Umwelt und Naturschutz:Der Wald ist in akuter Gefahr

Klimawandel und Wald in der Region München, 2012

Heiße Sommer und ein schneereicher Winter: Der Klimawandel macht den Wäldern in München und Umgebung zu schaffen. Nun suchen Experten nach Lösungen, um das Sterben zu verhindern.

(Foto: Florian Peljak)

Der Klimawandel begünstigt die Ausbreitung von Schädlingen. Einige Arten wie die Esche werden wohl bald verschwinden - für München ist das Baumsterben eine echte Bedrohung.

Von Thomas Anlauf

Spüren Sie die Kraft?" Ja, sie ist da. Sie brummt in der zur Faust geschlossenen linken Hand. Die Haut vibriert, die Hand wird wärmer, hundert oder vielleicht mehr winzige Käfer drücken und drängen aus ihrem Gefängnis: Sie wollen schwärmen. Jan Linder hat die Insekten aus einer Käferfalle auf einer Lichtung geholt, damit auch ein Laie spürt, was diese knapp fünf Millimeter kleinen Buchdrucker für eine Schwarmkraft haben. In der geschlossenen Faust sind sie geballtes Leben. Einmal ausgeschwärmt, zerstören sie ganze Wälder. Linder, Betriebsleiter der Münchner Forstverwaltung, steht mitten in einem Kampfgebiet zwischen Förster und Käfer. Denn sein Fichtenwald gleicht gerade einem Mikadohaufen umgestürzter Bäume. Und die Käfer greifen an.

Der Wald ist bedroht, er ist in akuter Gefahr. Seit 2015 melden Wetterforscher einen Hitzerekord nach dem anderen, es ist fast unablässig viel zu trocken, starke Stürme reißen Schneisen in die Wälder der Münchner Schotterebene und des Voralpenlands, dazu kommen Hagelschäden wie am Montagabend und extreme Schneefälle wie Anfang Januar, als an den Hängen des Taubenbergs eineinhalb Meter hoher, tonnenschwerer Nassschnee Tausende Bäume knickte wie Streichhölzer. Das Ergebnis betrachtet Linder mit Sorge. "Wir haben genau sechs Wochen Zeit, um alles raus zu räumen", sagt er. Wenn er und seine Leute es nicht schaffen, bis Mitte Juli die toten Fichten zu entfernen, passiert eine Katastrophe. Dann schwärmt die zweite Generation Borkenkäfer aus. Danach die dritte und womöglich die vierte. Es ist eine einfache Rechnung: Ein Borkenkäfer befällt einen Baum, seine Nachkommen schon zwanzig, die dritte Generation im Sommer bereits vierhundert. Und Linder muss den Bäumen beim Sterben zusehen.

Der Borkenkäfer ist zwar kein ganz neues Naturereignis, gerade der Buchdrucker gilt seit 2003 als "Hauptschädling" der Fichtenwälder in Bayern, wie das Forstministerium mitteilt. Befallene Bäume müssen gemeldet und so schnell wie möglich gefällt und weggebracht werden, bei den noch kleineren Kupferstechern müssen sogar die geschädigten Baumwipfel gekappt und möglichst verbrannt werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.

Doch in diesem Jahr ist alles anders. "Wir hatten hier im Winter ein Ereignis, das selbst kein alter Waldbauer kennt", sagt Oberförster Linder. Die Bäume brachen unter der Last des Schnees zu Tausenden krachend um. Zu den 12 000 Festmetern, die normalerweise jährlich allein am Taubenberg aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen gefällt werden, kommen nun noch 8000 Festmeter dazu, die durch Schneebruch und Borkenkäfer in kurzer Zeit mit schwerem Gerät wie Harvestern abgeholzt und weggeschafft werden müssen. 20 000 Festmeter, das entspricht etwa 250 Omnibussen, die bis unters Dach nur aus Massivholz bestehen würden.

Doch nicht nur der Taubenberg, der sich auf knapp neunhundert Metern zwischen Holzkirchen und Miesbach erhebt, auf dem der Stadt München zwei Drittel der Hänge gehören, ist vom Baumsterben bedroht. In München selbst sind zahlreiche Arten durch den Klimawandel und invasive Schädlinge gefährdet, allen voran die Esche. Die Baumart mit dem edlen botanischen Namen Fraxinus excelsior wird in München wohl aus dem Stadtbild verschwinden. Seit dem vergangenen Winter mussten Hunderte, wenn nicht Tausende Bäume in den Isarauen gefällt werden, sie sind Opfer des Eschentriebsterbens, das seit 2008 in Bayern grassiert und nun in München massiv zuschlägt.

Noch vor wenigen Jahren versuchten Botaniker der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung, im Englischen Garten durch Pflanzenkreuzungen resistente Eschen anzupflanzen. "Bedauerlicherweise wurden die jungen Pflanzen in kürzester Zeit erneut befallen, sodass die Versuche eingestellt wurden", sagt Ines Holzmüller von der Schlösserverwaltung. "Eine Mehrzahl der Eschen im Englischen Garten" sei derzeit von der Krankheit befallen. Umweltschützer wie Heinz Sedlmeier vom Landesbund für Vogelschutz in München (LBV) spricht davon, dass derzeit nur noch zehn Prozent der Altbäume und fünf bis sechs Prozent der jungen Eschen im Raum München nicht vom Falschen Weißen Stengelbecherchen (Hymenoscyphus pseudoalbidus) befallen sind.

