Boom-Region:Eine ganze Stadt

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Die Region soll nach der aktuellen Prognose um 12 000 Einwohner wachsen, nur ein Ort soll schrumpfen. Das sorgt für Wohlstand, aber auch für Probleme.

Von David Costanzo

Gute Universitäten, gut bezahlte Arbeitsplätze und ein gediegenes Leben mit der Natur vor der Haustür: München und die Region ziehen die Menschen an. Die Landeshauptstadt mit ihren 1,5 Millionen Einwohnern hat ihre Prognose auf 1,8 Millionen bis zum Jahr 2030 angehoben. Noch einmal 300 000 Zuzügler sind im Umland zu erwarten.

Für den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen rechnet das Statistische Landesamt mit einem Bevölkerungswachstum von zuletzt 124 900 Einwohnern auf 136 900 bis zum Jahr 2035. Der Anstieg um 12 000 Bürger zwischen Lenggries und Icking mag vergleichsweise harmlos klingen. Man muss es sich die Dimension jedoch so vorstellen: Das Wachstum entspricht einer Ortschaft von der Größe zwischen Lenggries und Bad Tölz, die völlig neu aus dem Boden gestampft würde.

Getragen wird der Aufschwung einzig und allein durch Zuzug - vor allem junger Familien aus München und Senioren auf der Suche nach einem Alterssitz. Der Kreis war schon immer ein Einwanderungsland im Kleinen, schon vor vier Jahrzehnten, als die Einwohnerzahl noch bei 94 361 lag. Seitdem packen jedes Jahr zwischen 8000 und 10 000 Menschen die Kartons, um an Loisach und Isar eine Heimat zu finden. Demgegenüber ziehen nur 7000 bis 8000 Einwohner pro Jahr weg. Aus sich heraus würde der Kreis schrumpfen: Zwar herrscht seit Jahren ein kleiner Babyboom mit zuletzt 1132 Geburten im Jahr 2015. Allerdings steigt seit Jahren auch die Zahl der Sterbefälle auf zuletzt 1276 an.

Wo sollen die neuen Nachbarn alle wohnen? Der Wohnungsbau hinkt hinterher, die Gemeinden weisen wenige Flächen aus - in der Folge steigen die Preise. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das künftige Wachstum liegt mit zehn Prozent noch deutlich unter dem der Kreise im Umland von München - Dachau und Ebersberg erwarten je 17 Prozent plus, Erding 16 Prozent und der Landkreis München 15 Prozent. Der hiesige Anstieg liegt jedoch über den Prognosen für die benachbarten Kreise wie Starnberg und Miesbach mit je neun Prozent, Weilheim-Schongau mit sieben oder Garmisch-Partenkirchen mit sogar nur fünf Prozent.

Wie ein Vergleich der Kommunen zeigt, erwarten die Experten den größten Andrang in Schäftlarn, das dem Landkreis München angehört, früher im Altlandkreis Wolfratshausen lag und ebenfalls zum Verbreitungsgebiet der SZ Bad Tölz-Wolfratshausen gehört. Vor 40 Jahren hatte Schäftlarn noch 4793 Einwohner, heute sind 5643. In den nächsten zwei Jahrzehnten erwarten die Statistiker aber ein Wachstum um 1000 Menschen - das Plus von 18 Prozent ist unerreicht in der Region. Bürgermeister Matthias Ruhdorfer (CSU) glaubt nicht recht daran. Neubaugebiete seien in den nächsten Jahren nicht geplant - mit Ausnahme von 20 Einheiten für höchstens 100 Menschen am "Stehbründl". Durch Nachverdichtung könne die Gemeinde um rund 500 Einwohner wachsen - etwa wenn ein Einfamilienhaus durch ein Doppelhaus ersetzt werde.

Auch am Beispiel der größten Stadt im Landkreis, Geretsried, zeigen sich die Grenzen dieser Bevölkerungsvorausberechnung - mit umgekehrten Vorzeichen: Hier geben die Experten ein Wachstum von unterdurchschnittlichen neun Prozent aus, von heute 24 392 auf 26 570 Einwohner. Dieses Wachstum dürfte jedoch schon bald allein mit der Bebauung des Lorenzareals und der Verdichtung am Karl-Lederer-Platz erreicht sein.

Ob eine Kommune überhaupt Platz für neue Wohnungen hat oder gar längst größere Vorhaben plant, spielt im Zahlenwerk keine Rolle. Die Statistiker rechnen die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit aus Zuzug, Abwanderung, Geburten und Sterbefälle hoch. So lassen sich zumindest die Trends ermitteln.

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SZ-Grafik; Quellen: Landesamt für Statistik, Stadt Geretsried/Institut für Sozialplanung SAGS

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SZ-Grafik; Quellen: Landesamt für Statistik, Stadt Geretsried/Institut für Sozialplanung SAGS

Der stärkste Anstieg im Kreis soll auf Bad Tölz zukommen: Die Bevölkerung soll von derzeit 18 475 Menschen auf 21 110 steigen - das entspräche plus 14 Prozent. Gleich dahinter rangiert Wolfratshausen in der Prognose mit 13 Prozent: Der Anstieg wird von zuletzt 18 237 Einwohnern auf 20 620 kalkuliert. Egling soll um elf Prozent von 5456 auf 6040 Einwohner wachsen, Lenggries um acht Prozent von 10 030 auf 10 790 Bürger. Penzberg würde ein Plus von sieben Prozent verbuchen, die Einwohnerzahl soll von 16 234 auf 17 410 klettern. In Dietramszell berechnen die Statistiker praktisch eine Stagnation - die 5442 Einwohner wachsen auf 5520.

Bei Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern ist die Vorausberechnung mit noch größeren statistischen Unwägbarkeiten behaftet. Darum gibt es auch nur eine Prognose bis Ende 2028. So sollen die Einwohnerzahlen steigen: Bad Heilbrunn 3822 auf 4240 (plus elf Prozent), Benediktbeuern 3620 auf 3760 (plus vier Prozent), Bichl 2187 auf 2320 (plus sechs Prozent), Eurasburg 4316 auf 4720 (plus neun Prozent), Gaißach 3131 auf 3180 (plus zwei Prozent), Icking 3780 auf 4090 (plus acht Prozent), Kochel am See 4053 auf 4210 (plus vier Prozent), Königsdorf 3029 auf 3100 (plus zwei Prozent), Münsing 4254 auf 4650 (plus neun Prozent), Reichersbeuern 2317 auf 2380 (plus drei Prozent), Sachsenkam 1338 auf 1420 (plus sechs Prozent), Schlehdorf 1223 auf 1260 (plus drei Prozent), Wackerberg 3523 auf 3760 (plus sieben Prozent). Gleichbleibend wäre die Einwohnerzahl in der Jachenau mit heute 848 und erwarteten 850, rückläufig einzig in Greiling mit derzeit 1457 und prognostizierten 1390 Einwohnern.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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