Abitur in Pandemie-Zeiten:Generation Corona

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Wer dieses Jahr Abitur geschrieben hat, musste viel wegstecken. Abiturienten erzählen, wie es ihnen erging und was sie zukünftig planen.

Von Sebastian d'Huc

Zum Schluss war es also dann doch nicht so schlimm. Die Durchschnittsnote der Abiturientinnen und Abiturienten in Bayern ist mit 2,25 dieses Jahr sogar etwas besser als in den vorherigen Abschlussklassen. Dabei waren die Bedingungen, unter denen das Abitur wegen der Corona-Krise vorbereitet und geschrieben wurde, durchaus suboptimal. Lange war unklar, ob die Prüfungen heuer überhaupt geschrieben werden würden, oder ob stattdessen alle Vornoten zum sogenannten Durchschnittsabitur verrechnet werden. Die Examen selbst liefen landesweit unter besonderen Infektionsschutzmaßnahmen ab. Für viele Jugendliche war die größte Belastung aber, dass die heiß ersehnte Zeit nach dem Abitur, samt Abistreich, -ball, -reisen, Partys, Zeugnisverleihung und anderen Höhepunkten, nur sehr eingeschränkt stattfinden konnte und kann. Auch die Zukunftspläne mussten teilweise angepasst werden - Reisen nach Asien wurden unmöglich, Praktika in den USA mussten abgesagt werden. Sechs Abiturienten erzählen, wie sie die vergangenen Monate erlebt haben und was ihre Zukunftspläne sind.

Planänderungen

Frederic Heueis empfand die Zeit vor dem Abitur als zwiespältig. "Es war tatsächlich sogar entspannend, eine Weile lang nicht in die Schule zu müssen - aber die Ungewissheit war schwierig." Das Ickinger Rilke-Gymnasium sei bemüht gewesen, für die Abiturienten schnell eine Art Normalität herzustellen. Allerdings sei der Alltag für die Schüler sehr unterschiedlich gewesen, was zu einer Chancenungleichheit geführt hätte: "Manche Lehrer haben sehr schnell und von sich aus auf Unterricht via Telefon und Video-Call umgestellt. Bei anderen war es aber ein Totalausfall." Viel wurde in der Jahrgangsstufe über das Durchschnittsabitur diskutiert. Der 19-Jährige war dagegen: "Ich wollte nach all den Jahren Schule das Abitur auch schreiben. Wir wären immer der Jahrgang gewesen, dem man das Abi ,geschenkt' hätte." Einige der Schüler, die sich für das Durchschnittsabitur eingesetzt hätten, seien auch "einfach etwas faul", so Heueis. Auch in Icking wird es heuer keinen Abistreich geben, allerdings bemühe sich der Jahrgang, die anderen Höhepunkte weitestgehend aufrechtzuerhalten. Eine Abizeitung wurde erstellt, ein Quasi-Ball, zu dem voraussichtlich nur die Abiturienten eingeladen sind, ist in Planung. Die Reise nach Korfu wurde von fast allen Mitgliedern des Jahrgangs abgesagt, trotz der hohen Stornogebühren. "Das war sehr frustrierend - der Reiseveranstalter hat sich komplett doof gestellt und behauptet, man könne eine Party-Reise für hunderte Jugendliche aus ganz Bayern ohne weiteres durchführen". Traurig mache ihn die Art und Weise, in welcher die Verleihung der Abiturzeugnisse erfolgen soll. Die Noch-Schüler werden ihre Zeugnisse in einer nur zehnminütigen Zeremonie, jeweils zu fünft und ausschließlich im Beisein der Eltern, in Empfang nehmen. "Das wird wohl seltsam", meint er. Seine eigenen Zukunftspläne musste Heueis ebenfalls anpassen. Er möchte eines Tages vielleicht als Fernsehjournalist arbeiten, wollte ursprünglich aber erst mal bei einem sogenannten Gap Year in Kolumbien sein Spanisch verbessern und bei einer Hilfsorganisation arbeiten. Wegen Corona ist das nicht mehr möglich. Stattdessen möchte er nun sofort sein Studium beginnen - am liebsten die Fächerkombination Philosophie, Politik und Ökonomie, vermutlich in Utrecht oder Freiburg.

