Wohnen in München:Nachtlager in der Lagerhalle

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Für den Schlafplatz zahlt Ata Karamati einem Bekannten 200 Euro - schwarz, da man im Lager offiziell nicht wohnen darf. (Foto: Robert Haas)

Ata Karamati ist Garderobier im GOP Varieté-Theater. Er lebt in einem fensterlosen Depot - etwas anderes findet er nicht.

Von Franziska Schwarz

Wie sieht es aus, wenn man zwar noch eine Existenz hat, aber keinen Platz für all die Dinge, die zu dieser Existenz gehören? Für den alten Holzschrank, die Bücher oder Dokumente - und keinen Platz, an dem man auch mal Ruhe findet?

Ata Karamati sitzt im Juli in einem Münchner Café und zeigt Fotos davon, wie die Antwort in seinem Fall aussieht: Der Holzschrank steht in der einen Ecke, in der nächsten stapeln sich die Kartons und in der dritten steht die Schlafcouch. Das alles auf 20 Quadratmetern, auf nur noch sechs davon kann man sich bewegen.

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Der 55-Jährige ist wohnungslos und übernachtet deshalb seit Oktober in einem Lager, in dem andere Menschen nur Stauraum mieten. Seither bestimmt innere Unruhe sein Leben. Für den Schlafplatz zahlt er einem Bekannten 200 Euro - schwarz, da man hier offiziell nicht wohnen darf. Der Raum ist fensterlos und nicht beheizt, "die Wände sind wie aus Pappe", sagt Karamati. Im Winter schaltete er eine kleine Elektroheizung an und wickelte sich in mehrere Decken.

Nach dem Treffen wird er per WhatsApp noch mehrere Selfies aus dem Lager schicken. Seine Not sieht man ihm nicht an. Er trägt beim ersten Treffen Poloshirt, und beim zweiten ein weißes Hemd. Seit fünf Jahren arbeitet er als Garderobier und an der Bar im GOP Varieté-Theater in der Maximilianstraße. Inzwischen habe er einen unbefristeten Vollzeitvertrag, sagt er. Eine Wohnung für ihren Mitarbeiter hat das Theater allerdings nicht. Nur für die Künstler.

Früher wurden extra Appartements angemietet, mittlerweile hat das GOP nach eigenen Aussagen ein Haus im Münchner Stadtviertel Bogenhausen gekauft, in acht Appartements wohnen dort das jeweilige Programm über die engagierten Artisten. Natürlich könne dort auch Karamati wohnen. Übergangsweise, höchstens für ein paar Wochen, sagt man beim GOP. Das könne aber keine dauerhafte Lösung sein.

Karamati hat auch einen Wohnberechtigungsschein, und loggt sich auf seinem Smartphone in die Plattform Sowon ein, auf der das Amt für Wohnen und Migration Sozialwohnungen vermittelt. Er scrollt durch die Angebote: München-Freimann, 34 Quadratmeter, 328 Euro Miete, aktuell etwa 200 Bewerber. Berg am Laim, 35 Quadratmeter, 298 Euro Miete - etwa 300 Bewerber.

Bei einer 42-Quadratmeter-Wohnung im selben Stadtteil für 403 Euro zeigt das Programm an, dass es 98 Mitbewerber gibt. Für drei Wohnungen bewerbe er sich jeden Monat. Mehr als drei Bewerbungen gleichzeitig sind bei Sowon nicht erlaubt. Dabei wertet das Wohnungsamt die Daten der Interessenten für eine bestimmte Wohnung aus, und die fünf Fälle, die als am dringlichsten gelten, erhalten eine Einladung zur Besichtigung.

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Mit 129 Punkten ist Karamati in der Dringlichkeitsstufe eins - zusammen mit momentan mehr als 9850 anderen Menschen. Rangstufe eins, eine von vier, beginnt bei 70 Punkten, die höchste Punktzahl ist 156. Kriterien für die Dringlichkeitsstufe eins sind zum Beispiel akute Wohnungslosigkeit, beengte Wohnverhältnisse oder gesundheitliche oder wirtschaftliche Gründe.

