Immobilienpreise:Was Deutschland gegen die Wohnungsnot tun muss

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Illustration: Lisa Bucher. (Foto: N/A)

Die Wohnungsnot schadet der gesamten Gesellschaft, die bisherige Wohnungspolitik ist gescheitert. Vorschläge für eine völlig neue Strategie der nächsten Bundesregierung.

Essay von Benedikt Müller

Auf einmal entdecken die Parteien die Wohnungspolitik wieder. Vor der Bundestagswahl überbieten sich Union und SPD mit Vorschlägen, den Immobilienmarkt zu entlasten. Die Sozialdemokraten wollen die Mietpreisbremse verschärfen. Beide Volksparteien wollen Familien beim Immobilienkauf fördern. Und die Union verspricht seit dieser Woche, unter ihrer Führung würden in den nächsten Jahren 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen.

Diesmal wirklich, müsste man hinzufügen. Schließlich sind Union und SPD schon 2013 angetreten, den Wohnungsbau zu stärken und den Anstieg der Mieten zu bremsen. Doch in kaum einem anderen Feld klaffen die Ziele der Regierenden und die Realität so weit auseinander.

Wähler erwarten von der Politik Antworten - zu Recht

Diese Woche musste die Bundesregierung einräumen, dass die Mieten in Wohnungsangeboten heute noch schneller steigen als zu Beginn der Legislaturperiode. In München etwa haben sie seit 1995 um 70 Prozent angezogen, das durchschnittliche Einkommen dagegen nur um ein Drittel. Die Wohnkosten belasten also immer mehr Menschen.

Zu Recht erwarten die Wähler Antworten der Politik. Denn längst richtet die Wohnungsnot wirtschaftliche Schäden an. In Universitätsstädten wie Freiburg finden Unternehmen kaum Mitarbeiter von außerhalb, weil Bewerber keine bezahlbare Bleibe finden. Besonders betroffen sind Durchschnittsverdiener. Dabei sind es doch gerade sie - Krankenschwestern, Busfahrer, Polizisten - ohne die eine Stadt gar nicht funktionieren könnte.

Statistiken zeigen, dass die Menschen in den Städten weniger umziehen. Selbst wer sich verkleinern will, findet auf dem freien Markt oft nur teurere Wohnungen. Familien ziehen unfreiwillig ins Umland; Eltern nehmen lange Pendelstrecken in Kauf, zulasten von Umwelt und Freizeit.

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Preiswettbewerb um Grund und Boden verhindert günstige Wohnungen

Auch verschärft die Wohnungsnot die ungleiche Vermögensverteilung. Wer 40 Prozent seines Einkommens für Miete ausgibt, kann weniger Eigenkapital für eine eigene Immobilie ansparen. Laut der Bundesbank haben Haushalte, die im Eigenheim leben, ihr Vermögen zwischen 2010 und 2014 im Schnitt um 33 500 Euro gesteigert. Bei Mieterhaushalten hingegen liegt der Zuwachs unter 1000 Euro. Schön, dass es in Deutschland einen Immobilienboom gibt. Schade nur, dass die Mehrheit der Bevölkerung davon nicht profitiert.

Daher sollten Bund, Länder und Städte eine entschiedenere Wohnungspolitik betreiben. Wohnraum ist elementarer Teil der Daseinsvorsorge. Sprachgeschichtlich ist Wohnen mit Wörtern wie Wonne oder Wunsch verwandt. Mehr Wohnungspolitik soll nicht bedeuten, Vermieter zu enteignen oder private Investitionen zu verbieten. Vielmehr muss die Politik Bedingungen dafür schaffen, dass alle Menschen bezahlbaren Wohnraum finden. Diesen Auftrag nahm die öffentliche Hand jahrzehntelang sehr ernst, bis sie sich um die Jahrtausendwende aus den Wohnungsmärkten zurückgezogen hat - was viele Akteure heute bereuen.