Frederic Heueis, 19 Jahre, Rainer-Maria-Rilke Gymnasium Icking. (Foto: Hartmut Pöstges)

Höhere Erwartungen

Louisa Peter war "mit der Reaktion der Schule auf Corona wirklich sehr unzufrieden". Die 18-Jährige aus Berg erinnert sich, dass das Günter-Stöhr-Gymnasium versprochen hatte, ein Unterrichtskonzept zu erarbeiten. "Gehofft hatten wir auf Unterricht über Zoom. Die Realität war, dass wir einfach nur ein paar Arbeitsaufträge per E-Mail bekommen haben." Selbst nachdem die Schule bereits seit Wochen geschlossen war, sei nicht auf Video-Unterricht umgestellt worden. "Es war lächerlich", stellt sie fest - "von einer Privatschule, für die man sau viel Geld bezahlt, kann man echt mehr erwarten." Letztendlich ist Peter mit ihrem Abitur jedoch sehr zufrieden. "Ich habe die Eins vor dem Komma geschafft, genau wie ich es wollte." Warum das wichtig sei? "Wenn man ehrlich ist, klingt das einfach nur viel besser", schmunzelt sie. Das gefürchtete Mathe-Abitur, auf welches sie sich intensiv und monatelang vorbereitet habe, war dann "gar nicht so schwierig." Die Zeit nach dem Abitur kann für Peter ohne große Einschränkungen vonstattengehen. Einen Abistreich durchzuführen war am Günter-Stöhr-Gymnasium, das Peter als "sehr streng und super konservativ" bezeichnet, sowieso verboten. Den Abiball habe die Jahrgangsstufe absagen müssen, die Abizeitung sei "irgendwie ins Wasser gefallen" - es gab andere Sorgen. Eigentlich hätten auch die Ickinger Privatschüler nach Korfu fahren sollen - die Fahrt sei unter den Umständen aber "nicht mehr wirklich spaßig", obwohl Peter eigentlich der Meinung ist, dass das Einhalten oder Nichteinhalten der Corona-Vorsichtsmaßnahmen in der Eigenverantwortung eines jeden Bürgers liegen sollte. Aus dem Abiturjahrgang, der laut Peter 37 Schüler umfasst, fahren lediglich zwei.

Sie selber werde im Sommer einige Reisen unternehmen, unter anderem nach Venedig und Saint Tropez - allerdings musste sie die große Südamerika-Reise mit der besten Freundin absagen. Ein Gap Year hatte die 18-Jährige nicht geplant, "ein Jahr nur Rumsitzen reizt mich nicht" - stattdessen strebe sie ein Studium der Kommunikationswissenschaften in Wien oder Hamburg an. Aber: "Studieren will ich an einer öffentlichen Uni - ich habe jetzt erst mal die Schnauze voll von den Privaten."

Erfolgsgeheimnisse

Man müsse "die Schulen da ein wenig aus der Verantwortung nehmen", sagt Maximilian Hofschen über den Umgang des Penzberger Gymnasiums mit der Pandemie. Schließlich kämen viele Vorgaben aus dem Kultusministerium. Trotzdem fand er manche Neuerungen "einfach nur lustig". So sei die Lernplattform Mebis ständig kollabiert, "weil sie plötzlich Benutzer hatte", erklärt er lachend. Viele Lehrer seien dann auf E-Mail umgestiegen. Im Großen und Ganzen habe seine Schule sich aber "sehr bemüht". Er selbst habe die schulfreie Phase genutzt, um sich auf das Abitur vorzubereiten - auch als noch gar nicht klar war, ob die Prüfungen überhaupt geschrieben werden. Das ist einer der Gründe, weswegen Hofschen es geschafft hat, die Traumnote von 1,0 zu erreichen. "Man braucht sicher auch Fleiß. Der Trick ist es aber, nicht auf Muster zu lernen, sondern auf Verfahren. Wer die Zusammenhänge versteht, muss nicht jedes Fitzelchen auswendig lernen, sondern kann sich vieles erschließen." Hofschen ist Jahrgangsstufensprecher und Leiter des Technikteams. In ersterer Rolle galt es, viele Rückschläge wegzustecken - der Abiball, der Abistreich und das traditionelle Chorkonzert der Abschlussklasse mussten gestrichen werden. In letzterer Rolle trägt er aber entscheidend zum Gelingen der Abiturzeugnisverleihung bei, die in Penzberg in voller Festlichkeit, aber per Video-Stream in die Klassenzimmer stattfinden soll. Dort könnten sich dann alle Mitglieder des Haushaltes der Abiturienten in kleinen Gruppen versammeln und den Festreden lauschen, sodass das Infektionsrisiko gering bleibt. Seine Erfahrung als Veranstaltungstechniker hätte Hofschen auch gerne im Sommer beim Arbeiten auf Events genutzt - da die meisten Veranstaltungen nicht stattfinden können, sei das aber nicht möglich. Ansonsten kann der 18-Jährige, der auch für die Aufnahme in die Studienstiftung des Deutschen Volkes vorgeschlagen wurde, regulär seine Studienpläne verfolgen - er möchte Elektrotechnik an der Technischen Universität München studieren und danach in der Industrie arbeiten.

