Personalmangel in der Gastronomie:"Der komplette Markt ist leergefegt"

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Im Wirtshaus Flößerei in Wolfratshausen ist der Innenbereich wegen Personalmangels geschlossen. Nicht nur hier fehlen Kellner und Köche, auch in vielen anderen Gaststätten im Landkreis. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Köche und Kellner sind ein knappes Gut: Viele Gaststätten suchen händeringend nach Mitarbeitern. Was Wirte dazu sagen, was sich ändern muss - und wo es gar nicht so schlimm ist.

Von Tobias Bug, Bad Tölz-Wolfratshausen

Es gibt dieser Tage kaum eine Gaststätte, in der kein Schild am Eingang hängt - kein Schild mit dem Hinweis: "Wir suchen Mitarbeiter". In der Küche, am Zapfhahn, im Speisesaal - überall fehlt es an Personal. Auch die Online-Portale sind voll mit Stellenausschreibungen für Servicejobs oder Küchenhilfen. Manch ein Gastronom, der Mitarbeiter sucht, hat die Hoffnung schon aufgegeben, dass er überhaupt noch fündig wird. Der Personalnotstand kommt zur Unzeit, in der Hauptsaison, wenn Touristen und Einheimische in die idyllischen Biergärten und die urigen Wirtshäuser in Bad Tölz, Wolfratshausen und Lenggries strömen. Die ersten Auswirkungen spüren die Gäste schon: Der Klostermaier in Icking bietet wochentags keinen Mittagstisch mehr an, der Tölzer Kolberbräu muss hin und wieder nachmittags zuschließen, die Flößerei in Wolfratshausen sperrt öfters Bereiche und Tische, viele andere Restaurants haben zusätzliche Ruhetage.

Viele Menschen sitzen in dem großen Biergarten direkt an der Loisach, die Sonne scheint an diesem heißen Julitag. Im verwaisten Gastraum der Flößerei sitzt Dominik Tabak, inmitten von leeren Stühlen, die schräg an den Tischen lehnen. Der Geschäftsführer hat nicht genug Kellner, um den Innenbereich zu bewirten. Zwei neue Servicekräfte braucht er, dazu einen Koch und eine Küchenhilfe. "Wir arbeiten auf Kante", sagt Tabak. Neben dem regulären Gaststättenbetrieb, der wirklich jeden Tag im Jahr geöffnet ist, jeden Tag außer an Heilig Abend, muss das Team der Flößerei im Juni und Juli auch noch Abibälle, Konzerte und Sommerfeste in der Loisachhalle stemmen. Im Obergeschoss des Wirtshauses finden Hochzeiten, Geburtstagsfeiern und Tagungen statt. Das Geschäft läuft also gut, und das schöne Sommerwetter tut sein Übriges. Doch hätte Tabak mehr Personal, würde es finanziell noch besser laufen. "Ich musste vor Kurzem zwei Veranstaltungsanfragen ablehnen, einmal mit 90, einmal mit 150 Gästen."

In der Flößerei arbeiten derzeit 23 sozialversicherungspflichtige Mitarbeitende in Voll- oder Teilzeit, zusätzlich noch mal genau so viele Aushilfen. Für einzelne Events bucht Tabak weitere Kräfte. Doch die sind schwer zu finden. "Wir suchen ab sofort Servicepersonal", steht auf einer schwarzen Tafel am Eingang, "mehr Infos im Wirtshaus!" Doch kaum jemand erfrage Infos, sagt der Wirt im Wirtshaus. Zwar meldeten sich immer wieder Schüler oder Abiturientinnen als Aushilfen, aber Bewerbungen auf Voll- oder Teilzeitstellen bekomme er keine. Die Personaldecke ist dünn. "Wir müssen alles aus uns herausholen, weiter freundlich bleiben und unsere Qualität halten. Das kriegen wir auch hin, und das ist gut so", sagt Tabak.