Karamati verdient etwa 1400 Euro netto, und kann wegen gesundheitlicher Probleme nur leichte körperliche Arbeiten verrichten. Aktuell sind in München mehr als 13 250 Haushalte für eine geförderte Wohnung registriert, mehr als 6900 weitere Anträge werden noch bearbeitet. Das Wohnungsamt hat momentan für mehr als 74 000 Wohnungen das Belegrecht, pro Jahr werden etwa 3000 davon neu vergeben.

"Den letzten Brief vom Wohnungsamt habe ich im Dezember erhalten", sagt Karamati, seine Stimme überschlägt sich dabei ein bisschen. Seither höre er nichts mehr, fährt er fort, nichts von der Behörde und nichts von den Vermietern, denen er sich persönlich vorgestellt habe. Die Wohnungsbaugesellschaften, heißt es dazu aus dem Sozialreferat, haben ein freies Auswahlrecht und müssen nicht begründen, warum sie einen Bewerber nicht genommen haben.

Karamati verließ 1994 seine Heimat Iran, wo er in der zweitgrößten Stadt Maschhad gelebt hatte, und kam zunächst in Frankfurt an. Inzwischen hat er einen deutschen Pass. Ursprünglich hat er Schweißer gelernt und betrieb jahrelang das Gewichtheben.

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1996 trat er dem Verein ESV Neuaubing im Westen Münchens bei und trainierte zeitweise dreimal die Woche, erzählt er, bei den bayerischen Meisterschaften habe er dann mehrfach einen ersten Platz erreicht. Zu der Zeit arbeitete er noch als Verkäufer in einem Elektrogeschäft. Sein WhatsApp-Profilbild zeigt ihn in Trikot und Turnschuhen eine Langhantel in die Höhe stemmen. In Iran war er sogar öfter Landesmeister, sagt er.

Heute geht Schwerathletik nicht mehr. Es kamen Krankheiten, es gab Unfälle mit dem Fahrrad und Operationen. Über seine Familie möchte er ungern sprechen, zwei gute Freunde habe er in München, "doch die können nichts für mich tun", sagt Karamati, der von seiner Frau getrennt lebt und erwachsene Kinder hat, und: "Ich kann nicht mit vielen über meine Situation reden."

Diese Situation kam vergleichsweise plötzlich. 18 Jahre lang lebte Karamati zur Miete beim Rotkreuzplatz, bis ihm wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Anschließend wohnte er in der Nymphenburger Straße, doch auch hier meldete der Vermieter Eigenbedarf an. Seit Juli 2016 hat er keine Wohnung mehr. Für einige Wochen kam er zunächst bei einem Freund unter. Ein Hilfsangebot, das von vornherein keine Dauerlösung sein konnte.

Das Lager, in dem Karamati nun seit Oktober haust, ist meist still. Er selbst muss es auch sein. Er fürchtet, dass ihn die anderen Nutzer hören und Verdacht schöpfen. Auf die Toilette oder zum Duschen geht er in ein Fitnessstudio, in dem er extra dafür Mitglied geworden ist. "Manchmal möchte ich einfach nur schreien", sagt er. Internet hat er hier in dem fensterlosen Zimmer nur auf seinem Smartphone. Mit Spaziergängen versuche er, sich von seiner Situation abzulenken. Er habe Anspruch auf eine Sozialwohnung von bis zu 50 Quadratmetern Größe, sagt er.

Natürlich würde er auch etwas Kleineres nehmen, oder ein WG-Zimmer, selbst mit einem Fremden. Alles besser als dieses Lager. Doch selbst ein kleines WG-Zimmer kostet inzwischen mehrere hundert Euro, rechnet der 55-Jährige vor. Platz für die Möbel, für all die kleinen Dinge, oder einfach zum Beine-Ausstrecken? Den gäbe es dann nicht.

© SZ vom 27.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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