Zunächst lichten sich die Baumkronen, in einem späteren Stadium faulen die Wurzeln regelrecht weg. Die Folge: Die Eschen fallen eines Tages einfach tot um. Sowohl Linder als auch Sedlmeier sprechen von der Esche bereits in der Vergangenheitsform. "Sie war ein wichtiger Baum im Kampf gegen den Klimawandel", sagt Linder. Die Esche ist eine der größten mitteleuropäischen Laubbäume, sie wird bis zu 40 Meter hoch und spendet mit ihren gefiederten Blättern Schatten. Doch nun sieht man vor allem Bäume, die fast kahl am Wegesrand stehen. Sedlmeier sagt resigniert: "Dieser Pilz ist verheerend."

Schädlinge im Wald am Beispiel Taubenberg bei Gotzing und Weyarn

"Wir hatten hier im Winter ein Ereignis, das selbst kein alter Waldbauer kennt", sagt Oberförster Jan Linder. Wegen der Schneelasten brachen die Bäume zu Tausenden um.

(Foto: Florian Peljak)

Die Bäume werden so rasch vom Pilz befallen, dass mittlerweile auch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Esche so gut wie aufgegeben hat, auch wenn der Behördenleiter Georg Kasberger noch vereinzelt resistente Eschen entdeckt, etwa im Nymphenburger Schlosspark und im Hirschgarten. "Aber unsere Empfehlung ist, dass man keine Esche mehr pflanzt", sagt Kasberger. Die Warnung gilt mittlerweile auch für den Buchsbaum in München. Seit vergangenem Jahr hat der aus Ostasien stammende Buchsbaumzünsler zahlreiche Münchner Bestände befallen.

LBV-Geschäftsführer Sedlmeier empfiehlt deshalb, einen von den Schmetterlingsraupen befallenen Busch aufzugeben und lieber eine andere heimische Pflanze zu setzen. "Der Buchsbaumzünsler ist so massenhaft, das hilft alles nichts", sagt Sedlmeier. Es gebe zudem kein ökologisches Mittel gegen den Schädling. Der Experte rät auch, die befallenen Buchsbäume "auf keinen Fall zu kompostieren". Der Abfallwirtschaftsbetrieb empfiehlt, die mit Gespinsten befallenen Pflanzen in reißfesten Säcken zu verpacken und entweder in die Restmülltonne zu geben oder direkt zum Wertstoffhof zu bringen.

Das zunehmend extreme Klima im Raum München mit seinen Hitzeperioden und teilweise extremer Trockenheit schädigt immer mehr Arten. Sogar die heimischen "Buchen fallen durch die Trockenheit aus", sagt Baumexperte Kasberger. "Es gibt eine Reihe von Bäumen, die hier natürlich vorkommen, die wir aber wohl verlieren werden." Das liegt auch daran, dass zunehmend Schädlinge einwandern, die hier nicht heimisch sind. Besonders spektakulär wie umstritten war seit 2015 die Bekämpfung des Asiatischen Laubholzbockkäfers im Südosten von München. Bis heute gibt es ein Quarantänegebiet an der Stadtgrenze, Hunderte Bäume wurden vorsorglich gefällt, um den Baumbestand zu retten. Der Kampf scheint erfolgreich zu sein, seit geraumer Zeit gibt es keinen neuen Befall mehr, die Quarantänezonen in Neubiberg und Waldperlach könnten möglicherweise im kommenden Jahr aufgehoben werden, sagt Kasberger.

Dafür gibt es andere Bedrohungen. Erst Anfang Mai haben Experten des Landesbund für Vogelschutz im Luitpoldpark eine Linde entdeckt, die übersät von Lindenwanzen war. Erstmals wurde diese Art in München 2018 von Markus Bräu vom Referat für Gesundheit und Umwelt beobachtet. Doch während die aus dem Mittelmeerraum stammende Art als relativ harmlos gilt, fand Bräu auch die aus Ostasien stammende Marmorierte Baumwanze in der Innenstadt, rund um die Paulskirche etwa. Sie befällt laut Bräu die Früchte von Pfirsich, Apfel, Birnen, Haselnuss, Weinrebe, aber auch Mais, Sojabohne, Tomate, Paprika und Aubergine, teilt er an die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Entomologen mit.

Einst war es die Ulme, die fast aus dem Stadtbild verschwunden ist, jetzt sind es Fichte, Esche, Buchsbaum und womöglich bald auch der Ahorn, weil die sogenannte Ahorn-Rußrindenkrankheit seit vergangenem Sommer aus Nordbayern auf dem Vormarsch ist. Für München wäre eine Ausbreitung in der Stadt fatal. Denn neben Linden sind Ahorne die prägenden Bäume im Münchner Stadtbild. Wenn diese Arten in den kommenden Jahren angegriffen werden, ist ein Großteil der Straßenbäume in München bedroht.

Das Problem kennen die Experten, doch Antworten gibt es kaum. Das Baureferat in München pflegt und betreut Hunderttausende Bäume in den Straßen und Parks und forscht seit Jahren mit einhundert Baumarten, welche dem Klimawandel standhalten könnten. "Durch das extreme Stadtklima sind die Gehölze insgesamt anfälliger für Erreger", heißt es aus dem Baureferat. Ansonsten verweist man auf übergeordnete Behörden. Doch auch die Forstexperten befürchten, dass die Wälder in und rund um München schon bald nicht mehr in der vertrauten Form aus Fichten, Tannen und Buchenwäldern existieren werden.

Jan Linder und seine Kollegen spüren schon längst die Klimakatastrophe in den Wäldern am Taubenberg vor den Toren Münchens. Doch während an den Hängen im Oberland wohl noch die kommenden Jahrzehnte genügend Regen fallen könnte, um heimische Arten zu halten, sieht er für die Münchner Bäume schwarz: "Da geht es nur noch um den Walderhalt - und sonst nichts." Der Kampf um den Wald hat begonnen.

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