Medizin:Wie wichtig ist Vitamin D im Winter?

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100 Millionen Euro geben die Deutschen jährlich im Internet für Vitamin D aus. (Foto: picture alliance / dpa)
  • Der Tagesbedarf an Vitamin D liegt nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bei 20 Mikrogramm. Das meiste davon stellt der Körper selbst her.
  • Vor allem im Winter tritt bei vielen jedoch ein Vitamin-D-Mangel auf. Zunächst ist dann ratsam, häufiger nach draußen zu gehen, um viel Sonnenlicht abzubekommen.
  • Vitamin-D-Präparate sind nur dann zu empfehlen, wenn tatsächlich ein Mangel nachgewiesen ist. Überdosiert können die Tabletten auch der Gesundheit schaden.

Von Hanno Charisius

Womöglich liegt es an einem Missverständnis, dass sich so viele Menschen für Vitamin D interessieren. Als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) im Jahr 2012 neue Referenzwerte für den Stoff ausgab, kam es zu einer durch Medienberichte angefachten Massenfurcht. Die DGE bezifferte den Tagesbedarf eines Menschen mit einem Mal auf 20 Mikrogramm Vitamin D, zuvor waren es nur fünf gewesen. Durch den scheinbar drastischen Unterschied entstand der Eindruck, dass es in Deutschland eine großflächige Unterversorgung gebe. Dabei wurde allerdings übersehen, wie die DGE zu der neuen Empfehlung gekommen war. Die Experten hatten nur die Berechnungsgrundlage geändert, der Vitaminspiegel der Deutschen war nicht plötzlich abgesackt.

Wenn er nur genug Sonne bekommt, kann der Körper selbst Vitamin D bilden. Trifft in der Haut UVB-Licht auf einen chemischen Vorläufer des Cholesterins, verwandelt sich dieser in Colecalciferol, die für den Körper wichtigste Form von Vitamin D. 80 bis 90 Prozent seines Bedarfs stellt der Mensch so normalerweise selbst her, der Rest stammt aus der Nahrung. Menschen mit niedrigem Vitamin-D-Spiegel empfehlen Experten daher rauszugehen in die Sonne, nicht Tabletten zu schlucken. Doch Pillen zu kaufen scheint für Viele der gefälligere Weg zu sein.

Der Trubel um einzelne Vitamine hat Tradition

Von fünf Millionen verkauften Packungen im Jahr 2010 hat sich der Absatz bis 2015 allein in den Apotheken mehr als verdoppelt, berichtet das Marktforschungsunternehmen Iqvia. Der Internethandel kommt noch dazu. Dafür geben die Deutschen mehr als 100 Millionen Euro jährlich aus. Der Hype hält bis heute an und Matthias Weber, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, sieht ihn gar noch wachsen.

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Der Trubel um einzelne Vitamine hat Tradition. Nach den Vitaminen A, C und E ist die Euphorie jetzt beim Buchstaben D angekommen. Bestenfalls schaden die Supplemente nur dem Geldbeutel, sagt Matthias Weber, der die Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten an der Uniklinik Mainz leitet. "Doch nicht alle sind harmlos für die Gesundheit." Im Internet kann man extrem hoch dosierte Präparate bestellen, die die vom Bundesinstitut für Risikobewertung für Nahrungsergänzungsmittel empfohlene Tagesdosis von 20 Mikrogramm vielfach übersteigen.

Zu viel Vitamin D ist ebenso schädlich wie zu wenig. Nimmt ein übereifriger, gesunder Mensch zu hohe Mengen auf einmal ein, kann es zu Vergiftungserscheinungen kommen. Dabei kann zu viel Kalzium ins Blut gelangen. Herzrhythmusstörungen, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Nieren- und andere Organschäden sind weitere mögliche Nebenwirkungen.

Bei einem Mangel droht Kindern Rachitis bei der es zu Deformationen des Skeletts kommen kann. Bei Erwachsenen wird das Krankheitsbild als Osteomalazie bezeichnet, eine schmerzhafte Knochenerweichung. Denn das D-Vitamin ist wichtig, um Kalzium in die Knochen einzubauen, damit das Skelett die nötige Festigkeit bekommt. Weil Säuglinge und Kleinkinder nicht in die Sonne sollen, verordnen Ärzte für die ersten Lebensmonate Vitamin-D-Präparate. Auf Tropfen oder Pillen angewiesen sind auch pflegebedürftige Menschen, die praktisch nie Sonne sehen. Für solche hatte auch die DGE vor sechs Jahren die Empfehlungen aktualisiert.