Innenansichten

Sophia Müller-Menrad erlebt die Corona-Pandemie in einer ganz anderen, viel persönlicheren Intensität als die meisten Heranwachsenden. Die 19-Jährige nimmt nach einer chronischen Erkrankung Medikamente, die ihr Immunsystem schwächen, und wäre deshalb im Falle einer Infektion möglicherweise in Lebensgefahr. "Deswegen bin ich schon nicht mehr zur Schule gegangen, als die Schulen nach den Faschingsferien eigentlich noch offen hatten". Die Reaktion der Schule fand Müller-Menrad stark: "Sie haben trotz schwammiger Vorgaben aus dem Kultusministerium alles Menschenmögliche gemacht, um uns und besonders mir zu helfen." Auch im April, als ihre Mitschüler wieder in den Unterricht gehen konnten, blieb sie zuhause und wohnte dem Unterricht via Skype bei. Solche Umstände verändern die Perspektive auf die Pandemie: "Wenn die Leute jammern, dass sie eine Maske tragen müssen, finde ich das doch ein wenig lächerlich. Wir leben in einer solidarischen Gesellschaft, und so sollte man sich auch verhalten." Auch bei den Abiturprüfungen mussten besondere Vorkehrungen getroffen werden. Die schriftlichen Examina in Deutsch, Mathe und Englisch schrieb sie in einem Einzelzimmer, ein Lehrer saß mit Maske im Nebenraum und beaufsichtigte sie durch die offene Tür. Die Kolloquien in Biologie und Geografie wurden "in ungefähr 15 Metern Abstand, und die ganze Zeit mit Maske" durchgeführt. Mit ihren Leistungen ist sie dennoch "im Großen und Ganzen zufrieden." Sophia wird voraussichtlich ein Studium der Politikwissenschaft anstreben. Eigentlich hatte sie ein ereignisreiches Gap Year geplant - fest stand bereits, dass sie ein Praktikum bei einem Modeunternehmen machen würde, aber nicht, bevor sie an einem Business-Kurs der Columbia University teilgenommen hätte. Das sei alles nicht mehr möglich. Obwohl sie sich "erst wieder gefahrlos unter Freunde und auf Parties begeben kann, wenn der Impfstoff entwickelt ist", wirkt sie freundlich und lebensfroh. "Irgendwann wird auch diese Pandemie vorbei sein", sagt sie voller Zuversicht.