Viele Städte und Bundesländer gingen um die Jahrtausendwende davon aus, der Markt werde eine schrumpfende Bevölkerung schon adäquat mit Wohnraum versorgen. Sie privatisierten ihre Wohnungsgesellschaften, die teils hoch verschuldet waren. Arbeitgeber wie die Bahn verkauften Mitarbeiter-Wohnungen, um sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. Die einst gemeinnützigen Bestände gehören heute milliardenschweren Wohnungsfirmen.

Auch der Bund hat die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau 2006 an die Länder abgegeben. Doch stopften die mit den Bundesmitteln lieber Löcher im Haushalt. Von 2,6 Millionen Sozialwohnungen im Jahr 2002 sind heute noch 1,3 Millionen übrig.

Doch haben sich viele dahinterliegende Annahmen als Irrtum erwiesen. Während ländliche Kreise tatsächlich schrumpfen, sind viel mehr junge Leute in die Städte gezogen als erwartet. Und weil überraschend viele Menschen zuwanderten, ist die Einwohnerzahl seit 2009 um 2,5 Millionen gestiegen. Entsprechend angespannt sind nun die Wohnungsmärkte, die zudem mit Geld geflutet werden: Wegen niedriger Zinsen legen Investoren mehr Geld in Immobilien an. Es ist wie ein perfekter Sturm, der sich über allen zusammengebraut hat, die eine Wohnung in der Stadt suchen.

2016 haben sich Grundstücke in München um 31 Prozent verteuert

Eine Eigenart des Wohnungsmarkts ist, dass er äußerst behäbig auf Knappheit reagiert. Wer heute neue Wohnungen bauen will, wird diese erst in ein paar Jahren vermieten können. In der Zwischenzeit werden andere von der Knappheit hören und höhere Preise verlangen, etwa für Bauland. Und wenn viele Bauherren gleichzeitig auf den Plan treten, überlastet dies Bauämter und Handwerk. So kommt es, dass das Angebot auf dem Wohnungsmarkt zu langsam steigt - mit dem Ergebnis, dass Preise nach oben schießen. Genau das ist in den vergangenen Jahren geschehen.

So haben sich in München Grundstücke für Mehrfamilienhäuser im vergangenen Jahr um 31 Prozent verteuert, in Hamburg um 14 Prozent. Selbst gemeinnützige Unternehmen können auf so teurem Boden nicht günstig bauen. Zumal sich die Zahl der Auflagen - Energie, Brandschutz, Barrierefreiheit - seit 1990 vervierfacht hat. In vielen Städten können sich Normalverdiener keine neu gebauten oder sanierten Wohnungen mehr leisten. Dies ist ein Fall von Marktversagen.

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Investoren brauchen Anreize, Probleme zu lösen - statt sie zu verschlimmern

Nur allmählich setzt ein Umdenken ein: Arbeitgeber halten wieder Wohnungen für Mitarbeiter vor. Städte stellen fest, dass freie Immobilien-Investoren zwar hohe Bodenpreise zahlen und hochwertige Eigentumswohnungen bauen. Doch wer durch profitmaximierte Neubaugebiete wie das Europaviertel in Frankfurt spaziert, wird inmitten seelenloser Klötze alles vermissen, was Quartiere lebenswert macht: soziale Durchmischung, bauliche Abwechslung, öffentliches Leben.

Deshalb ist es an der Zeit, Investoren Anreize zu geben, damit ihr Kapital dazu beitragen kann, gesellschaftliche Probleme zu lösen - statt sie zu verschlimmern. Die öffentliche Hand hat diese Aufgabe in den vergangenen Jahren nicht entschieden verfolgt. Ein Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen hat viele Vorschläge erarbeitet, wie sich Baukosten senken ließen. Dennoch halten beispielsweise Städte an Stellplatz-Verordnungen fest, obwohl Städter immer weniger Autos besitzen. Die vorgeschriebenen Tiefgaragen verteuern den Bau unnötig. Auch hat der Bund seine Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdoppelt. Trotzdem schufen die Länder nicht doppelt so viele neue Sozialwohnungen.

