungsverfahren erst nach der Einreise durchführen muss. Wer eine Ausbildung oder einen Hochschulabschluss hat, kann also erst mal kommen und sich den Arbeitsplatz in Deutschland suchen. Das macht es angehenden Fachkräften leichter.
Ein anderes Thema, das viele Menschen bewegt, ist der ÖPNV. Wie lässt sich die öffentliche Anbindung verbessern?
Mit meinem Büro haben wir nachgefragt, wie sich die Kosten für die Verkehrsprojekte im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen entwickeln. Das Ergebnis: Es gibt extreme Steigerungen gegenüber dem letzten Plan, der schon zehn Jahre alt ist. Die Kosten sind teilweise um 150 bis 200 Prozent von dem entfernt, was ursprünglich eingeplant war - und daher bin ich der Ansicht, dass wir vor dem Hintergrund begrenzter Finanzmittel Prioritäten setzen müssen. Der Bundesverkehrswegeplan ist für Bayern massiv überzeichnet. Wir sollten also lieber ein paar Sachen rausstreichen und das Geld stattdessen in die Bahn oder in Projekte, die man wirklich braucht, investieren.
Gibt es weitere Sachen, die Sie in den nächsten zwei Jahren gerne angehen würden?
Der Bürokratieabbau ist etwas, das ich als Aufgabe annehmen muss. Ich denke, dass wir dies auch schaffen würden, ohne Abstriche an anderer Stelle zu machen. Nehmen wir zum Beispiel Radwege, die entlang von Bahnschienen gebaut werden sollen: Wenn erst Eidechsen oder Schlangen umgesiedelt werden müssen, kann ich nicht verstehen, warum diese Prozesse nacheinander stattfinden müssen. Der Radweg zwischen Holzkirchen und Otterfing wäre ein Jahr früher fertig gewesen, wenn man dort schon parallel gebaut hätte.
Lassen Sie uns über den Krieg in der Ukraine sprechen. Bei Waffenlieferungen sind die Grünen inzwischen eine treibende Kraft. Wie stehen Sie zu dieser Haltung?
Ich habe große Solidarität mit der Ukraine. Ich habe mich schon immer als Teil der Friedensbewegung empfunden. Als ich gegen den Irak-Krieg demonstriert habe, haben wir dies jedoch getan, damit die USA diesen Krieg nicht anfangen. Bei der Ukraine wird vor der US-Botschaft gegen einen Krieg demonstriert, den Russland begonnen hat. Nach dem Motto, wenn die Ukraine nicht mehr unterstützt wird, bekommt Russland die Ostukraine - und wir haben wieder Gas. Das empfinde ich als nicht richtig. Die Entscheidung, wie die Ukraine den Krieg führt, liegt allein bei der Ukraine. Die Rückmeldungen, die wir aus der Politik und der Zivilgesellschaft bekommen, lauten: Wir wollen kämpfen - und so lange dies der Fall ist, müssen wir auch Waffen liefern.
Würden Sie sich bei diesem Thema auch gegen die Fraktionslinie stellen?
In Bezug auf die Ukraine habe ich mit meiner Fraktion sehr wenige Konflikte. Ich habe mich auch von den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr überzeugen lassen, obwohl ich anfangs sehr skeptisch gewesen bin. Was wir in Deutschland allerdings vernachlässigen, ist der gesamte Bereich des Zivilschutzes: Wenn ein Krieg ausbricht, verteidigt man keine abstrakte Grenze, sondern die Menschen und deren Infrastruktur. Ich würde mir wünschen, dass man nicht bloß in die militärische Verteidigungsfähigkeit investiert, sondern auch in Fragen wie: Was passiert eigentlich, wenn ein Hacker die Wasserversorgung der Stadt Leipzig lahmlegen würde? Von all den Personen, die das Sondervermögen für die Bundeswehr verhandelt haben, hatte nur eine diese Frage auf dem Schirm - und es ist kein Zufall, dass diese Person weiblich ist. Daran sieht man, welchen Unterschied es macht, wenn Frauen in Machtpositionen sind.
Gibt es Themen, bei denen Sie nicht mitgehen würden?
Wenn ich alles torpediere, muss ich damit rechnen, dass ein anderer Abgeordneter bei Themen, die mir wichtig sind, auch nicht mehr mitstimmt - und dann haben wir keine Regierung mehr. Für mich ist immer auch die Frage: Kann ich den Kampf in vier Jahren nochmals aufnehmen? Dann kann ich leichter bei einer Sache mitgehen, als wenn ich damit etwas geschaffen habe, was sich unter Umständen nicht mehr rückgängig machen lässt. Änderungen am Gentechnikrecht würde ich zum Beispiel nicht mitmachen. Beim CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada habe ich mit drei anderen Abgeordneten auch schon gegen die Fraktionslinie gestimmt.
Sie können aber auch nicht alle Gesetze komplett lesen.
Ich muss natürlich darauf vertrauen, dass die Personen in meiner Fraktion, die an dem Gesetzentwurf beteiligt waren, sich intensiv damit beschäftigt haben, und ich deshalb sagen kann: Wenn sie den Arm dafür heben, dann kann ich es auch tun. Es gibt wenige Punkte, bei denen ich mir die Arbeit mache, nochmals alles selbst zu überprüfen. Ich erwarte aber, dass andere es genauso machen, wenn ich an der Gesetzgebung mitgewirkt habe.
Was haben Sie bislang nicht geschafft, wofür Sie sich eigentlich im Bundestag einsetzen wollten?
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, den Export bestimmter Pflanzenschutzmittel zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht zugelassen sind. Frankreich und die Schweiz haben gerade erst Regeln dazu aufgestellt, in Belgien wird ebenfalls darüber diskutiert. Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat schon angekündigt, dass Deutschland sich daran beteiligen wird, aber ein anderes Ministerium hat die Verordnung über Monate nicht freigegeben. Da müsste ich nochmals nachhören, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die von den Mitteln krank werden.