Auszeit

Hannah Falkner stapft kurz nach dem Telefonat schon wieder durch den Sandstrand. Die 18-Jährige ist gerade mit ihrem Tölzer Abiturjahrgang auf Korfu. Dieses Jahr sind aus Bad Tölz allerdings nur elf Schüler dort. 30 hätten ursprünglich gebucht, viele haben storniert, an anderen Schulen gar die ganze Jahrgangsstufe. Sorgen um eine Ansteckung mit Corona würden sich die Abiturienten nicht machen: "Auch wenn Social Distancing hier nicht wirklich betrieben wird - alle, die mitgefahren sind, sind jung und gesund. Wir mussten viel wegstecken während der letzten Zeit - ein bisschen Feiern haben wir uns verdient." Die Abiturientin erinnert sich, dass die Vorbereitungszeit auf das Abitur durchaus holprig war. Da sie noch fünf Klausuren hätte schreiben müssen, sei ihre Priorität erst auf das Abitur-Lernen umgeschwenkt, als klar wurde, dass die Klausuren ausfallen. Die Lehrer hätten sich sehr bemüht - beinahe alle hätten es geschafft, bereits kurz nach den Schulschließungen Arbeitsaufträge und Lernmaterialien an die Schüler zu schicken. Eine Lehrerin bot auch Video-Unterricht über Zoom an. "Generell war der Umgang mit Corona aber gut", findet sie. Die Prüfungen seien okay gelaufen, "das Feeling war eigentlich eher wie bei einer normalen Klausur", und mit ihrem Schnitt sei sie einigermaßen zufrieden. Sie werde wohl kein Fach mit Numerus Clausus studieren, und jetzt plane sie sowieso erst ein Jahr mit Praktika im sozialen Bereich und - wenn es wieder möglich ist - Freiwilligenarbeit, am liebsten in Afrika. Als Stufensprecherin war Falkner für den Abiball zuständig, der nun abgesagt werden musste. Auch der Abistreich und das in Tölz traditionelle Maibaum-Fest, bei welchem die 11. Jahrgangsstufe versucht, den Abiturienten einen kleinen Maibaum abzuluchsen, können nicht stattfinden. "Das ist schon alles sehr traurig", findet sie, aber "wir werden versuchen, unser erstes Klassentreffen größer aufzuziehen - vielleicht als eine Art Mini-Abiball."

Ohne Stigma

Julius Jahnke ist gerade 18 geworden und von seiner Geburtstagsfeier noch ein wenig übermüdet, als er seine letzten Monate rekonstruiert. Als die Schulschließung verkündet wurde, war erst mal "Chaos", berichtet er - die Lehrer hätten aber ausgesprochen schnell die Initiative ergriffen, wieder zumindest für den Abiturjahrgang Unterricht anzubieten. "Viele Lehrer haben Stunden über Zoom oder Microsoft Teams abgehalten, was vermutlich vom Datenschutz her nicht unproblematisch war. Aber für uns war es sehr hilfreich", stellt er fest. "Nervig war nur, dass wir zu Beginn für jedes Fach ein anderes Medium benutzt haben. Irgendwann wurde dann aber einheitlich auf die Videosoftware Big Blue Button umgestellt." Aktiv auf das Abitur gelernt hat Jahnke während der Schulschließung noch nicht. "Ich habe bis zuletzt auf das Durchschnittsabitur gehofft. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass wir die Prüfungen geschrieben haben und jetzt nicht stigmatisiert werden." Die Prüfungen liefen für ihn recht gut, er erreichte einen Schnitt von 1,5. "Mathe fand ich deutlich leichter als in den Vorjahren, aber Deutsch lief nicht so gut wie erhofft." Der Wunsch Jahnkes, mit auf die Abireise nach Korfu zu fahren, sorgte im Familien- und Freundeskreis für Kontroversen. Später bestätigt er per Whatsapp, dass er doch gefahren sei und darüber "echt froh" ist. Und sonst? Jahnke wird sein geplantes Gap Year nicht antreten. Er hatte bereits einen Praktikumsplatz bei einer Asylrechtskanzlei in Atlanta, USA, in der Tasche. Außerdem hätte er bei einem Segelclub im Ausland arbeiten wollen, um sich Geld für eine weitere Reise zu verdienen. "Aber es gibt zurzeit einfach überhaupt keine Planungssicherheit - da fange ich lieber gleich mit meinem Studium an." Ab Oktober macht er ein duales Studium, BWL mit Schwerpunkt Versicherung. Ein wenig reisen, nur innerhalb von Europa, wird er auch noch - außerdem seinen Führerschein machen. "Die Situation unseres Jahrgangs ist leider wirklich nicht besonders gut. Einiges ist noch möglich, aber wir verpassen echt viel. Ich hoffe sehr, dass es den nachfolgenden Jahrgängen wieder besser gehen wird."

Julius Jahnke, 18 Jahre, Gymnasium Geretsried (Foto: Hartmut Pöstges)
© SZ vom 11.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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