Sich selbst im Weg steht die große Koalition bei der Mietpreisbremse. Diese sollte starke Preisanstiege verhindern, wenn Wohnungen neu vermietet werden. Allerdings bestand die Union auf derart vielen Ausnahmen, dass sich Mieter kaum sicher sein können, ob das Gesetz für ihre Wohnung wirklich gilt. Andere Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, etwa die Mietspiegel zu reformieren, hat die Regierung gar nicht erst eingehalten. Ginge es nur nach der Wohnungspolitik, müsste man diese große Koalition abwählen, um den Stillstand zu beenden.

Die Politik muss in der nächste Wahlperiode drei große Problem lösen.

Erstens: Wohnungspolitik braucht starke Kommunen. Städte können den Preiskampf um Grund und Boden eindämmen, wenn sie früh erfassen, welche Flächen umgewidmet und bebaut werden können. Sie können Bauland auf Vorrat kaufen - und die Grundstücke dann an Bauherren mit der besten sozialen Idee vergeben. So kommen auch Genossenschaften, Baugemeinschaften oder kommunale Gesellschaften zum Zug, die zu lebendigen und bezahlbaren Quartieren beitragen.

Viele Städte können sich diese Politik nicht leisten, weil sie auf Einnahmen mit teuren Grundstücken angewiesen sind. Hier könnte der Bund einen Liegenschaftsfonds aufsetzen, der Kommunen für aktive Bodenpolitik entschädigt. Zudem sollte der Bund mehr eigene Grundstücke günstig verkaufen, wenn darauf bezahlbare Wohnungen entstehen. Falls öffentliche Grundstücke nicht ausreichen, genehmigen immer mehr Städte Projekte nur noch, wenn die Bauherren eine soziale Durchmischung garantieren, etwa durch einen Mindestanteil an Sozialwohnungen.

Solche Bodenpolitik soll private Investoren nicht vertreiben. Es gibt zweifelsohne eine Nachfrage nach teuren Eigentumswohnungen. Doch da die Politik dem Großteil der Bevölkerung dienen sollte, könnte sie Investoren, die günstige Mieten versprechen, mit Steuervorteilen locken.

Die Regeln zur Energiesanierung sind veraltet

Zweitens braucht es einen neuen Kompromiss, um die Kosten der Energiewende gerechter zu verteilen. Wenn Vermieter eine Wohnung modernisieren, dürfen sie derzeit elf Prozent der Kosten auf die jährliche Miete umlegen. Das gibt ihnen zwar den nötigen Anreiz, Fassaden zu dämmen und Heizungen zu erneuern, was wichtig für die Klimaziele ist.

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Doch belastet die derzeitige Rechtslage Mieter übermäßig; Mieterhöhungen fallen viel höher aus als die Ersparnis an Heizkosten. Die Regelung stammt aus einer Zeit, in der Vermieter die Maßnahmen viel teurer finanzieren mussten. Der Gesetzgeber sollte die Umlage endlich an das Zinsniveau anpassen. Damit der Anreiz für Eigentümer erhalten bleibt, könnte der Staat die energetische Gebäudesanierung steuerlich fördern.

Ländliche Gegenden müssen Ballungsgebiete entlasten

Drittens sollte die Politik das grundgesetzliche Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land ernst nehmen. Flächendeckende Fördergelder für Familien beim Immobilienkauf könnten den Eigenheimbau auf dem Land weiter antreiben. Dabei stehen dort ohnehin immer mehr Immobilien leer.

Der Staat kann die Kluft zwischen Stadt und Land verringern, wenn er Behörden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ländlichen Kreisen stärkt. Damit auch Unternehmen mehr Arbeitsplätze schaffen, benötigt das Land schnellere Internetverbindungen. Und damit ländliche Gebiete die Ballungszentren stärker entlasten können, braucht es eine verlässliche und umweltfreundliche Infrastruktur für Pendler. Darin zu investieren, verspricht der Gesellschaft mehr Nutzen als eine flächendeckende Förderung für Immobilienkäufer, die wieder nur die Preiserwartungen aller Beteiligten steigen ließe.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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