Unterbringung von Flüchtlingen:"Wir leiden an diesem Ort"

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Im "Ankerzentrum" in der früheren Funkkaserne in München müssen mehrere Familien in einem Zimmer leben, Frauen sich mit wildfremden Männern einen Raum teilen. Nun wehren die Bewohner sich gegen die Zustände.

Von Thomas Anlauf

Wut, Frust, Verzweiflung sind Raphael A. ins Gesicht geschrieben. "Wir leben wie die Hühner in einem Käfig. Wir sind Gefangene", sagt der junge Mann. Sein Name soll nicht bekannt werden, er hat Angst um seine Familie. Raphael A. haust mit seiner Frau und einem nun einjährigen Kind in einem Raum. Im selben Zimmer lebt noch eine zweite Familie mit zwei Kindern, nur getrennt durch einen Vorhang. "Seit ich 2017 nach Deutschland gekommen bin, habe ich nie eine Privatsphäre gehabt", sagt der aus Westafrika stammende Mann.

Raphael A. und seine Familie leben in der ehemaligen Funkkaserne am Frankfurter Ring, die seit vergangenem Jahr ein sogenanntes Ankerzentrum ist. Eine staatliche Massenunterkunft, für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung", das steht für die Abkürzung "Anker". Familien mit Kindern sollten eigentlich nur maximal sechs Monate dort bleiben, bevor sie entweder in reguläre Einrichtungen kommen oder abgeschoben werden. Raphael A. hängt hier seit mittlerweile 17 Monaten fest.

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Das Haus im Münchner Norden ist eine Dependance zum großen oberbayerischen "Ankerzentrum" in Manching. 370 Menschen dürfen hier maximal unterkommen. Derzeit sind dort 230 Menschen untergebracht, davon mehr als 80 Kinder, mehr als die Hälfte davon sind nach SZ-Informationen Babys und Kleinkinder. Es gibt kein geeignetes Zimmer zum Spielen oder für Förderangebote.

Die Menschen dort sind verdammt zum Nichtstun, es gibt keine Abwechslung im ungewissen Alltag. Sie leben täglich in der Angst, abgeschoben zu werden. "Sie benutzen uns, um Politik zu machen. Ich will arbeiten, aber sie geben mir keine Arbeit. Sie tun nichts - was für eine Art Leben ist das?", fragt A. Nachts ist es für viele oft besonders schlimm. "Wir können oft nicht schlafen, wenn eines der Kinder schreit. Dann wachen auch die anderen auf."

Die Menschen in der Kaserne werden zwar betreut, doch selbst für Sozialverbände ist das Angebot völlig unzureichend. "Die ,Ankereinrichtung' ist kein behüteter Ort für Kinder und Jugendliche", sagt Andrea Betz, bei der Inneren Mission für die Hilfe für Flüchtlinge, Migration und Integration zuständig. Die Innere Mission bietet in der Funkkaserne eine Flüchtlingsberatung sowie ein gewisses Unterstützungsangebot für Kinder und Jugendliche an und koordiniert das Engagement von Ehrenamtlichen dort.

Doch Betz kritisiert, dass "die Kinder keinen Platz zum Spielen oder Lernen" hätten. Insbesondere bräuchte es eine intensivere frühkindliche Entwicklungsförderung, dazu fehlten altersgerechte Angebots- und Rückzugsräume. "Von Seiten der politisch Verantwortlichen fordern wir einen humanen Umgang mit Geflüchteten, die in der ,Ankereinrichtung' leben", sagt Andrea Betz.

Zu einem humanen Umgang mit den Menschen zählt wohl kaum, dass sich dort Frauen mit wildfremden Männern ein Zimmer teilen müssen. Die zuständige Regierung von Oberbayern bestätigt die Zustände. "Derzeit sind neun Zimmer mit jeweils zwei Familien belegt", teilte die Pressestelle am Freitag mit. "Eine Geschlechtermischung in der Unterbringung halte ich für problematisch", sagt etwa Volker Mall, Ärztlicher Direktor am kbo-Kinderzentrum in München. "Das geht nicht." Mall, der auch Lehrstuhlinhaber für Sozialpädiatrie an der TU München ist, arbeitet seit Jahren mit der Chefärztin der Klinik für Jugendpsychosomatik und Kinder- und Jugendmedizin und stellvertretenden Klinikdirektorin am Klinikum rechts der Isar, Sigrid Aberl, an einem Projekt zur Untersuchung von Flüchtlingskindern und der Beratung der Eltern.

Die Wissenschaftler haben auch eine Studie über Flüchtlingskinder in München erstellt. Demnach litten 26 Prozent der Kinder unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und 16 Prozent an einer Anpassungsstörung. In der Funkkaserne untersuchen nun einmal wöchentlich eine Kinderärztin oder Kinder- und Jugendpsychiaterin und eine Psychologin auf dem Gebiet der Traumaerkrankung die untergebrachten Kinder und Jugendlichen und beraten Eltern und Erzieherinnen. "Die Funkkaserne ist sicherlich eine Verschlechterung zur früheren Erstaufnahmeeinrichtung Bayernkaserne, was ich sehr bedauere", sagt Mall. Die Rahmenbedingungen dort seien schwierig, die Spielmöglichkeiten seien massiv eingeschränkt. "Das ist problematisch."