"Wir arbeiten auf Kante." Dominik Tabak, Geschäftsführer der Flößerei in Wolfratshausen, hat in der Corona-Pandemie Mitarbeiter verloren. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das hat seinen Preis: Die Arbeitsbelastung ist riesig, Mitarbeiter müssen Zusatzschichten übernehmen, haben weniger freie Tage. Der Kellner Sunjay Bäuerle ist heute schon eher zum Dienst erschienen, weil so viele Gäste da sind. "Ich arbeite mehr Stunden, manchmal muss ich Doppelschichten übernehmen. Es darf zurzeit wirklich keiner krank werden", sagt er. Bäuerle kann sich trotzdem keinen besseren Job vorstellen, er arbeitet seit 15 Jahren in der Gastronomie, sechs Jahre lang schon in der Flößerei. "Es macht einfach Spaß, die Kommunikation mit den Gästen und das Servieren. Man ist immer auf den Beinen und bewegt sich." Schlecht bezahlt wird er von seinem Geschäftsführer nicht. Er entlohne seine Angestellten "deutlich über Tarif", sagt Tabak, "und ich würde gerne noch mehr zahlen." Doch dafür fehlt ihm der finanzielle Spielraum: Wegen des Kriegs in der Ukraine sind die Lebensmittelpreise gestiegen, Tabak spricht von einer "realen Inflation von 20 Prozent", und auch die Energiepreise sind explodiert.

In Bayern verdient eine Köchin nach Tarif mindestens 3000 Euro brutto im Monat, ein gelernter Restaurantfachmann im Service beginnt bei 2600 bis 2800 Euro, zusätzlich gibt es das Trinkgeld steuerfrei. Üppig ist die Bezahlung nicht, und auch die körperliche Belastung - schleppen, laufen, schrubben - geht an die Substanz. Es gibt noch weitere Gründe, nicht in der Gastronomie zu arbeiten: Schichtdienst, Wochenend- und Feiertagsarbeit, wenig Freizeit. Und dann ist da auch noch die Unsicherheit, wie es im Herbst und Winter weitergeht. Wird die Corona-Lage es zulassen, dass die Restaurants geöffnet bleiben, oder müssen sie wieder schließen und ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, die dann nur noch 60 Prozent ihres Gehalts bekommen? Alles Ursachen für den akuten Personalmangel, der laut Branchenverband Dehoga aktuell in sechs von zehn Betrieben herrscht.

60 Prozent der Gastronomiebetriebe haben akuten Personalmangel, so der Branchenverband Dehoga. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Dominik Tabak hat die Flößerei vor neun Jahren übernommen, seitdem sind die Umsätze stetig gestiegen. Sein Personal konnte er sich unter den vielen Bewerbungen aussuchen. Dann brach vor zwei Jahren die Pandemie aus, er musste schließen, die Umsätze blieben aus. Im anschließenden Betrieb mit Zulassungsregeln 3 G und 2 G (Plus) vermisste er bei gleichen Kosten die Hälfte des Umsatzes - ein Verlustgeschäft. Seine Angestellten waren lange in Kurzarbeit, zwei von ihnen kündigten in dieser Zeit. Deutschlandweit haben fast 55 000 Festangestellte während der Pandemie der Branche den Rücken gekehrt. Mehr als 371 000, also 37 Prozent aller geringfügig beschäftigten Aushilfen, gingen der Gastronomie verloren. Fast 35 000 ehemalige Kellner, Barkeeper und Köche sind laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in den Einzelhandel gewechselt, wo sie abends und sonntags frei haben.

Monika Poschenrieder, Vorsitzende Gastronomie beim Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga, vermisst die Wertschätzung für die gastronomischen Berufe. "Das tut mir in der Seele weh. Ich weiß, was diese Menschen leisten", sagt sie. Dienstleistung und Handwerk seien nicht so beliebt, körperliche Arbeit habe keinen guten Ruf. "Wir müssen die Branche wieder attraktiver machen", sagt Poschenrieder, die den Forellengasthof Walgerfranz in Bad Tölz betreibt. Geld ist Wertschätzung: Dehoga hat kürzlich einen neuen Tarifvertrag ausgehandelt. Seit April gibt es in der bayerischen Gastronomie sieben Prozent mehr Geld, in zwei Jahren soll es dann insgesamt 15,5 Prozent mehr geben.

Selbst eine Frau, die Freude am Kochen und eine Leidenschaft für Lebensmittel hat, wird heutzutage selten Köchin. Und ein Mann, der wahnsinnig gerne Gastgeber ist und es liebt, Menschen zu bedienen, wird selten Kellner. "Obwohl viele Menschen in der Gastronomie glücklicher wären, machen sie trotzdem Abitur und studieren dann. Heute muss jeder studieren, früher taten das nur die akademisch geeigneten", sagt Poschenrieder. Auch niedriger Qualifizierte machten ehrenvolle Arbeit. Es müsse sich gesamtgesellschaftlich etwas ändern am individuellen Anspruch und dem Ansehen körperlicher Tätigkeiten, sagt die Gastronomin, doch dauere das mindestens 20 Jahre. Als weiteres Problem hat sie den Sozialstaat identifiziert: "Der Druck zu arbeiten ist nicht so hoch, weil man schnell finanziell aufgefangen wird." Auch der Freizeitbedarf sei heute größer als früher.

