Weltkriegsende in München:"Der Hass muss freie Bahn haben"

Lesezeit: 2 Min.

"Der Hass muss freie Bahn haben." Nach dieser Devise regierte Gauleiter Paul Giesler. Auf dem Foto ist er im Vordergrund zu sehen, mit Hakenkreuz-Binde um den Oberarm. Das Bild entstand am 14. November 1943 bei einer Großkundgebung vor der Feldherrnhalle mit Generaloberst Eduard Dietl. (Foto: Scherl/SZ-Photo)

Paul Giesler ging als Gauleiter von München-Oberbayern mit äußerster Härte vor. Wer in den Verdacht geriet, nicht auf der Seite des NS-Regimes zu stehen, musste mit dem Schlimmsten rechnen.

Von Wolfgang Görl

Als die US-Armee Tag für Tag näher an München heranrückte, gab Paul Giesler, Gauleiter von München-Oberbayern, noch immer Durchhalteparolen aus, träumte von einem heroischen Kampf in der "Alpenfestung" und ließ Menschen umbringen, die sich irgendwie "defätistisch" geäußert hatten. Giesler war ein Nazi vom Scheitel bis zur Sohle, fanatisch, gnadenlos, blutrünstig. Im Januar 1945 hatte er gefordert: "Der Hass muss freie Bahn haben. Unsere hasserfüllte Gesinnung muss dem Gegner wie eine versengende Glut entgegenschlagen."

Giesler, geboren 1895 in Siegen, hatte wie sein Vater und sein jüngerer Bruder Hermann Architektur studiert und ließ sich nach dem Krieg in seiner Heimatstadt als Architekt nieder. 1919 war er dem Frontkämpferbund "Stahlhelm" beigetreten, welcher der demokratiefeindlichen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahestand. Er bewegte sich aber auch im Dunstkreis der NSDAP, der er 1928 beitrat. Als Mitglied der SA tat sich Giesler als Schläger und Randalierer hervor. In der sogenannten Nacht der langen Messer, bei der SA-Chef Röhm und andere Führer der Braunhemden auf Weisung Hitlers ermordet wurden, kam Giesler mit Glück davon.

Historischer Liveblog zu 1945
:Das Weltkriegsende in Europa Tag für Tag

Der Vormarsch der Alliierten, die Befreiung der überlebenden KZ-Häftlinge, die letzten NS-Verbrechen, Hitlers Untergang - vom 28. April bis zum 9. Mai hat die SZ dokumentiert, wie der Zweite Weltkrieg in Europa vor 75 Jahren zu Ende gegangen ist. Der historische Liveblog in der Nachlese.

Von Oliver Das Gupta, Barbara Galaktionow und Philipp Saul

In den ersten beiden Kriegsjahren nahm er als Kompanieführer am Überfall auf Polen und am Feldzug gegen Frankreich teil. Dann der steile Aufstieg: 1941 wurde Giesler, protegiert vom Hitler-Vertrauten Martin Bormann, Gauleiter von Westfalen-Süd. Nicht mal ein Jahr später ging es weiter bergauf. Adolf Wagner, der Gauleiter des bedeutenden "Traditionsgaus" München-Oberbayern, hatte einen Schlaganfall erlitten und war dienstuntauglich. Giesler trat im Juni 1942 dessen Nachfolge an, zunächst geschäftsführend und nach dem Tod Wagners im April 1944 auch offiziell. Von Wagner erbte er zudem das Amt des bayerischen Innenministers und des Kultusministers, nach dem Tod des Ministerpräsidenten Ludwig Siebert übernahm er auch noch dessen Posten.

Giesler führte ein Terrorregime. Wer in den Verdacht geriet, nicht auf der Seite des NS-Regimes zu stehen, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Am 13. Januar 1943 hielt Giesler eine Rede zum 470. Gründungstag der Ludwig-Maximilians-Universität, und dabei empfahl er den Studentinnen, dem "Führer" Kinder zu schenken, statt Studienplätze zu blockieren. Sollte eine der Damen nicht hübsch genug sein, werde er einen seiner Adjutanten für die Erfüllung dieser patriotischen Pflicht abkommandieren. Daraufhin kam es zu Tumulten. Unter den Zuhörerinnen war auch Sophie Scholl. Als sie und ihr Bruder sowie andere Mitglieder der "Weißen Rose" festgenommen wurden, trat Giesler - erfolglos - dafür ein, die Hinrichtungen öffentlich zu vollziehen. Auch bei der Niederschlagung des Aufstands der Freiheitsaktion Bayern ging er mit äußerster Härte vor.

Am 29. April 1945 floh Paul Giesler, den Hitler in seinem politischen Testament gerade zum Nachfolger Heinrich Himmlers als Reichsinnenminister ernannt hatte, mit seinen Getreuen Richtung Alpen. Gut eine Woche später, am 8. Mai, war er tot. Wie es dazu kam, ist nicht ganz klar. Vermutlich hatte er zwei Suizidversuche unternommen. An den Folgen des zweiten starb er.

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWeltkriegsende in München
:Musik für Schokolade

Im Mai 1945 sind Brot, Mehl und Fleisch knapp, die Münchner hamstern, der Schwarzmarkt blüht. Und Josef Steidle, erst 17 und schon Kriegsveteran, schlägt sich mit seiner Harmonika durch.

Von Miriam Steiner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: