Integration:Deutsch-Lehrerin klagt: "Ich fühle mich verheizt"

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Bei einer Fortbildung des Münchner Lehrerverbands informieren sich Lehrerinnen über interkulturellen Unterricht und tauschen sich über Schwierigkeiten in der Praxis aus. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Seit diesem Schuljahr werden Schüler anderer Muttersprache in München in extra Deutschklassen unterrichtet.
  • Diese lösten die Übergangsklassen ab, die als erfolgreich galten.
  • Kritisiert wird vor allem, dass im neuen System nur ein Jahr für die Sprachförderung vorgesehen ist.

Von Jakob Wetzel

Sie hätten noch viel mehr offene Fragen. 44 Lehrerinnen und Lehrer sind an diesem Abend zusammengekommen, sie alle unterrichten an Münchner Grund- und Mittelschulen Kinder mit fremder Muttersprache in sogenannten Deutschklassen. Am Ende haben sie acht Themen an die Wand projiziert, acht Problemfelder, die dringend angegangen werden müssten. "Kleine Klassengrößen" ist dort etwa zu lesen, oder: eine feste Zahl an "Tandem-Stunden", das sind Schulstunden, in denen zwei Lehrkräfte parallel unterrichten, weil der Lernstand der Schüler so unterschiedlich ist. Doch als die Zeit um ist, sind sie nur bis zur Hälfte gekommen. Es gab einfach zu viel zu erzählen.

Der Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband (MLLV) hat zur Fortbildung "Herausforderung Deutschklasse" eingeladen, denn die Lehrkräfte haben ein Problem. Der Freistaat Bayern hat zu diesem Schuljahr die bisherigen sogenannten Übergangsklassen durch ein neues Modell ersetzt, eben diese Deutschklassen. Das heißt: Die Schüler werden verpflichtend im Ganztag unterrichtet. Es gibt neue Fächer wie "Kulturelle Bildung und Werteerziehung". Und bereits nach einem Jahr, nicht wie bisher erst nach zwei Jahren, sollen die Kinder in eine Regelklasse gehen. Wenn ihr Deutsch dann noch nicht genügt, um dem Stoff zu folgen, erhalten sie dort zusätzlichen Unterricht. Auf dem Papier ist damit alles klar. Doch wo es konkret wird, fühlen sich die Lehrer auf sich alleine gestellt - und so helfen sie sich eben selbst.

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"Die Nachfrage nach Hilfe und Austausch unter den Lehrern ist groß", sagt Verena Frei; die Mittelschullehrerin ist selbst Klassenlehrerin einer Deutschklasse und leitet zudem den Arbeitskreis "Deutsch als Zweitsprache" im MLLV. In der Fortbildung haben sich die Lehrer zunächst gegenseitig Anregungen gegeben und danach über die Schwierigkeiten gesprochen. Viele fühlten sich überfordert, sagt Frei. Die Probleme würden bereits mit den neuen Fächern beginnen: Für "Kulturelle Bildung und Werteerziehung" etwa gebe es bislang weder Unterrichtsmaterial noch einen Lehrplan.

Wie der Ganztag genau aussehen soll, sei ebenfalls nicht einheitlich gelöst, sagt Frei. Deutschklassen haben Ganztag, das steht fest - aber wie das umgesetzt wird, ist den Schulen überlassen. Ein Problem ist dabei nicht zuletzt das Mittagessen. Um das gut zu regeln, sei die Reform einfach zu schnell passiert, sagt Florian Zeindl, einer der Teilnehmer an der Fortbildung; er koordiniert an seiner Schule den Ganztag. "Ganztag muss man lernen." Sonst würden die Schulen die Eltern überfordern und zu viel Geld fürs Mittagessen verlangen - oder selbst auf den Essenskosten sitzenbleiben, "weil sie nicht wissen, dass viele Eltern ohne mehrmalige Mahnung einfach nicht zahlen". Andere Fortbildungsteilnehmer erzählen, dass Eltern ihren Kinder lieber Pausenbrote mitgeben möchten, einfach um Geld zu sparen.

Das bekämen sie zwar meist vom Staat zurück. Viele Eltern aber seien damit überfordert, erzählt Teilnehmerin Eva Kraft. Sie leitet ebenfalls eine Deutschklasse. Der Alltag sehe so aus, dass Kinder die EC-Karten der Eltern mitbringen, weil die den bürokratischen Aufwand nicht verstünden. Die Lehrer füllten für die Eltern die nötigen Anträge aus. Sie selbst habe alleine an diesem Tag vier Stück ausgefüllt und fünf Eltern neu im System angemeldet.

Die Sprachförderung soll nur noch ein Jahr dauern

Außerdem seien die Klassen oft sehr groß, sagt Kraft. Dass 23 Schüler in einer Deutschklasse sitzen, sei nicht ungewöhnlich, dabei hätten alle ein unterschiedliches Niveau, manche seien gar Analphabeten. Eine Lehrerin alleine könne nicht allen gerecht werden. Für die schwächsten Schüler seien deshalb Tandem-Stunden vorgesehen. In der Praxis aber bleibe die Verstärkung oft weg: Denn die eigentlich vorgesehenen Lehrer würden bevorzugt für Vertretungsstunden eingesetzt, wenn Kollegen krank seien. Das berichten an diesem Abend auch andere Teilnehmerinnen.

Das größte Problem sehen die Lehrerinnen aber darin, dass die Sprachförderung nur noch ein Jahr dauern soll. Das könne zwar durchaus klappen, wenn die Kinder vor ihrer Einreise nach Deutschland bereits in einer Schule waren, sagt Meike Fuchs; sie unterrichtet als Referendarin eine Klasse mit Kindern, die im Vorjahr in einer Übergangsklasse waren. Derzeit aber habe sie in der achten Klasse eine Schülerin, die sei ein Jahr in einer Übergangsklasse gewesen und schreibe nun ausschließlich Fünfer und Sechser. Bei ihrer Ankunft in München sei sie wohl Analphabetin gewesen. "Man sieht an der Schrift, dass sie große Probleme mit dem Schreiben hat. Sie malt die Wörter noch." Ihre Hefteinträge seien falsch, sie lerne verkehrt - und Rücksicht darauf werde nur im Fach "Deutsch als Zweitsprache" genommen. In den anderen Fächern müsse sie mithalten. "Das ist einfach demotivierend."

"Das ist alles so tragisch, weil Bayern lange ein sehr gutes System hatte", sagt Dorothee Schönecke. 20 Jahre lang habe sie vor Übergangsklassen gestanden, sagt sie. In diesem Schuljahr aber habe sie wegen der Einführung der Deutschklassen das Handtuch geworfen. "Ich wollte nicht mehr, ich fühle mich verheizt", sagt sie. "Die neuen Deutschklassen tun niemandem gut, weder den Schülern noch den Lehrern noch den aufnehmenden Schulen und den Regelklassen." Die Einführung der Deutschklassen sei übers Knie gebrochen worden, findet Eva Kraft. Vieles sei einfach wenig durchdacht. Weitere Fortbildungsabende für die Lehrerinnen sollen folgen.

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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