Anhaltender Streit um die Theresienwiese:Ein Stadtpark auf dem Wiesn-Gelände

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Immer ein großer Auftrieb: das Zentrale Landwirtschaftsfest auf der Theresienwiese. (Foto: imago stock&people)

Die Oktoberfest-Nachbarn denken über eine Verlegung des Zentralen Landwirtschaftsfests nach - und über Bäume, Büsche, Blühwiesen. Warum der Wunsch Wiesn-Chef Baumgärtner "wütend" macht.

Von Julian Raff

Auch wenn die Frage das Vorstellungsvermögen jedes gestandenen Münchners sprengt: Einmal angenommen, es gäbe weder die Wiesn noch das Zentrale Landwirtschaftsfest - würde sich die Landeshauptstadt eine kahle 42-Hektar-Brache wie die Theresienwiese in ihrer Mitte leisten? Ebenso selbstverständlich, wie die Antwort "Nein" lauten dürfte, nahmen die Anwohner das zugige, triste Nichts in ihrem Viertel stets als unvermeidlichen Tribut an die Tradition hin.

In der Pandemie haben sie es aber als Erholungs-, Spiel- und Sportfläche oder gar als potenziellen Stadtpark mit Kühlwirkung entdeckt und sind nun derart auf den Geschmack gekommen, dass sie Abstriche bei der Festnutzung fordern - zumindest sehen sich die Lokalpolitiker im Bezirksausschuss (BA) Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt von entsprechendem Bürgerwillen getragen.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate legen sie sich dabei mit Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) an. Der Wiesn-Chef hatte im September äußerst scharf reagiert, als sich die Lokalpolitiker dagegen aussprachen, das Frühlingsfest um eine Woche zu verlängern, wie dies die Schausteller zwecks Ausgleich ihrer Verluste gefordert hatten. Nachdem der Stadtrat Mitte November ebenfalls gegen eine Verlängerung und damit auch gegen Baumgärtners Position entschieden hatte, denkt man im Lokalgremium nun laut darüber nach, ob sich das Zentrale Landwirtschaftsfest (ZLF) nicht vom Südteil der Theresienwiese ins Messegelände nach Riem verlegen ließe. Um die Teilfläche wirklich frei zu bekommen, müsste allerdings auch die Oide Wiesn verlegt werden, dazu macht der Bezirksausschuss aber vorerst keine Alternativvorschläge.

Die Landwirtschaftsausstellung debütierte 1811, ein Jahr nach der Ur-Wiesn, als erste Schau ihrer Art im deutschsprachigen Raum. Der zunächst jährliche Turnus wurde vom 20. Jahrhundert an auf zwei Jahre verlängert, ab Mitte der Siebzigerjahre auf drei und schließlich, seit 1996, auf vier Jahre. Beim Start der Oidn Wiesn 2010 hatten Stadt und Bauernverband (BBV) bereits über eine örtliche Verlegung ins Messegelände oder eine zeitliche ins Frühjahr diskutiert. Die Idee wurde aber wegen der gemeinsamen Tradition von Oktoberfest und ZLF fallen gelassen, woran auch eine 2016 eingereichte Petition nichts änderte.

Der Klimanotstand erfordere ein Umdenken, finden Lokalpolitiker

Die Karten neu gemischt haben aus BA-Sicht nicht einmal in erster Linie die Pandemie und die Zwischennutzung mit Beachvolleyball, Boulderblock oder Palmengarten. Ein Umdenken erfordere vielmehr der akute Klimanotstand. Für seine Kollegen aller Fraktionen fordert Arne Brach (Grüne) daher "Bäume, Büsche, Blühwiesen", denn "ein bisschen Rasen, der im Monatstakt von Frühlingsfest, Oktoberfest, Tollwood, oder einem Zirkus oder Flohmarkt platt gemacht wird, ist kein Klimaschutz". Eine mehr als 200-jährige Tradition allein spricht für den BA jedenfalls nicht mehr gegen eine teilweise Umnutzung und Begrünung der Theresienwiese. Dass es daneben handfeste rechtliche Verpflichtungen geben könnte, bezweifeln die Stadtteilvertreter. Sie verabschiedeten daher, einstimmig, einen ausführlichen Fragenkatalog an die Verwaltung, der tief in eine komplizierte Historie geht.

