Umweltschutz:Ein Öko-Surfbrett aus Zigaretten

Lesezeit: 3 min

Julia Gräter (zweite von rechts) ist häufig zum Müllsammeln unterwegs. (Foto: Stephan Rumpf)

Unterstützer von "Clean Up Munich" haben mehr als zehntausend Zigarettenstummel gesammelt - im Frühjahr soll man darauf dann im Eisbach surfen können.

Von Jakob Wetzel

Der begehrte Rohstoff ist hellbraun, weiß und etwas bröckelig, und besonders gerne klemmt er in den Ritzen zwischen Pflastersteinen. Es ist nicht einfach, ihn da herauszubekommen, aber Robert Rauch hat Übung. Er dreht seine Greifzange, kratzt an der Oberfläche - und schon kann er den Zigarettenstummel fassen. Er hebt ihn hoch und packt ihn in eine seiner Tüten.

Rauch ist an diesem Samstag mit rund 20 weiteren Münchnerinnen und Münchnern im Gärtnerplatzviertel und im Lehel unterwegs, um Müll zu sammeln, vor allem weggeworfene Zigaretten. Aufgerufen haben dazu die Initiativen "Clean Up Munich" und "Rehab Republic", die immer wieder Müllsammel-Aktionen organisieren. Aus den Zigaretten wollen diesmal die Münchner Öko-Surfbrett-Bauer von Wau Surfboards ein Brett basteln; dazu werden sie einen stabilen Rahmen konstruieren und mit den Stummeln füllen. Im Frühjahr 2020 soll das Kippen-Surfbrett erstmals auf der Eisbachwelle schwimmen.

"Wir sind gespannt, ob wir genug für ein ganzes Surfbrett zusammenkriegen", hat Boardbauer Alexander Schwainberger vor Start der Aktion gesagt. Julia Gräter von "Clean Up Munich" hat da keine Sorgen. "Wir haben schon überlegt, was wir mit den restlichen Kippen machen", sagt sie. Für das Brett bräuchten sie geschätzt etwa 6000 Stück. "Das kriegen wir hin."

Gräter weiß, wie viel Müll herumliegt. Zum 16. Mal geht ihre Initiative in der Stadt sammeln. Sie und ihre Helfer haben Spritzen aufgeklaubt, Katheter und Rasierklingen. Einmal entsorgten sie ein halbes Fahrrad, ein andermal fanden sie einen funktionstüchtigen Tretroller, am Hauptbahnhof ein Päckchen Gras. In einem Gebüsch entdeckten sie einen Igel, der auf den zweiten Blick dann doch eine braune Klobürste war. An diesem Samstag finden sie in einem Beet auf dem Gärtnerplatz zwei volle Bierflaschen. Der meiste Müll aber, sagt Gräter, seien Kronkorken und Zigaretten.

Am Gärtnerplatz haben sie viel zu tun. Sie brauchen eine Dreiviertelstunde, bevor sie in die Klenzestraße weiterziehen können. Eine Greifzange wie Robert Rauch haben die wenigsten, die meisten tragen Gartenhandschuhe und sind unablässig dabei, sich zu bücken. Vorwärts kommen sie nur langsam. München sieht zwar sauber aus, aber nur, wenn man nicht genau hinsieht.

Die dreckigsten Orte in München seien neben dem Hauptbahnhof vor allem Bus- und S-Bahn-Haltestellen, sagt Gräter. Auch Grünflächen unter Bäumen am Straßenrand seien oft voller Müll. "Die Menschen empfinden die Natur als Dreck, deswegen halten sie es für ganz normal, ihren Müll dazu zu schmeißen", glaubt Rauch. Er wohne an der Thalkirchner Straße und gehe in seiner Freizeit häufig Müllsammeln. Mittlerweile klebe er Zettel an die Bäume, um darauf hinzuweisen, dass Grünflächen keine Müllkippen sind. Er habe das Gefühl, das bringe etwas. Anfangs seien seine Zettel immer wieder heruntergerissen worden, inzwischen nicht mehr. Und immer wieder sprächen ihn auch Passanten beim Müllsammeln an. "Dann sage ich: Das darf übrigens jeder machen."

Aus diesem Berg Kippen, der dem Team zu Füßen liegt, soll das Öko-Surfbrett entstehen. (Foto: Julia Gräter/oh)

Mit dabei ist am Samstag auch Tobia Simon. Sie habe durch ihre zweijährige Tochter Enja gemerkt, wie viel Abfall in der Stadt herumliege. Das Kind greife auf dem Spielplatz gerne nach weggeworfenen Kippen. "Die sind ja schön orange und leuchten". Zuletzt habe sie daher immer wieder Müll eingesammelt, Kindereimer voller Scherben und Bierdosen, vor allem aber voller Zigaretten. Am Samstag hat sie ihre Tochter zum Müllsammeln mitgebracht.

Julia Gräter erzählt, für sie habe es am Meer angefangen. Sie surfe selber, und am Strand sei ihr aufgefallen, wie viel Müll herumlag. Also habe sie ihn aufgesammelt, und daheim einfach weitergemacht. Im Mai 2018 gründete sie "Clean Up Munich". Die Initiative ist kein Verein, alles sei locker, wer Lust habe, könne auch spontan mitmachen, sagt sie. Termine und Orte stünden unter cleanupmunich.de. Seit diesem Frühjahr seien sie im Schnitt alle zwei Wochen unterwegs. Dabei verteilen sie kleine Taschenaschenbecher, in denen man gerauchte Zigaretten bis zum nächsten Mülleimer aufbewahren kann.

Das Surfbrett ist nun eine Premiere, etwas Besonderes für den "World Cleanup Day", denn am 21. September haben Initiativen nicht nur in München, sondern weltweit in mehr als 150 Ländern zum Müllsammeln aufgerufen. Gräter erzählt, sie habe sich dafür von dem Musiker Jack Johnson inspirieren lassen: Von dem kursiere ein Video, wie er auf einem Kippen-Surfbrett wellenreitet. Und Gräter dachte sich: Hey, München ist mit der Eisbachwelle doch eine Surfer-Stadt! Wir machen das auch.

"Uns geht es darum, Nachhaltiges positiv zu verknüpfen", sagt Markus Mitterer von "Rehab Republic". Im September 2017 etwa hätten sie Kronkorken gesammelt; deren Weißblech lasse sich zum Beispiel zu Bierfässern recyceln. 11 000 Kronkorken seien dabei zusammengekommen, genug für 40 Fässer. Die habe man dann verlost. An diesem Samstag fährt Mitterer mit einer umgebauten Rikscha mit; ein Lautsprecher sorgt für Musik, und wer mag, kann hier an einem schmalen roten Kasten auch abstimmen, welcher Müll ihn am meisten nervt. Kippen und Plastikverpackungen lägen hier meist vorne, sagt Mitterer. Und volle Hundekacktüten. Die würden sie immer wieder aus Gebüschen ziehen. Warum sich jemand die Mühe macht, Hundekot in Plastiktüten zu füllen, um diese dann statt in einen Mülleimer ins Gebüsch zu werfen, das hätten sie noch nicht herausgefunden.

Mitterer und Gräter, Rauch, Simon und die anderen sind an diesem Samstag drei Stunden unterwegs, dann haben sie den Eisbach erreicht und machen Schluss. Sie hätten 11 000 Zigarettenkippen gesammelt, berichtet Gräter. Das reiche fast für zwei Surfbretter.

© SZ vom 23.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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