Wintermelancholie:"Licht macht sehr viel mit dem Menschen"

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Je mehr Licht Menschen abbekommen, desto aktiver sind sie. (Foto: dpa)

Derzeit scheint die Sonne nur selten. Das wirkt sich auf die Stimmung aus. Chronobiologe Till Roenneberg gibt Tipps zum Umgang mit der Wintermelancholie.

Interview von Philipp Crone

Seit Tagen erreicht kaum ein direkter Sonnenstrahl Münchner Boden. Es ist kalt, es ist neblig, es ist trüb. Was macht das mit den Menschen, die keine Sonne abbekommen? Till Roenneberg, 65, Chronobiologe und Professor am Institut für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität, hat Antworten.

SZ: Herr Roenneberg, was passiert mit einem, wenn man tagelang keine Sonne sieht?

Till Roenneberg: Erst einmal, wir haben in den vergangenen Tagen in München kein Lichtproblem gehabt. Wir hatten weißen Hochnebel, aber tagsüber hat jeder Licht abgekriegt. Probleme gibt es, wenn permanent dunkle Regenwolken am Himmel hängen, wenn es früh dunkel wird und spät hell und wenn man vor allem den ganzen Tag drinnen ist. Grundsätzlich ist es aber schon so: Je mehr Licht wir abbekommen, desto aktiver sind wir.

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Derzeit ist es aber doch deutlich weniger, zumindest fühlt es sich so an.

Es ist aber ganz normal, dass der Mensch im Winter weniger Licht bekommt. Wenn jemand den ganzen Tag drinnen verbringt, reduziert sich die Lichtmenge im Vergleich zu einem, der sich im Freien aufhält, um das Hundert- bis Tausendfache.

Tausendfach?

An einem sonnigen Tag bekomme ich draußen bis zu 150 000 Lux Licht, an einem regnerischen Tag noch immer etwa 10 000, aber drinnen sind es in Blickrichtung nur 100 bis 400, wenn ich nicht gerade direkt am Fenster sitze und rausschaue.

Also: Was macht das mit einem?

Licht macht sehr viel mit dem Menschen. Es stellt zum Beispiel die innere Uhr. Es beeinflusst auch innere Transmittersysteme, die uns aktivieren, wacher und fröhlicher machen. Weil wir heute aber immer weniger Licht abbekommen, im Vergleich zu denjenigen, die draußen arbeiten, sind unsere inneren Uhren auch so spät dran, wir brauchen morgens einen Wecker. Aber das Licht ist letztlich nur ein Faktor von mehreren.

Welche gibt es noch?

Die Tageslänge und die Temperatur zum Beispiel, und dass man eben kaum draußen ist. Je kälter es ist, desto weniger gerne geht man vor die Tür. Und dann muss man sich auch noch so viel anziehen, was das Gefühl erzeugt, sich weniger frei bewegen zu können. Es sind alles kleine psychologische Faktoren, die sich aber alle summieren.

Inwiefern?

Wenn wir die Sonne sehen, den blauen Himmel, dann haben wir vor allem das Gefühl, dass mehr Licht da ist, obwohl das nicht unbedingt so ist. Und bei blauem Himmel weiß man auch: Ah, gut, ich werde nicht nass. Und im Grunde geht es ja noch um etwas anderes: Im Sommer ist es den Leuten schnell zu heiß, im Winter zu kalt und sie kriegen die Sonne nicht zu sehen. Meines Erachtens hat diese Unzufriedenheit meistens nichts mit den wirklichen Umständen zu tun, sondern der Mensch, gerade wenn er in einer großen Stadt lebt, fühlt sich grundsätzlich nicht wirklich wohl und sucht dafür einen Grund.

Warum fühlt er sich nicht wohl?

Ich arbeite seit Jahrzehnten mit Fragebögen, habe Hunderttausende Menschen befragt, und meine Erfahrung ist, dass dieses Unwohlsein ein generelles Phänomen ist. Den Leuten geht mittlerweile alles zu schnell, in den Städten ist alles so dicht geworden und die Mehrheit ist zudem auch noch unzufrieden mit ihrem Beruf, weil sie nur funktionieren sollen, aber nichts gestalten dürfen.

Was raten Sie also dem sehnsüchtig auf einen blauen Himmel wartenden Münchner, der gerade unzufrieden in seinem Büro hockt?

Er muss das zunächst einfach mal akzeptieren, dass es im Winter so ist: Wir kriegen weniger Licht. Punkt. Je mehr wir die Melancholie des Winters zelebrieren und akzeptieren und uns ihr hingeben, umso ausgeruhter sind wir nach der finsteren Jahreszeit und umso schöner und intensiver erleben wir das Frühjahr.

Was noch?

Ganz einfach: Rausgehen! Ich habe seit einigen Jahren einen Bauernhof, und da gehe ich bei jedem Wetter raus, bei Regen eben in Gummistiefeln. Gehen Sie viel raus und zelebrieren Sie die Wintermelancholie mit viel lesen, mehr schlafen und mehr Unterhaltungen mit anderen Menschen.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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