Dass auch alten Menschen viel von dem Stoff nicht unbedingt viel hilft, zeigte 2016 eine Studie in der Schweiz. Forscher hatten Männern und Frauen über 70 Jahren unterschiedlich hohe Vitamin-D-Dosen verabreicht. Bei der hohen Dosis stiegen zwar die Blutwerte erfreulich an, doch ausgerechnet diese Teilnehmer konnten ihre Beine nicht besser bewegen als vorher. Die Gruppe mit der niedrigeren Dosierung wurde beweglicher und stürzte weniger.

Zu Matthias Weber kommen oft Patienten, die einen Mangel bei sich vermuten und damit etwa ihre dauernde Müdigkeit erklären und nicht etwa mit ihrem beruflichen oder privaten Stress. "Immer bringen sie Beispiele aus dem Bekanntenkreis, bei denen Vitamin D geholfen hat, oder sie sind bereits selbst überzeugt, dass Vitamin D ihr Leben verändert habe." Es sei ja auch verlockend, eine Tablette zu nehmen und damit das Problem vermeintlich zu lösen. Der Placebo-Effekt spielt dabei ordentlich mit. "Oft wird dann vergessen, nach der wahren Ursache zu fahnden", sagt Weber.

Vor allem im Winter kommt es bei vielen Menschen allerdings zu einem echten Mangel. Laut Robert Koch Institut (RKI), sind 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland mangelhaft mit Vitamin D versorgt und haben damit ein erhöhtes Risiko für Osteomalazie und Osteoporose. Der Vitamin-D-Wert schwankt bei jedem Menschen allerdings mit dem Jahreslauf erheblich, die Mangel-Leiden entwickeln sich zum Glück aber nicht sehr schnell. Wer in den sonnenreichen Monaten seine Vitamin-D-Speicher durch Eigenproduktion auffüllt, sollte nach Auffassung der meisten Experten keine Probleme haben, durch den Winter zu kommen. Auch das RKI empfiehlt nur dann Supplemente, wenn ein Mangel nachgewiesen ist.

Ein Spaziergang in der Sonne hilft meistens mehr als Pillen

Viele Ärzte fühlen sich von Patienten bedrängt, ihnen Blut für einen Vitamin-D-Test abzunehmen, obwohl sie nicht zu den Risikogruppen zählen. Die Kosten belasten das Gesundheitssystem mit mehreren Millionen Euro im Jahr. Auf eigene Faust einen Test zu machen, hält Matthias Weber aber auch für keine gute Idee. Bei Bluttests, die man im Internet bestellen kann, sei die Qualität nicht gewährleistet. Manche Anbieter für Privatkunden argumentieren mit Daten der Nationalen Verzehrstudie, wonach 82 Prozent der Männer und 92 Prozent der Frauen in Deutschland zu wenig Vitamin D mit der Nahrung aufnehmen, um ihren Bedarf zu decken - was ganz normal ist, da der Körper den größten Teil selbst herstellt. Aber es klingt furchterregend nach Handlungsbedarf. Vor Fragebögen auf Webseiten, die oft gleich Links zu Produkten empfehlen, warnt Weber. "Da ist der Kommerz die treibende Kraft, solche Angebote sind nicht seriös."

Warum das Interesse an Vitamin D nicht abreißt, liegt wahrscheinlich auch an Studien, die gezeigt haben, dass bei vielen Krankheiten der Vitamin-D-Spiegel niedrig ist. So entstand die Vorstellung, Krebs, Bluthochdruck, Diabetes und andere Leiden durch hohe Vitamin-D-Dosen heilen zu können. Doch verschiedene Interventionsstudien, die kontrolliert haben, ob die Gabe von Vitamin D Krankheiten verhindert, verliefen bisher überwiegend enttäuschend. Einzig der Knochengesundheit scheint Vitamin D zuträglich zu sein. Eine Expertengruppe der DGE lieferte diese ernüchternde Erkenntnis bereits vor sieben Jahren. Zurzeit arbeiten die Forscher an einer Aktualisierung ihrer Arbeit, bei der sie weitere Krankheiten einbeziehen wollen, erklärt der Epidemiologe Jakob Linseisen, der an der Studie beteiligt ist. Im Sommer, so hofft er, liegen die Ergebnisse vor.

Wie gut jemand mit Vitamin D versorgt ist, hängt nicht nur von der Jahreszeit ab, sondern auch von der Region, in der er lebt, von der Hautfarbe und anderen genetischen Merkmalen, vom Alter und natürlich von der Zeit, die man im Freien verbringt. Verschiedene Fachgesellschaften empfehlen für eine ausreichende Versorgung, zwischen März und Oktober zwei- bis dreimal pro Woche Gesicht, Arme und Hände ohne Schutzcremes der Sonne auszusetzen. Sogar die der Sonne normalerweise berufsmäßig kritisch gegenüberstehende Hautärzte und Krebsmediziner empfehlen Sonnenlicht in Maßen, um die Vitamin-D-Synthese anzukurbeln. Doch sie mahnen auch, Sonnebrände unbedingt zu vermeiden.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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