Monika Poschenrieder, Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands. (Foto: Manfred Neubauer)

Poschenrieder kennt Gastronomen, die verzweifelt sind. "Es ist eine schreckliche Situation. Es kann nicht sein, dass ich mühsam arbeiten muss, um gute Mitarbeiter zu finden." Karlheinz Leimer betreibt den Kolberbräu in Bad Tölz und hat die Hoffnung schon aufgegeben, in diesem Jahr die dringend benötigte neue Servicekraft für seine Gaststätte zu finden. Leimer hat die Ausschreibung auf "allen denkbaren Kanälen" inseriert, online auf Stepstone und Oberlandjobs. Aber :"Es kommt einfach nichts. So krass, wie es jetzt ist, habe ich es noch nie erlebt. Der komplette Markt ist leergefegt." Der Kolberbräu ist wegen des Personalmangels nachmittags regelmäßig geschlossen. Wenn noch mehr Angestellte gleichzeitig krank oder im Urlaub sind, müsse er mittags schließen, sagt Leimer und nennt das "die zweite Eskalationsstufe". Das Abendessen fällt aus, wenn die dritte erreicht ist. In Penzberg ist die Lage schon eskaliert: Dort ist wegen Personalmangels im Gastronomiebereich das Volksfest abgesagt. "Noch nie haben so viele Servicekräfte gefehlt", heißt es zur Begründung.

Beim Klostermaier in Icking gibt es wegen fehlender Mitarbeiter wochentags keinen Mittagstisch mehr. "Wir müssen auf die Mitarbeiter, die wir haben, aufpassen", sagt Inhaberin Karin Schmid. Deswegen seien Doppelschichten, die manche Angestellten immer wieder von 11 bis 0 Uhr leisten mussten, keine Option. Schmid fehlt ein Koch, eine Küchenhilfe und Servicepersonal. Bald werden sie auch noch sieben Mitarbeiter verlassen, darunter Auszubildende, "die auch mal was anderes sehen sollen", sagt Schmid. Das größte Problem sei der Fachkräftemangel, also der an gut ausgebildeten und erfahrenen Kräften, die organisieren und koordinieren können. Peter Rank vermisst vor allem Aushilfen: Fünf oder sechs neue würde er für den Jägerwirt in Kirchbichl gerne anstellen. Hatte er vormals vor allem in der Küche Engpässe, braucht er nun auch im Service mehr Personal. Yuliya Forkl hat die Personalsuche aufgegeben. Früher hatte sie zwei Mitarbeiter, doch inzwischen betreibt sie den Faller Hof am Sylvensteinsee in Lenggries-Fall alleine mit ihrem Mann. Er ist der Koch, sie die Bedienung, zweimal pro Woche ist Ruhetag. "Es ist mehr Arbeit, und wir haben weniger Einnahmen. Aber es bleibt mehr für uns", sagt Forkl.

Klingt nach Stress und Tristesse in den Gaststätten, gerade in den größeren. In kleineren Cafés und Restaurants mit um die fünf Mitarbeitern ist die Lage allerdings entspannter. Das Geschwisterpaar Elisabeth und Anna Porer hat für die Oswald-Hütte im Rißbachtal im Vorkarwendel zufällig zwei gute Aushilfen aus Vorderriß gefunden und kommt gut klar. Alexandra Biehler im Café Central am Münsinger Dorfplatz beschäftigt einige Aushilfen und sagt: "Wir sind klein, wir können Personalengpässe immer irgendwie auffangen." In der gehobenen Gastronomie, die höchste Ansprüche an ihr Personal stellt, arbeiten hoch motivierte Menschen, die sich den Beruf oft gezielt ausgesucht haben und mit Liebe ausüben. Die Schwingshackl Esskultur in Bad Tölz trägt einen Michelin-Stern und ist in Service und Küche gut besetzt. Erich Schwingshackl sorgt sich eher um die steigenden Preise für Energie und Lebensmittel - und darum, dass er manche Fischsorte einfach nicht mehr bekommt.

Immer wieder, das sagen fast alle Wirtinnen und Wirte, beschwerten sich Gäste über lange Wartezeiten, gesperrte Tische, neue Ruhetage oder den fehlenden Mittagstisch. Als hätten die Gastronomen nicht schon genügend Probleme.

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