Es seien aber nicht nur die räumlichen Bedingungen, auch die Eltern seien beeinträchtigt von der Situation in der Kaserne. Die ständige Unsicherheit, die Perspektivlosigkeit "ist sicherlich für die psychische Gesundheit der Kinder und der Familien nicht förderlich. Viele der Mütter sind traumatisiert. Sie bräuchten Unterstützung und Hilfsangebote, um ihren Erziehungsaufgaben nachzukommen, sagt Mall. "In Einzelfällen würden wir dort tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung sehen." In solchen Fällen muss eigentlich das Jugendamt einschreiten. "In ähnlichen Fällen außerhalb der Funkkaserne haben wir hier sehr gute Erfahrungen mit dem Jugendamt gemacht, das vermisse ich in der Funkkaserne", sagt der Ärztliche Direktor.

"Unsere Forderung ist, man muss was für die psychische Gesundheit der Kinder und Familien tun"

Ein regelmäßiges Angebot wie das Family House in der Bayernkaserne, wo sich ganztägig Flüchtlingskinder und -jugendliche aus verschiedenen Häusern aufhalten können und betreut werden, würde zumindest etwas Abhilfe schaffen im monotonen Alltag der Menschen in der Funkkaserne. Die Innere Mission fordert deshalb gemeinsam mit dem Stadtjugendamt seit vielen Monaten von der Regierung von Oberbayern, ein Pendant zu der Kinderbetreuung in der Funkkaserne zu eröffnen. "Hierfür benötigen wir lediglich zwei Container", sagt Andrea Betz. "Mit unserem Family-House-Konzept haben wir bereits sehr gute Erfahrungen auf dem Gelände der Bayernkaserne gemacht." Seit einigen Monaten finanziert das Jugendamt zumindest einen täglichen Shuttlebus von der Funk- zur Bayernkaserne, damit können allerdings lediglich zehn bis zwölf Kinder das Angebot dort wahrnehmen.

Auch Volker Mall würde ein Family-House in der Funkkaserne begrüßen. "Der Shuttlebus ist ein großer Fortschritt, auch wenn die Kapazitäten nicht ausreichend sind." Die Kinder bräuchten ein regelmäßiges Betreuungsangebot. Es geht darum, den Alltag zu rhythmisieren. Das müssen wir in der Funkkaserne hinbekommen", so Mall. "Unsere Forderung ist, man muss was für die psychische Gesundheit der Kinder und Familien tun - unabhängig von der Bleibeperspektive. Wir sind mit der Regierung von Oberbayern in Kontakt, denen ist die Problematik bewusst."

Am Freitag teilte das Sozialreferat auf SZ-Anfrage mit, dass die für das "Ankerzentrum" zuständige Regierung von Oberbayern just am Donnerstag zugestimmt habe, dass künftig in der Funkkaserne ein knapp 27 Quadratmeter großer Raum "für Spiel- und Förderangebote für Kinder und deren Eltern" zur Verfügung gestellt werde. Zudem betont die Regierung, dass es "Aufenthaltsmöglichkeiten sowohl im Innenbereich als auch einen Spielplatz mit Spielgeräten im Außenbereich" gebe. Trotzdem ist die Situation in der Funkkaserne auch aus Sicht des Jugendamtes, insbesondere die "lange Verweildauer von Familien und Kindern in Aufnahmeeinrichtungen ebenso wie eine verdichtete Belegung höchst problematisch", so Hedwig Thomalla vom Sozialreferat.

"Eltern können unter diesen Bedingungen die Verantwortung für die Erfüllung der Grundbedürfnisse ihrer Kinder nach Erholung, Rückzug und Sicherheit nicht immer gewährleisten." Zudem würden viele Regel-Kindertageseinrichtungen die Kinder aus der Kaserne ablehnen, da diese nur vorübergehend dort leben würden. "Das heißt auch, dass die Kinder über einen längeren Zeitraum in ihrem Recht auf Bildung eingeschränkt sind", so Thomalla.

Für Raphael A., der mit seiner Familie nun schon seit fast eineinhalb Jahren in dem "Ankerzentrum" am Frankfurter Ring lebt, ist die Behandlung der Menschen dort menschenunwürdig. "So viele Leute in dem Camp sind frustriert. Die Leute brauchen Hilfe. Das größte Glück für mich wäre es, da endlich raus zu kommen", sagt er. "Ich habe doch auch Rechte." Er nehme keine Drogen, verstoße nicht gegen das Gesetz. "Dieser Ort ist nicht gut", sagt er über die Funkkaserne. "Wir leiden an diesem Ort. Ihr tötet damit die Zukunft der Menschen hier."

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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