Amtsgericht Wolfratshausen:Tod im Dunkeln

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Am Amtsgericht Wolfratshausen versagte das Notstromaggregat. (Foto: Hartmut Pöstges)

Im Dezember 2019 hat ein Rentner einen 21-jährigen Asylbewerber auf der B 11 überfahren. Laut Gutachten konnte er den auf der Straße liegenden Mann nicht erkennen. Das Amtsgericht verurteilt ihn trotzdem wegen Fahrerflucht.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

An einen auf der Bundesstraße 11 torkelnden und lallend schreienden Mann kann sich der Lagerist eines Wolfratshauser Arzneimittelherstellers noch erinnern. Der Mitarbeiter stand auf einer Rampe im Außengelände des Betriebs im Gewerbegebiet, um Müll zu entsorgen. "Ich habe mir nur gedacht, hoffentlich wird er nicht überfahren", sagt der Lagerist am Montag, fast ein Jahr später, im Wolfratshauser Amtsgericht. Dann hört er nur noch ein Krachen. Das hat der Zeuge mitbekommen, als ein 21-jähriger Afghane am 17. Dezember des Vorjahres gegen 21 Uhr auf der B 11 überfahren wurde und gestorben ist. Der Unfallverursacher beging damals Fahrerflucht und war erst nach Zeugenaufrufen der Polizei in den Medien gefasst worden.

Richtung Wolfratshausen war der Angeklagte - ein inzwischen 81-jähriger Rentner aus dem Landkreis - an dem Abend auf der B 11 gefahren. Zwischen dem Abzweig zur Garmischer Autobahn und der Kreuzung Pfaffenrieder/Schießstättstraße überfuhr er den laut Gutachten auf dem Boden liegenden jungen Mann. Eine Chance, diesen rechtzeitig zu erkennen und auszuweichen, so sagen es die Sachverständigen, hatte er in der Dunkelheit kaum. Zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 150 Euro - insgesamt 27 000 Euro - hat das Amtsgericht Wolfratshausen den Senior wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt. Weitere drei Monate dauert die Sperrfrist für den Führerschein an.

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Öffentlich verhandelt hatte das Amtsgericht nur, weil der Angeklagte Einspruch gegen den mit 210 Tagessätzen höheren Strafbefehl eingelegt hatte. Wie er selbst sagte, sei er überzeugt gewesen, keine Unfallflucht begangen zu haben. Damals habe er nördlich der Kreuzung zur Abzweigung Richtung Autobahn geschätzt 20 bis 30 Meter voraus etwas auf der Straße liegen gesehen. Aus seiner Sicht war er an dem liegenden Mann vorbeigefahren.

"Ich war aber immer noch der Meinung, da hat jemand ein Paket verloren", schilderte er vor Gericht. Ein Aufprallgeräusch will er nicht gehört haben. Weil der Rentner eigenen Angaben nach nicht direkt an der B 11 halten konnte, beschloss er bis zur Kreuzung bei der Pfaffenrieder Straße weiterzufahren und dann umzukehren. Allerdings war ein direkt hinter dem Angeklagten fahrender Pizzabote gefolgt, hatte ihn angehalten und ihm mitgeteilt, dass er jemanden überfahren habe und zum Unfallort zurückkehren solle. Der Lieferfahrer hatte Fotos von dem Auto des Angeklagten gemacht und sich das Kennzeichen notiert. Das half, den Angeklagten ausfindig zu machen, nachdem sich der Pizzabote bei der Polizei gemeldet hatte.

An dem Unfallabend hatte der Angeklagte an der Bushaltestelle bei der B 11 Richtung Geretsried gestoppt. Dort alarmierte er die Rettung. Weil das Warnblinklicht an seinem Auto blinkte, stoppte eine Polizeistreife, die sich nach dem Unfallort erkundigte. "Er sagte, weiter vorne liege eine Person", erinnert sich einer der Beamten. Auf der Videoaufzeichnung des Notrufs des Angeklagten ist zu hören, dass dieser fragte, ob er zur Unfallstelle mitkommen müsse. Daran konnte sich jedoch keiner der beiden Polizisten erinnern, die möglichst schnell zum Einsatzort weiter wollten. Zu diesem Zeitpunkt nahmen beide auch keine Personalien des Angeklagten auf.

Drei Tage nach dem Unfall machte die Polizei den Rentner ausfindig. Das Auto und dessen Führerschein wurden sichergestellt. Klar und geistesgegenwärtig reagierte der Mann auf die Fragen des vernehmenden Polizisten. Der Angeklagte habe allerdings immer wieder von einem Karton gesprochen, dem er ausgewichen sei. "Für mich war er da sehr, sehr kalt", sagte der Beamte nun vor Gericht.

Bei der Untersuchung des Unfallwagens fanden die Gutachter Beschädigungen nur an dessen Unterseite. Daher gingen sie davon aus, dass der tödlich verunglückte Asylbewerber auf der Straße gelegen haben muss. Dessen DNA-Spuren fanden sich auf der Unterseite des Wagens, Abdrücke von einem dort angebrachten Mardergitter auf seinem Oberkörper. Allerdings hätte der Angeklagte aus ihrer Sicht beim Überfahren den Schlag hören müssen.

Warum der Asylbewerber auf der Straße lag, bleibt Spekulation. Laut Gutachter war er erst kurz zuvor aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden und alkoholabhängig. Der Angeklagte beschränkte seinen Einspruch schließlich auf das Strafmaß. Der Rentner sagte, dass er erst kurz vor dem Unfall erfahren habe, dass seine pflegebedürftige Frau bald sterben würde. Daher habe er von den Zeugenaufrufen nichts mitbekommen. Er bedauerte, am Tod des Asylbewerbers beteiligt zu sein.

© SZ vom 03.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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