Das Landwirtschaftsfest bietet viel Rummel. (Foto: imago stock&people/imago/STL)

Fest steht nämlich nur, dass die Theresienwiese, entgegen einer zählebigen Legende, nicht von den Wittelsbachern der Stadt geschenkt wurde - unter der Auflage, dort Oktoberfest und Landwirtschaftsausstellung abzuhalten. Vielmehr hatte die Stadt das Gelände im 19. Jahrhundert nach und nach diversen Eigentümern stückweise abgekauft.

Besonders angetan hat es den Lokalpolitikern dabei ein Dokument über den Verkauf des letzten Teilstücks durch das damalige Königreich Bayern im Jahr 1906. Der Vertrag betrifft nicht den Südabschnitt, sondern ein Areal im Nordwesten, das mit 4,1 Hektar etwa ein Zehntel der Theresienwiese ausmacht. Dort verbietet er der Stadt "das Kaufobjekt zu anderen Zwecken als zur Errichtung von Bauwerken für Ausstellungs- und Festzwecke, zur Schaffung gärtnerischer Anlagen, sowie zur Gestaltung von Wegen und Straßen zu verwenden".

Natürlich wollen die Bezirksausschuss-Mitglieder keine "gärtnerischen Anlagen" ausgerechnet dort, wo heute die Zelte stehen. Eher projizieren sie den Geist des Vertrags auf die Süd-Fläche - selbst wenn es dort, als Kompromiss, am Ende nur für eine dauerhaft bepflanzte Grünfläche neben einer verkleinerten Agrarschau reichen sollte. Zudem könnten sie sich Alleebäume an der Zentralachse der Matthias-Pschorr-Straße vorstellen. Diesen Vorschlag macht auch Sibylle Stöhr, Grünen-Stadträtin und Vorsitzende des westlichen Nachbar-BA Schwanthalerhöhe. Sie steht generell "einer Prüfung offen gegenüber" und will das Thema auch ihrem Gremium vorlegen, und später vielleicht den Kollegen im Stadtrat.

Das Landwirtschaftsfest sei keine "Koofmich-Veranstaltung" findet der Wisn-Chef

Ob es dort ähnliche Wallungen hervorruft, wie zwischen den Ludwigsvorstädter Lokalpolitikern und Baumgärtner, bleibt abzuwarten. Der Wiesn-Chef erklärt jedenfalls zum ZLF-Umzug: "Dieser Wunsch macht mich wütend." Es sei "an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten" und Ausdruck einer "absurden, ideologisch geprägten Politik", einerseits lokale und regionale Lebensmittelproduzenten stärken zu wollen und ihnen zugleich "den Platz auf der Wiesn zu versagen". Das ZLF, ob man es nun als Messe einstufe oder nicht, sei jedenfalls keine kommerzielle "Koofmich-Veranstaltung". Stattdessen biete es vielen Münchnern überhaupt erst einen Bezug zur Landwirtschaft.

"Ein paar Bäume", so Baumgärtner, könnten demgegenüber "das Weltklima nicht retten" und stünden den ebenfalls gewünschten Flächen für Beachvolleyball und anderen Sportarten eher im Weg. Zudem müsste die Wiesn beim Umwidmen der Südfläche dauerhaft verkleinert werden, so wie einige Schausteller schon heute in ZLF-Jahren außer vor bleiben.

Entsiegeln und begrünen ließen sich dafür ja andere Festplätze, etwa das Gelände des Sommer-Tollwood am Olympiapark, schlägt Baumgärtner vor, der außerdem den Grünbedarf, zumindest den der westlichen Anwohner, durch den Westpark gut abgedeckt sieht. Der sei regelmäßig sei total überfüllt, gibt Sibylle Stöhr zu bedenken und unterstreicht so noch einmal den Wunsch nach einer "grünen und menschlichen Bürgerwiese" in Koexistenz mit dem Oktoberfest.

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